Fachkräftemangel bei Top-Ökonomen Isabel Schnabels Wechsel zur EZB stellt Wirtschaftsweise vor Dilemma

Isabel Schnabel verlässt die Wirtschaftsweisen und wird für den Posten im Direktorium der EZB vorgeschlagen. Quelle: dpa

Der Wechsel von Isabel Schnabel ins Direktorium der Europäischen Zentralbank reißt eine Lücke bei Deutschlands wichtigstem Beratergremium. Wer könnte der Bonner Ökonomin im Sachverständigenrat nachfolgen?

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Die Botschaft auf der Homepage der Wirtschaftsweisen ist eindeutig: „Wir suchen Verstärkung.“ Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) will mehrere Volkswirte einstellen, die sich mit öffentlichen Finanzen, Makroökonomie und Konjunktur auskennen. Seit heute muss diese Suchanzeige erweitert werden: Deutschlands wichtigstes Beratergremium für Wirtschaftsfragen sucht nun auch jemanden für die Chefetage.

Das Bundeskabinett billigte den Vorschlag des Finanzministeriums, die Wirtschaftsweise Isabel Schnabel für den vakanten Posten im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) vorzuschlagen. Die 48-Jährige ist Professorin für Finanzmarktökonomie an der Universität Bonn und seit 2014 Mitglied im fünfköpfigen SVR. Die Übergabe des neuen SVR-Jahresgutachtens an die Bundesregierung am 6. November wird somit wohl ihr letzter Auftritt als Wirtschaftsweise sein. Die Finanzminister der Euro-Zone dürften ihre Beförderung noch im November durchwinken; die formelle Ernennung könnte dann auf einem EU-Gipfel im Dezember geschehen.

Der Abgang der im Rat hochgeschätzten Ökonomin trifft das Gremium zur Unzeit. Im Frühjahr hatte es heftige interne Turbulenzen gegeben, als die Gewerkschaften den linken Ökonomen Achim Truger als neues Mitglied durchdrückten. Der wissenschaftlich wenig exponierte Nachrücker stieß bei den anderen Mitgliedern auf massive Vorbehalte. Schnabel stellte seine Eignung per Twitter öffentlich in Frage. Dem Arbeitsklima dürfte das nicht gerade förderlich gewesen sein.

Damit nicht genug der Unruhe: Ende Februar nimmt auch noch der langjährige SVR-Vorsitzende Christoph Schmidt seinen Hut, der den Rat allen Strömungen des Zeitgeistes zum Trotz auf marktwirtschaftlichem Kurs hielt. Anders ausgedrückt: Die Wirtschaftsweisen brauchen innerhalb kürzester Zeit zwei Neue und müssen obendrein einen neuen Chef aus ihren Reihen küren.

Am Zug ist nun zunächst das federführende Bundeswirtschaftsministerium (BMWi). Man wolle sich mit den anderen Ressorts zeitnah über die Nachfolgefragen abstimmen, heißt es im Hause Altmaier. Das Screening geeigneter Kandidaten obliegt dabei der BMWi-Grundsatzabteilung. 

Die Spekulationen über mögliche Nachfolger für Schnabel und Schmidt haben daher bereits begonnen. Laut Gesetz müssen die Wirtschaftsweisen über „besondere wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse und volkswirtschaftliche Erfahrungen verfügen“. Natürliche Kandidaten sind vor diesem Hintergrund die Institutspräsidenten Gabriel Felbermayr (Institut für Weltwirtschaft) und Clemens Fuest (Ifo), beide sind jedoch an ihren Häusern zeitlich stark eingespannt.

DIW-Präsident Marcel Fratzscher wäre womöglich für den Job bereit und könnte die mediale Präsenz des Rates erhöhen. Der von der EZB kommende Ökonom wäre auch thematisch am nächsten dran – Isabel Schnabel war im Rat für Finanzmärkte zuständig. Fratzscher steht aber wirtschaftspolitisch eher links und würde im Konzert mit Truger eine inhaltliche Unwucht im Rat schaffen, die das CDU-regierte Wirtschaftsministerium nicht akzeptieren dürfte.

Und dann wäre da ja auch noch die Genderfrage: Eigentlich hatten Union und SPD vereinbart, dass im Frühjahr eine zweite Frau in den Rat nachrückt – jetzt ist das Gremium auf einmal eine komplette Herrenrunde.  

Von daher spricht vieles für Nicola Fuchs-Schündeln, Professorin für Makroökonomie und Entwicklung an der Goethe-Universität. Die Yale-Absolventin, Jahrgang 1972, ist mit Auszeichnungen überhäuft, unter anderem erhielt sie 2017 den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die höchste Ehrung für Wissenschaftler in Deutschland. Als Vorsitzende des Vereins für Socialpolitik, der größten wissenschaftlichen Ökonomen-Vereinigung im deutschsprachigen Raum, ist sie in der VWL-Community gut vernetzt. Zudem sitzt sie im wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums.

Die medial eher zurückhaltende Volkswirtin, die sich zu einem SVR-Mandat nicht äußern will, wäre auch der SPD vermittelbar. Die gebürtige Kölnerin hat keine ordnungspolitische oder stramm marktwirtschaftliche Agenda, sondern arbeitet vor allem empirisch. Allerdings ist sie keine Expertin für Finanzmärkte, ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Analyse von Präferenzen und des Spar-, Konsum- und Arbeitsmarktverhaltens privater Haushalte.

Gleichwohl hielte Isabel Schnabel die Kollegin dem Vernehmen nach für eine gute Wahl. Und Erfahrung mit Ratsarbeit hat Fuchs-Schündeln auch: Sie ist Mitglied eines neu gegründeten deutsch-französischen Expertenrats für Wirtschaft – zusammen mit Isabel Schnabel.

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