Luftfahrt Warum Airlines kaum unter dem Corona-Virus leiden

Mitarbeiterinnen der China Eastern Airlines laufen mit Mundschutz über den internationalen Flughafen von Brisbane, Australien. Quelle: dpa

Flugabsagen, Preisverfall und Gewinnwarnungen: Die Virusepidemie trifft die Flugbranche offenbar härter als andere. Doch die Erfahrung aus früheren Pandemien zeigt: das Airlinegeschäft erholt sich schnell.

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Streikdrohungen, schwächelnde Nachfrage aus der wichtigen Autoindustrie und Dauerfeuer von Klimaschützern: Lufthansa-Chef Carsten Spohr hatte zum Start ins neue Jahr bereits reichlich Probleme. Doch nichts setzt Europas größter Fluglinie derzeit so stark zu wie der 2019-nCoV genannte Corona-Virus, der mit rund 213 Todesopfern und mehr als 9700 Erkrankten (Stand: 31. Januar) mehr Menschen betrifft als die Lungenseuche Sars. Darum stellten Lufthansa sowie ihre Schwesterlinien Swiss und Austrian Airlines gestern ihre Flüge nach China ein. Endgültiger Auslöser war wahrscheinlich ein möglicher Krankheitsfall auf Lufthansa-Flug LH 780 nach Nanjing, bei dem rund 60 Passagiere sofort nach der Landung untersucht werden mussten. „Wir haben unsere Krisenpläne aus der Schublade geholt“, sagt Spohr. 

Da ist er nicht der einzige in der Fliegerei. Ob British Airways, Air France-KLM, die großen US-Linien wie Delta und American Airlines oder asiatische Linien von Air India bis zum indonesischen Billigflieger Lion Air: reihenweise beenden oder kürzen Gesellschaften derzeit radikal ihre Flüge nach China. Obwohl Chinas Staatslinien und Golfairlines wie Emirates erstmal unverdrossen weiterfliegen, dürfte sich die Zahl der Passagiere zwischen Europa und dem Reich der Mitte bis zur kommenden Woche halbieren, schätzen Experten. Wer als Airline zur Hauptreisezeit rund ums chinesische Neujahrsfest noch fliegt, muss die Preise senken. Viele dampfen wie Cathay Pacific aus Hongkong sicherheitshalber auch den Bordservice ein. Um mögliche Infektionen an Bord zu erschweren, kommen vielerorts bei den Mahlzeiten die Gänge statt nacheinander vom Wagen nun alle in einem Rutsch auf einem Tablett – oder gleich als versiegelter Beutel. Auch Getränke werden seltener nachgeschenkt. Und potenzielle Virenüberträger wie feuchtwarme Handtücher, Kissen, Decken und Zeitschriften gibt es an Bord gar nicht mehr.

Kein Wunder, dass die Börse auf den Mix aus Flugabsagen, Preisverfall und sinkenden Erträgen mit massiven Kursrückgängen reagierte. Seit Bekanntwerden des Virus aus der zentralchinesischen Stadt Wuhan zum Jahreswechsel sackten die Kurse der drei großen chinesischen Linien Air China, China Eastern und China Southern um rund ein Viertel. Lufthansa verlor bis zu 15 Prozent und anderen Langstreckenlinien wie Air France-KLM und der British-Airways-Mutter IAG erging es kaum besser.

Doch das ist zumindest für die europäischen Marktführer zu viel, glaubt Analyst Daniel Roeska vom New Yorker Brokerhaus Bernstein. „Die Aktienpreisreaktionen übertreiben“, so Roeska. Zwar werden die Gewinne aus seiner Sicht kurzfristig spürbar unter Corona 2019-nCoV leiden. „Doch der Einfluss wird auf die Zahlen des ersten Halbjahres beschränkt bleiben“, erwartet der Ex-Lufthansa-Manager. Und selbst wenn die Krankheitswelle beim Wuhan-Virus ähnlich verläuft wie bei der Lungenseuche Sars, dürfte der Effekt geringer ausfallen als es derzeit scheint.

Auf den ersten Blick ist Roeskas These schwer nachzuvollziehen. Nicht nur, weil das Virus aus Wuhan sich schneller ausbreitet als frühere Krankheitserreger. Dazu sind die Airlines bereits unter Druck. Wegen der wachsenden Handelskonflikte zwischen den USA und dem Rest der Welt bei den Langstreckenlinien lief bereits vor dem Corona-Ausbruch das Geschäft schlechter. Weil die Ausgaben für Flugzeuge und Personal weiterlaufen, sacken die Gewinne. Dazu trifft der Rückgang im China-Verkehr den mit Abstand wichtigsten Wachstumsmarkt der Branche, in dem dazu noch überdurchschnittliche viele gut zahlende Geschäftsreisende unterwegs sind. Und zu schlechter Letzt geben frühere Seuchen von Sars im Jahr 2003 bis Mers 2015 düstere Vorbilder ab. Damals kam der Flugverkehr in die betroffenen Regionen Hongkong oder Korea fast komplett zum Erliegen. Das kostete die Branche laut Schätzungen bis zu zehn Milliarden Euro Umsatz. Und bei Lufthansa wurde aus fast einer Milliarde Euro Gewinn 2002 ein Jahresverlust von fast einer Milliarde Euro.

Doch gerade auf den Vergleich mit den bisherigen Virus-Krisen gründet die Branche jetzt ihren Optimismus. Zwar wollen derzeit weder Spohr noch seine Amtskollegen offen Zuversicht zeigen. Alexandre de Juniac, Chef des Weltluftfahrtverband Iata, ist da deutlicher. „Bisher hat sich die Branche in solchen Pandemien sehr widerstandsfähig gezeigt und spätestens sechs Monate nach Beginn der Krise war wieder das alte Wachstumsniveau erreicht.“

Diesmal könnte es sogar noch schneller gehen. So agieren die Gesundheitsbehörden weltweit und besonders in China deutlich schneller und gründlicher als bei früheren Krisen. Bei Sars verging noch fast ein Vierteljahr nach den ersten Krankheitsfällen, bis die Regierung der südchinesischen Guangdong-Provinz die Weltgesundheitsorganisation WHO informierte. Und bis zu größeren Flugstreichungen dauerte es noch rund einen weiteren Monat. Beim aktuellen Wuhan-Virus geschah dies innerhalb von vier Wochen. Damit dürfte die Krankheit schneller abflauen als SARS.

Der zweite Grund, warum die Airlines diesmal weniger leiden könnten, ist ihre bessere Vorbereitung. „Besonders Europas Fluglinien sind anders aufgestellt“, heißt es in einer aktuellen Studie der US-Rating-Agentur Fitch.  Dafür sorgt, dass der China-Verkehr für Lufthansa und andere deutlich weniger wichtig ist als noch zu Sars-Zeiten. Heute machen die Deutschen und Air France nur noch drei Prozent ihres Umsatzes und gut fünf Prozent ihres Gewinns in China. Um 2003 hingegen erwirtschaftete die deutsche Linie auf Routen wie Peking oder Shanghai noch bis zu einem Viertel ihres operativen Überschusses. Flüge nach China waren damals rar und die Gesellschaften der alten Welt hatten wenig ernsthafte Konkurrenz. Die Golflinien wie Emirates oder Qatar Airways verfügten nur über wenige Flugrechte nach China. Und Air China oder die anderen Staatslinien buchte die westliche Geschäftskundschaft ungern, weil ihnen deren Sitze, Bordservice und Zuverlässigkeit nicht gut genug waren. Also konnten Lufthansa und andere ihre Flieger trotz hoher Preise immer fast komplett ausverkaufen. „Ein Traum“, so ein führender Lufthanseat.

Das ist jetzt anders. Weil die Golflinien und Chinas heimische Airlines heute nicht nur beim Preis, sondern auch beim Service eine ernsthafte Alternative zu westlichen Linien sind, hat vor allem Lufthansa ihren China-Verkehr anders organisiert. Statt ihr Flugnetz mit dem Marktwachstum auszubauen, beschränkt sie sich auf die langfristig wirklich profitablen Routen. Dabei packt sie mehr Passagiere in Gemeinschaftsflüge mit Air China, Cathay Pacific und Singapore Airlines, bei denen die asiatischen Partner das größere Risiko tragen. „Stattdessen fliegen wir bei Lufthansa lieber in Richtung Nordamerika, wo die Erträge höher sind und das Risiko geringer ist“, so ein führender Lufthanseat.

Ebenso wichtig ist, dass Europas Marktführer anders wirtschaften. Weil sie heute sparsamer und schneller arbeiten, verdienen sie nicht nur mehr Geld als vor gut zehn Jahren. Rund ein halbes Dutzend plötzlicher regionaler Nachfrageeinbrüche von den Terroranschlägen des 11. September 2001 bis zum Mers-Virus 2015 haben Lufthansa und Co. zudem gelehrt, Marktveränderungen früher zu erkennen und in kürzerer Zeit zu reagieren. „Wir verändern unser Angebot heute viel gezielter und bevor eine Krise wirklich ernst wird“, so IAG-Chef Willie Walsh.

Der Ölpreis ist der dritte und letzte Grund, warum den Fluglinien weniger bang sein muss als es der Aktienkurs nahelegt, glaubt Analyst Roeska. Anders als in früheren Krisen sank der Spritpreis in den vergangenen zwei Wochen um fast neun Prozent – aus Angst, der Corona-Virus könnte die Konjunktur zum Kippen bringen und die Energienachfrage drücken. Das hilft den Airlines. Denn bei ihnen macht gerade wegen ihrer vielen anderen Sparmaßnahmen die Tankrechnung statt früher zehn Prozent inzwischen rund ein Viertel aller Ausgaben aus. Weil der Einkauf und die Absicherungsgeschäfte günstiger werden, hebt das derzeit billigere Flugbenzin den Überschuss um gut zwei Prozentpunkte, was bei Lufthansa immerhin rund 30 Millionen Euro pro Monat bringen könnte.

Damit, so das Fazit von Fitch-Direktorin Angelina Valavina, dürfte der gegenwärtige Schock am Ende gering bleiben. „Das Ausmaß des Coronavirus-Ausbruchs müsste noch deutlich größer werden, bevor es einen signifikanten Einfluss auf die Flugreisen hat.“

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