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Niemand liebt Werbung – nicht einmal die Werber

Der Vorwurf stammt von der Organisation Werbungtreibender und löst Verwunderung aus: Niemand liebt Werbung. Eine Ohrfeige für die Branche. Was steckt hinter der Schelte?

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Auf der diesjährigen Dmexco, Europas größter Kongressmesse für die Digitalbranche, nutzte Uwe Storch eine Podiumsdiskussion zur Aussage: „Niemand liebt Werbung!“ Uwe Storch ist nicht nur Herrscher über die Werbe-Millionen von Ferrero (280 Millionen brutto im ersten Halbjahr 2022), dem zweitgrößten Werbungtreibenden des Landes, sondern gleichzeitig Vorsitzender der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM), des mächtigen Werbekunden-Verbandes. Was hat er sich dabei gedacht?

Horizont titelte „Warum selbst OWM-Vorsitzender Uwe Storch Werbung nicht liebt“ und schrieb: „Der Titel war filmreif: ‚Marken im digitalen Nebel‘ – und das Thema ein Grundsätzliches: Wie lässt sich die Akzeptanz für Werbung verbessern? Aber für alle Werbeoptimisten hatte OWM-Vorsitzender und Ferrero-Mediachef Uwe Storch auf der Dmexco eine ernüchternde Botschaft: Niemand liebt Werbung. Und laut Storch hat ganz besonders die digitale Werbung ein Akzeptanzproblem.“

Werbung: nervig, störend, laut und immer schlechter

Man wollte Ursachenforschung betreiben und ergründen, warum Werbung als nervig empfunden wird und in einer aktuellen Umfrage fast 60 Prozent der Befragten besonders die Onlinewerbung als störend empfinden. Doch Storch machte gleich zu Beginn klar: „Werbung war schon immer laut. Wir sind nicht lauter geworden, wir sind nur schlechter geworden.“ Starker Tobak und eine Ohrfeige für die ganze Branche.

Gegen schlechte Werbung ist kein Kraut gewachsen. Es gab sie immer und wird sie immer geben. Der Vorwurf jedoch, schlechter geworden zu sein, kommt nicht nur von Seiten der Werbekunden, sie kommt weltweit von verschiedensten Beobachtern. Zu ihnen zählt Bob Hoffman. Er widmete der schlechten Werbung ein ganzes Buch: „BadMen - How Advertising Went From A Minor Annoyance To A Major Menace“.

Das Vertrauen in Werbeleute war noch nie sonderlich hoch. Schon seit Jahren belegen sie in den Rankings der vertrauenswürdigsten Berufe weltweit, europaweit ebenso wie in Deutschland die letzten Plätze. Doch sie unternehmen auch bei der digitalen Werbung nichts gegen diesen Vertrauensverlust.

„Viel zu oft wird nur irgendwas gemacht“

Shanine Chaudry, Directorin des Marktforschungsinstituts Kantar, pflichtete Storch bei: „Digitale Werbung wird von vielen Konsumenten als besonders aufdringlich empfunden. Die Botschaften erreichen die Nutzer oft am falschen Ort und zur falschen Zeit. Kreative Exzellenz ist das A und O für wirksame Werbung. Viel zu oft wird nur irgendwas gemacht.“
Pünktlich zur Dmexco legte auch der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) eine Befragung der Media- und Onlineagenturen vor. Demnach finden 63 Prozent der Agenturen, Digital habe inzwischen einen „angemessenen“ Anteil an den Werbeausgaben, 23 Prozent halten Digital für unterrepräsentiert. Es bleiben 14 Prozent der Agenturen, die der Auffassung sind, man habe es mit der Onlinewerbung bereits übertrieben.
Das sind Aussagen über eine Branche, von der die Experten bei PricewaterhouseCoopers annehmen, dass mehr als 70 Prozent der ausgelieferten Anzeigen keine Verbraucher aus Fleisch und Blut, sondern nur Bots erreichen.

Die digitale Eskalation

Uwe Storch spricht im Zusammenhang mit der digitalen Werbung von einer „Eskalationsstufe“ und macht sich mit den Worten Luft: „Wir haben es übertrieben mit den Werbeformaten. Es ist nie Schluss mit der Werbung und viele Formate lassen sich auch nicht wegklicken. Das müssen wir ändern. Die Konsumenten haben ein Recht, auch einmal Pause zu machen.“ Es ist wohl das erste Mal in der Geschichte der Werbung, dass ein einflussreicher Vertreter der Werbekunden einen Stopp der Werbung fordert.
Dem Werbekundenverband ist es ernst. Storch warb auf der Kölner Messe für den im November stattfindenden OWM-Summit, der den Titel „Stoppt endlich diese Werbung!?“ trägt und sich mit dem Akzeptanzverlust der Werbung beschäftigen wird. Ralf Scharnhorst kommentiert Storchs Aussage: „Passt: Währenddessen wurde bekannt, dass Storchs Arbeitgeber Ferrero die Budgets bereits gekürzt hat – gemäß Nielsen-Daten um 30 Prozent.“

Gleichzeitig weist Storch auf die gesellschaftliche Tragweite hin: „Wir haben gar nicht den Anspruch, dass Werbung geliebt werden soll. Sie soll nur nicht stören. Es ist wichtig, dass Werbung akzeptiert wird, denn Werbung finanziert Demokratie, indem sie Medienvielfalt möglich macht. Es kann nicht sein, dass alles auf Plattformen in die USA abwandert.“

Exodus der klassischen Medien

Damit spricht zum ersten Mal ein Vertreter der deutschen Werbekunden ein Problem an, mit dem sich die Branche beschäftigen muss. In den USA ziehen die digitalen Plattformen Google, Meta und Amazon bereits 90 Prozent der digitalen Werbeausgaben auf sich, mithin die Hälfte der gesamten Werbeinvestitionen.

In Österreich wurde dieser Punkt bereits überschritten: „In nur zwei Jahren haben internationale Digitalkonzerne wie Google, Facebook, Tiktok und Co ihre Werbeumsätze in Österreich praktisch verdoppelt. Ihre Werbeumsätze haben jene der klassischen Medien in Österreich überholt.“ Das heißt, im Nachbarland erzielen Google, Facebook & Co bereits höhere Werbeumsätze als alle anderen Medien zusammen. Das werden viele der herkömmlichen Medien nicht überleben. In Österreich ebenso wie in Deutschland.

Hass oder Liebe für die Werbung?

Ob Storchs Worte regt sich dennoch Widerstand in der Branche. Nicht geliebt zu werden, ist schon hart genug. Nur nicht zu stören, geht manchem dann doch zu weit. Manch einer nennt es eine „Kapitulationserklärung“, andere verweisen auf die Love Brands.
Der aktuelle Report der größten Love Brands weist auf den ersten Rängen Marken wie L’Oréal, Lego und Sennheiser aus, und ausgerechnet Nutella von Ferrero zählt zu den Marken, die die Menschen angeblich am meisten lieben. Dieser Staus wurde jahrzehntelang bis zum heutigen Tag durch Werbung erreicht. Und dieser Umstand hilft nicht sonderlich, die Schelte von Herrn Storch verständlicher zu machen.

Basic Thinking schreibt zum Brand Love Report: „Immer mehr Marketer erkennen, wie wichtig Markenliebe ist. Denn je beliebter Marken sind, desto schneller wachsen sie in der Regel auch. Je mehr die Kund:innen den Marken vertrauen, desto mehr Kundennähe entsteht. Und das macht sich oft auch in den Erträgen bemerkbar. Laut einem Report von Khoros geben 86 Prozent aller Personen mehr Geld für eine Marke aus, die sie mögen.“

Also doch: Markenliebe und Werbehass

Oder sitzt das Problem tiefer und es werden durchaus Marken geliebt, nicht aber deren Werbung? Tatsache ist, dass Menschen Marken mögen, sonst würden sie sie nicht kaufen. Auch für die Wirkung der Werbung ist es von größter Wichtigkeit, dass sie gemocht wird. Sonst würde die wiederholte Betrachtung der Markenwerbung Schäden anrichten, die die Marke über kurz oder lang unweigerlich an ihren Umsätzen spüren würde.

Andererseits ist es offenbar möglich, Nutella trotz ihrer Werbung zu lieben…

Oder betreiben wir Haarspalterei? Unterstellen wir, dass Menschen, die Werbung zulassen, sie automatisch mögen? Und machen aus einem simplen Mögen gleich das große Wort Liebe? Damit kommen wir der Sache vermutlich näher. Menschen lassen Werbung von Marken, die sie mögen und kaufen, nachweislich zu. Bisweilen erfreuen sie sich an unterhaltsamer Werbung. Selbstverständlich darf und soll man Spaß haben an Kampagnen wie für den Baumarkt Hornbach.

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