Kommunikation lassen deutsche Unternehmen sich etwas kosten: In der soeben veröffentlichten Erhebung für 2015 meldet der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ein Plus von einem Prozent auf fast 45 Milliarden Euro. Davon flossen gut 15 Milliarden Euro in die Medienwerbung. Das bedeutet für sie ein leichtes Minus von 0,8 Prozent - allerdings das vierte Minus in Folge.
Zur Person
Thomas Koch, Gründer der Mediaagentur tkm und CEO von tkmStarcom, ist heute Partner bei Plural Media Services und Autor des Buchs "Die Zielgruppe sind auch nur Menschen".
Im Aufwind liegt neben Außen- und Kinowerbung vor allem Werbung in Online und Mobile mit einem Anstieg von sechs Prozent. Um fünf Prozent erhöhten die Werbungtreibenden ihre Investitionen zudem in Suchmaschinenmarketing. Prognosen zufolge wird der Online-Medienmarkt in diesem Jahr weiter wachsen. Die Vermarkter digitaler Werbeplattformen dürften demnach gut gelaunt in das laufende Jahr gegangen sein.
Unzufrieden sind dummerweise viele Werbetreibende. Sie beklagen eine nachlassende Wirkung ihrer Kampagnen. Das dürfte an der sinkenden Reichweite fast aller Medien, andererseits jedoch auch an der gleichzeitig sinkenden Aufmerksamkeit der Verbraucher liegen. Sie sind der Werbung überdrüssig. Und die Werbekunden ratlos.
Für die Agenturen ist die Lösung simpel: Der möglicherweise schwindenden Wirkkraft des Fernsehens insbesondere bei jüngeren Zuschauern, die in Online-Medien und Streams abwandern, begegnen sie mit einer Ergänzung ihrer Kampagnen um sogenannte Bewegtbild-Werbung auf YouTube und Facebook. Doch diese Lösung ist womöglich zu simpel. Die TV-Vermarkter kontern, dass die YouTube-Nutzung nur wenige Minuten am Tag beträgt. Es gibt jedoch keine gemeinsame Reichweiten-Währung und so steht Aussage gegen Aussage, Äpfel gegen Birnen.
Werbung, die stalkt und nervt
Es ist kompliziert. Denn ausgerechnet den jungen Nutzern geht die Werbung in den sozialen Netzwerken zunehmend auf die Nerven. Sie fühlen sich von den Marken gestalkt. Das äußern einer neuen Studie zufolge drei Viertel der Digital Natives. Über die Hälfte gibt an, die massive “Verfolgung” durch Werbung in Social Media sei für sie ein Grund, die Nutzung von Facebook und Co. zu reduzieren.
Das Phänomen hat es nie zuvor gegeben: Verbraucher meiden Medien erstmals wegen Werbung. Dies macht es immer schwieriger, junge Verbraucher werblich zu erreichen - und sollte Facebook und Co. zu denken geben.
Lufthansa hat digitale Werbung missverstanden
So liefert Lufthansa ihren aktuellen Werbespot seit Wochen mehrmals täglich auf Twitter aus - auch an Nutzer in Städten, denen die meisten Verbindungen der Airline schon lange nicht mehr zur Verfügung stehen. Von Targeting und Frequency Capping also keine Spur. Twitter ist jedoch kein Werbeblock im Fernsehen - da hat Lufthansa digitale Werbung wohl gründlich missverstanden.
Dennoch ist „Social Video“ - das Videogeschäft von Facebook, Instagram, Twitter und Snapchat - eine wachsende Gefahr für die bislang sprudelnden Budgetgelder, die beim TV landeten. Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg verglich die Reichweite des sozialen Netzwerks bereits mit der des Super Bowl.
Die Gründe für den Wechsel von TV auf digitale Plattformen sind vielfältig: Wenn die junge Zielgruppe in digitale Medien strömt, strömen die Werbegelder hinterher. Der Preis für Online-Werbung ist zudem niedriger als im TV. Online lassen sich die Reaktionen der Nutzer zudem besser messen.
Dennoch vergleicht man auch hier Äpfel mit Birnen: Der TV-Konsum der jungen Zielgruppe ist nach wie vor hoch. US-Fachleute wie Matt Nitzberg von ThinkVine warnen davor, das digitale Rad zu überdrehen. Sie erkennen bei einem Zuviel an digitaler Werbung einen Verlust an Return-On-Investment.
Werbe-Agenturen überflüssig?
Gleichzeitig steigt der Anteil automatisch ausgelieferter Online-Werbung. Und mit „Programmatic Advertising“ steigen neue Player in den Ring. Der Softwarekonzern SAP etwa kündigte an, mit einer eigenen Plattform programmatischen Mediahandel anzubieten. Im gleichen Atemzug spricht der Konzern den Mediaagenturen in unnachahmlicher Überheblichkeit jede Existenzberechtigung ab.
Doch damit dürfte sich das Problem kaum lösen lassen: Denn Computer und Softwareanbieter verstehen von Werbung nicht die Bohne.
Besser wäre es, sich intensiver mit der „Generation What?“ zu beschäftigen. Denn sie gibt immer neue Rätsel auf. Seit April läuft die größte je durchgeführte Studie zur Lebenswelt junger Menschen zwischen 18 und 34 Jahren in Europa, an der schon mehr als 650.000 Menschen teilnahmen.
In Deutschland können sich laut der Studie, die hierzulande von ZDF, BR und SWR umgesetzt wird, etwa 80 Prozent der 18- bis 34-Jährigen ein Leben ohne Gott, 70 Prozent ein Leben ohne Auto (Automobilindustrie aufgepasst!) und 52 Prozent ein Leben ohne Kinder vorstellen. Eine Mehrheit von ebenfalls 52 Prozent gab jedoch an, sich nicht vorstellen zu können, ohne Internet glücklich zu sein.
Gut, dass nicht gefragt wird, ob sie sich auch ein Leben ohne Werbung vorstellen können…
Die stupideste aller Lösungen
„Junge Menschen“, sagte kürzlich eine Teilnehmerin der „Im Zentrum“-Talkrunde des ORF, „haben bereits einen Adblocker im Kopf“. Sie blenden Werbung aus. Die Werbung, die ihnen im Netz und anderswo begegnet, ist für sie schlichtweg irrrelevant.
Daran sind die Jugendlichen wohl kaum selbst schuld. Es ist alleine Schuld der Werber, die sich nicht genug mit ihren Zielgruppen auseinandersetzen, die also die junge Generation einfach nicht verstehen (wollen). Da ist es wohl die stupideste aller Lösungen, die Investitionen in Online-Werbung einfach zu steigern.
Nicht sonderlich hilfreich ist dabei die Erkenntnis, dass die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen seit dem Jahr 2000 von 12 auf 8 Sekunden gesunken ist - und damit inzwischen unterhalb der eines Goldfisches liegt. Zu verdanken haben wir das unserem Umgang mit Internet und Smartphones: Wir lassen uns immer häufiger und immer heftiger ablenken. Auch hierauf müssen Werber eine Antwort finden.
Auf einer Veranstaltung der TV-Vermarkter sagte kürzlich der US-Werbeblogger Bob Hofmann: „Marketer kommen vom Mars. Konsumenten aus New Jersey.“ Sinngemäß also: Marketer (und Werber) kommen aus Düsseldorf. Verbraucher aus Castrop-Rauxel. Der Mann hat recht. Wir müssen die Verbraucher dringend besser verstehen (lernen).
Und wir müssen ebenso dringend herausfinden, wie viel Online gut ist für unsere Kampagnen, wie viel Digital wirklich richtig ist. Bevor uns der ganze Digital-Hype um die Ohren fliegt.