Werner knallhart
Alkohol im Alltag: In Fernsehserien und Filmen wird bei jeder Gelegenheit gesoffen, sagt unser Kolumnist. Quelle: imago images

Alkohol als Lösung: Bei Netflix wird dauernd gesoffen!

Wer bei Netflix, Prime Video und den anderen versackt, der muss standhaft bleiben, um nicht als Alkoholiker zu enden. Denn in vielen Serien wird einem bei jeder Gelegenheit etwas vor-getrunken. Man bekommt das Gefühl: Der „Drink“ gehört zum Alltag. Ganz im Sinne der Alkohollobby.

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Im Sommer vergangenen Jahres musste Netflix zu Kreuze kriechen. Der amerikanischen Anti-Rauch-Vereinigung „Truth Initiative“ war es nämlich mittlerweile zu bunt geworden. Sie kritisierte öffentlichkeitswirksam: In der Serie „Stranger Things“, die sich um eine Gruppe Teenager im Bann unheimlicher übernatürlicher Mächte dreht, werde zu viel geraucht. In Staffel zwei sogar 44 Prozent mehr als in Staffel 1.
Bei Stringer Things rauchen zwar nicht die Kinder, aber Kinder und Jugendliche gucken diese Serie. Aber auch die Serien „Orange ist the New Black“, „House of Cards“ und „‚Un-breakable Kimmy Schmidt“ bekamen ihr Fett weg.

Und was verkündet Netflix? In allen Sendungen, die sich an ein Publikum unter 14 Jahren richten, sollen künftig gar keine Zigaretten mehr gezeigt werden - auch keine E-Varianten. Außer dort, wo Rauchen historisch zur faktischen Richtigkeit gehört. Sollte also irgendwann einmal das Leben von Helmuth Schmidt bei Netflix in Serie gehen, wird er dort wohl kein Menthol-Kaugummi in Kette kauen müssen.

Glaubt man der WHO, macht der Schritt Sinn. Denn laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation haben sich 37 Prozent der jungen Raucher von Vorbildern aus Film und Fernsehen dazu inspirieren lassen.

Und was ist mit Alkohol? Ich habe mich zwischen den Jahren durch so einige Serienepisoden und Spielfilme auf Netflix und Amazon Prime Video gestreamt. Nicht alle waren von besagten Streaming-Diensten selber produzierte Inhalte, aber wie auch immer: Mich sprang sie von allen Seiten an: die ewige Sauferei.
Das Bemerkenswerte: Der Alkohol wird in den Filmen und Serien als perfekter und allseits akzeptierter Begleiter in allen Lebenslagen präsentiert.

1. Läuft das Leben gerade schief: Prost!

Ich erinnere mich an eine Folge „How to get away with murder“. Da fragt der Ehemann seine Frau (sie ist erfolgreiche Strafverteidigerin): „Wie war dein Tag?“
Sie geht stumm zum Regal mit den Spirituosen, gießt sich Whiskey ein und kippt ihn ex. Er: „Ach, so schlimm?“
Der Pegel im Glas als Barometer für die Stimmungslage.

Da kommt einer ihrer Mitarbeiter auf eine Uni-Party. Inhalt der Szene: Er sieht seine Flamme (eine aufstrebende Jura-Studentin) mit einem anderen Typen flirten und zieht frustriert direkt wieder ab - nicht ohne noch schnell ein Glas Hochprozentiges von der Bar zu greifen, direkt in den Hals zu kippen. Und ab nach Hause. Aber eben erst noch schnell drei Sekunden was gekippt. Weil er ja schließlich schlecht gelaunt ist.

Bei der Marvelous Misses Maisel auf Amazon Prime Video (Achtung: Spoiler!) ist das Saufen lustig. Da heiratet sie im Suff ihren bezaubernden Ex in Las Vegas und alle Zuschauer so: YES! Die richtige Entscheidung dank Alkohol. Nüchtern waren sie ja nicht in der Lage, ihre wahren Gefühle zu erkennen.

Und auch sonst: Bekommen Freunde und Kollegen mit, dass jemandem eine Laus über die Leber gelaufen ist, sagen sie meistens: „Ich glaube, du brauchst jetzt erstmal einen Drink.“

Kommt das Unheil einmal ganz geballt, dann muss es eben eine riesige Party zum Wegfallen und Vergessen sein. Standard-Szene: Einer der guten Kumpel, die ja nur aufmuntern wollen, kommt mit einem Arm voll Cocktailbechern und Bierflaschen vom Tresen zur Sitzecke und wer noch schmollt, wird von der Gruppe überredet mitzusaufen. Dann wird es gleich besser.
Und wenn der Schatz Schluss macht, säuft man eben schon direkt schnell in der U-Bahn. Weil der Liebeskummer eben auch unterwegs wehtut. Bei Netflix und Co. normal.

Der „Drink“ als der gute Freund des vom Leben Gebeutelten.

2. Alkohol zur Entspannung: Was sonst?

Wie kann man in einer Serie darstellen, dass jemand von einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause kommt und erstmal runterkommen will? Antwort: Er öffnet den klirrenden Kühlschrank, greift sich eine der vielen gut gekühlten Bierflaschen (meistens Heineken oder Coors), dreht den Verschluss ab, schluckt und stöhnt zufrieden „aaahhhh!“

Sitzt jemand auf seiner Südstaaten-Veranda und guckt in den Sternenhimmel: Flasche in der Hand.

Wein für die Weitsicht, niemals Pfefferminztee

Ist Feierabend noch weit, darf es aber auch ein Schlückchen von der Büro-Bar sein. Ich war schon als Teenager fasziniert davon, dass bei „Dallas“ alle Öl-Magnaten immer einen Whiskey-Rollwagen mit geschliffenen Kristallgläsern herumstehen hatten - und einen Behälter mit Eiswürfeln. Zum spontanen Süffeln nach Lust und Laune: „Kommen Sie rein! Einen Drink?“
Daran hat sich offenbar bis heute nichts geändert. Und betrifft auch Anwälte und Staatsanwälte und den Betrieb im Weißen Haus (siehe „House of Cards“). Nur Polizisten bunkern in Amerika ihren Stoff im Schränkchen unterm Schreibtisch oder im Auto. Falls mal was ist.

Sogar in der Fantasiewelt von „Game of Thrones“ ist der Gewitzteste von allen ein Alkoholiker, der sich sein mittelalterliches Leben mit Wein erträglich säuft: Tyrion Lannister. Berühmtes Zitat: „That´s what I do: I drink and I know things.“ Ja, wie soll man bei der Weitsicht auf die Welt ohne Alkohol Ruhe finde? Wir fühlen einfach mit ihm.

3. Man trifft sich in der Kneipe

Im echten Leben spielt sich Austausch unter Menschen oft am Telefon ab. Im Gespräch oder per WhatsApp. Diese Art von Kommunikation auf den Bildschirm zu bringen, wäre langweilig. Da schreibt der eine etwas über WhatsApp und der andere schreibt zwei Stunden später was zurück. Realistisch aber dramaturgisch unglücklich.

Aus diesem Grund kommen die Tatort-Kommissare in der ARD immer überall persönlich zum Quatschen vorbei. Und aus diesem Grund treffen sich auch die Protagonisten in den amerikanischen Serien vor Ort. Gefühlt selten mal im Park oder auf ein Stück Kuchen im Café. Dafür oft im Diner oder direkt an der Bar: Der eine hat schon was im Glas, der andere kommt dazu und sagt dem Bartender, der gerade am Tresenwischen ist: „Für mich das Gleiche.“

Und schwupp geht’s wieder los. Einfach nur, damit sich optisch etwas tut, wenn der Detektiv einen Informanten ausquetscht. Würde da jemand der Beteiligten sagen: „Für mich einen Pfefferminz-Tee“, der konditionierte Zuschauer würde sofort skeptisch: Hat da etwa jemand was gegen Alkohol?

Ja, ich spreche hier von Thrillern, Polizei-Serien und Dramen. Klar, dass dort mehr Hartes weggehauen wird als in Dokumentationen über die Unterwasserwelt im Roten Meer.
Aber wirklich zu jeder Tageszeit, zum Trost, auf gutes Zureden, zum Dampf ablassen. Noch gar nicht erwähnt habe ich den Alkohol beim Feiern in den Serien: von der Highschool-Party mit der berühmten roten Bowle über Geburtstagspartys mit der ganzen Belegschaft bis zum Staatsbankett: Wenn es richtig schön sein soll, fließt Champagner und werden Cocktails geschüttelt.

Und wer zuhause vorm Fernseher dabei zuguckt, versteht: Es ist völlig normal, Stress, Frust und Freude mit Alkohol zu kombinieren. Für extra viel Emotionen, für extra viel Feierlichkeit. Ist was los in deinem Leben? Gönn dir einen Drink. Alkohol ist zwar auch realistischer Teil unserer echten Welt. Und beim Saufen zuzugucken, hat einen gewissen Unterhaltungswert. Aber so geballt und immer? Ich frage mich echt, ob da nicht die Alkohollobby ihre Hände im Spiel hat. Denn warum sollte der Nachahm-Effekt bei Alkohol geringer sein als bei Zigaretten?

Googlen Sie mal „Game of Thrones“ und Whisky. Johnny Walker ist gerade bei Amazon im Angebot - in der „Game of Thrones“-Edition.

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