Russland hat nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine erstmals offen mit einem Gas-Lieferstopp durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 gedroht. „Wir haben das volle Recht, eine „spiegelgerechte“ Entscheidung zu treffen und ein Embargo zu erlassen auf die Durchleitung des Gases durch die Pipeline Nord Stream 1, die heute maximal mit 100 Prozent ausgelastet ist“, sagte der russische Vize-Regierungschef Alexander Nowak in einer am Montagabend ausgestrahlten Rede im Staatsfernsehen. Er äußerte sich mit Blick auf die gestoppte Leitung Nord Stream 2, deren Inbetriebnahme Russland anstrebt.
„Aber noch treffen wir diese Entscheidung nicht. Niemand gewinnt dabei“, sagte Nowak. Allerdings sehe sich Russland inzwischen durch die europäischen Politiker und ihre Anschuldigungen in diese Richtung gestoßen. Die Bundesregierung hatte die umstrittene Pipeline gestoppt, nachdem Russlands Präsident Wladimir Putin am 22. Februar die abtrünnigen „Volksrepubliken“ im Donbass anerkannt hatte.
Russland verfolge die Äußerungen westlicher Politiker, die sich von russischem Gas und Öl lösen wollten, meinte Nowak. Die EU-Politiker würden durch ihre Handlungen die Energiepreise inzwischen überhitzen. Nowak warnte davor, Öl-Importe aus Russland zu verbieten. Dies würde zu einem unberechenbaren Preisanstieg führen: „Es wären 300 Dollar je Barrel, wenn nicht mehr.“
Russland gilt als größter Öllieferant in Europa - mit 30 Prozent des jährlichen Verbrauchs von 500 Millionen Tonnen. „Es ist völlig offensichtlich, dass der Verzicht auf russisches Öl zu katastrophalen Folgen auf dem Weltmarkt führt“, betonte Nowak. „Die europäischen Politiker sollten ihre Bürger und Verbraucher ehrlich davor warnen, dass die Preise dann fürs Tanken, für Strom und für das Heizen in die Höhe schießen.“ Die Rohstoffmacht sei vorbereitet und werde andere Absatzmärkte als Europa und die USA finden, sagte Nowak. „Europa verbraucht heute 500 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr, 40 Prozent davon sichert Russland“, erklärte der Politiker. Über alle Krisen hinweg habe das Land stets zuverlässig geliefert und leite zudem weiter Gas durch die Ukraine und über andere Wege nach Europa. In seiner Rede warnte Nowak, die Nationalisten könnten bei den Kämpfen in der Ukraine einen Anschlag auf das Durchleitungssystem verüben. Russland werde alles tun, um eine Eskalation zu verhindern.
Nord Stream 1 ist seit etwa einem Jahrzehnt ein wichtiger Strang für die deutsche Gasversorgung. Pro Jahr liefen bislang 60 Milliarden Kubikmeter Gas über die Pipeline. Sie läuft von Russland aus durch die Ostsee bis Mecklenburg-Vorpommern.
Die EU bezieht 45 Prozent ihres importierten Erdgases aus Russland. Aus einem den Nachrichtenagenturen dpa und Reuters vorliegenden Entwurf geht hervor, dass die EU-Staaten eine größere Unabhängigkeit von russischer Energie anstreben. Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet in Berufung auf informierte Kreise, dass die Europäische Kommission noch in diesem Jahr den Importbedarf des Erdgases um fast 80 Prozent senken möchte. Demnach sollen bereits in diesem Jahr neue Gasquellen erschlossen und die Energieeffizienz erhöht werden, hieß es. Bereits deutlich vor 2030 will die EU ganz unabhängig von Russland sein – früher als zuvor geplant.
„Ich denke, dass wir morgen einen Plan vorlegen können, der unsere Abhängigkeit von russischem Gas bereits in diesem Jahr erheblich verringert und uns innerhalb weniger Jahre von russischen Gasimporten unabhängig macht“, sagte EU-Klimachef Frans Timmermans am Montagabend vor dem Europäischen Parlament. „Ich denke, das ist möglich. Es ist nicht einfach, aber machbar.“
Eine deutliche Mehrheit der Deutschen wäre jedenfalls offenbar bereit, diesen Weg zu gehen, fände einen vollständigen Importstopp von russischem Gas richtig. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für die WirtschaftsWoche hervor. Mehr dazu lesen Sie hier: Mehrheit der Deutschen für vollständigen Importstopp von russischem Gas
Die Kommission ist der Ansicht, dass die EU bereits über genügend Gas verfügt, um den Rest des Winters zu überstehen, selbst wenn die russischen Lieferungen abrupt abbrechen würden, berichten Personen, die mit der Einschätzung vertraut sind. Sie wird den Mitgliedstaaten empfehlen, jetzt mit dem Auffüllen der Speichertanks zu beginnen, damit sie für den nächsten Winter gerüstet sind.
Insgesamt habe die EU nach Ansicht der Kommission das Potenzial, von den 155 Milliarden Kubikmetern Gas, die sie derzeit aus Russland importiert, effektiv 112 Milliarden Kubikmeter zu ersetzen. Davon sollen bis zu 50 Milliarden Kubikmeter aus neuen Flüssiggas-Quellen stammen, 10 Milliarden Kubikmeter über Pipelines von anderen Lieferanten kommen und das Äquivalent von 20 Milliarden Kubikmetern soll von neuen Windenergiekapazitäten kommen, die die Nachfrage nach Gaskraftwerken reduzieren. Der Ausstieg aus russischem Öl und Kohle könnte einfacher sein als bei Gas, da die EU über eine breitere Palette alternativer Lieferanten verfügt, an die sie sich wenden kann, so ein Beamter.
EU-Minister haben darüber gesprochen, auch Ölimporte aus Russland zu sanktionieren, aber es gibt darüber keinen Konsens, und Bundeskanzler Olaf Scholz hat gesagt, dass russische Lieferungen vorerst „unverzichtbar“ bleiben.
Die USA diskutieren ihrerseits über ein Stopp von Öl-Importen aus Russland. Der Öl-Preis stieg zuletzt auf den höchsten Stand seit mehr als 13 Jahren von über 139 Dollar je Barrel (159 Liter).
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