Flüssigerdgas-Terminal LNG-Terminal: Feiert sich Wilhelmshaven zu früh?

Quelle: Florian Güßgen für WirtschaftsWoche

In Wilhelmshaven ist der Anleger fertig, an dem im Dezember das erste schwimmende LNG-Terminal vertäut werden soll. Deshalb feiern die Niedersachsen kräftig die neue „Deutschlandgeschwindigkeit“ – etwas voreilig.

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Gut, es geht um viel, das stimmt schon: Deutschlands erstes schwimmendes LNG-Terminal, die Unabhängigkeit von Putins Gas, all das. Und deshalb haben die Niedersachsen es am Dienstagvormittag in Wilhelmshaven auch richtig krachen lassen, mit einer Art Partyschiff in Sachen LNG, in Sachen Flüssigerdgas. Sie haben das Cuxhavener Ausflugsschiff „Fair Lady“ gechartert und sind am Vormittag mit Landesministern, Projektleitern und vielen Kameras und Fotos vom Wangeroogkai dorthin gefahren, wo Deutschland demnächst ein Stück unabhängiger werden soll: In das Gewässer vor der Schleuse Hooksiel, hin zu jenem Anleger, an dem Mitte Dezember die „Esperanza“ vertäut werden soll.

Dieses schwimmende Terminal, im Fachjargon Floating Storage and Regasification Unit (FSRU) genannt, wird der Bundesregierung von der norwegischen Reederei Höegh vermietet und soll künftig das gekühlte LNG aus Tankern erwärmen und in Gas verwandeln – und Deutschland so von Wilhelmshaven aus mit 5 bis 7,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr versorgen. Neben dem schwimmenden Terminal in Wilhelmshaven soll in diesem Jahr noch ein weiteres FSRU in Brunsbüttel in Schleswig-Holstein in Betrieb gehen, im nächsten Jahr kommen, so der Plan, FSRUs in Stade in Niedersachsen sowie in Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern dazu und auch in Wilhelmshaven soll ein weiteres FSRU festgemacht werden.

Es ist tatsächlich ein beachtliches Etappenziel, das sie in Niedersachen erreicht haben. Für „mindestens 56 Millionen Euro“, wie es heißt, hat der staatliche Hafenbetreiber Niedersachsen Port den Anleger für das Terminal fertiggestellt, errichtet von den Firmen Depenbrock Ingenieurwasserbau und Kurt Fredrich Spezialtiefbau. In 194 Tagen, das feiern sie hier, ist das geschafft worden. Gezählt wird ab dem 5. Mai. An jenem Tag ist hier der erste „Rammschlag“ gesetzt worden, mit Festzelt, Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne), Terminalbetreiber Uniper und dessen Chef Klaus-Dieter Maubach sowie in Gegenwart der Chefs jener zwei Reedereien, Höegh und Dynagas aus Griechenland, die ihr Glück angesichts der traumhaften Mietpreise von angeblich mehr als 100.000 Euro am Tag kaum fassen konnten.

Seither, auch das beschreiben sie auf einem Plakat, das Niedersachsen Port im Leib der „Fair Lady“ aufgehängt hat, sind 194 Pfähle in den Boden gerammt, Zugangsstege auf einer Länge von 350 Metern gebaut, rund 3000 Kubikmeter Beton verarbeitet worden. Auf den Vertäudalben haben sie Sliphaken befestigt. Für den 11. November war die Fertigstellung des Anlegers geplant. Nur ein paar Tage später nun erfolgt die fast schon religiös zelebrierte „Staffelübergabe“ an den Betreiber Uniper, der nun noch Anlagen auf dem Anleger fertigstellen muss. Auch die rund 28 Kilometer lange Leitung des Essener Fernleitungsnetzbetreibers Open Grid Europe (OGE) von Wilhelmshaven zum Netzknotenpunkt in Etzel muss noch fertiggestellt werden.

„Deutschland blickt heute nach Wilhelmshaven“

Es ist noch nicht alles fertig. Aber egal. Gefeiert wird trotzdem. Vor allem der neue niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) nutzt die Chance, auf diesen Erfolg aufmerksam zu machen. Lies wohnt um die Ecke, in Sande. Bis zur vergangenen Woche war er als Teil der bis dahin in Hannover regierenden Großen Koalition aus SPD und CDU noch Energie- und Umweltminister – und hat in dieser Funktion den zügigen Aufbau der schwimmenden LNG-Terminals zu seinem ganz persönlichen Projekt gemacht. Immer wieder hat er dabei von der „neuen Deutschlandgeschwindigkeit“ gesprochen, die bei diesem Projekt bei Genehmigung und Bau an den Tag gelegt werden müsse. Entsprechend hoch hängt er bei dem PR-Termin an diesem Vormittag das Erreichen des Etappenziels. „Deutschland blickt heute nach Wilhelmshaven“, sagt er laut Pressetext. „Niedersachsen hat binnen kürzester Zeit geliefert, und das in der viel beschworenen Deutschlandgeschwindigkeit“. Bei der Live-Rede im Schiffbauch sagt Lies: „Dieser Tag ist ein Mutmachertag, weil er zeigt, dass wir in Deutschland in der Lage sind, Projekte schnell zu realisieren.“ Und er verspricht, dieses Tempo sei ein „Merkmal zukünftiger Projekte“.

Allerdings sagt Lies auch, dass die schwimmenden LNG-Terminals „kein Schritt zurück“ seien in ein fossiles Zeitalter. Im Gegenteil. Sie seien „Sprungbretter“ in eine Zukunft, in der grünes Methan, also umgewandelter Wasserstoff, über Wilhelmshaven importiert werden könne. Immer wieder hat es Mahnungen gegeben, dass die Konzentration auf den Import von Flüssigerdgas die Rolle fossiler Energien überbetone und daher falsche Zeichen setze. In Wilhelmshaven sehen sie das freilich anders. Für sie soll Wilhelmshaven künftig „Energie-Drehscheibe“ Deutschlands sein, ob für LNG oder grüne Energien. Für Deutschland, sagt Lies, sende Wilhelmshaven an diesem Tag „für diesen Winter ein wichtiges Signal“. Er sagt aber auch, dass der nächste Winter „uns viel größere Sorgen“ bereite. Dann nämlich sei es – ohne russisches Gas – schwerer, die Erdgasspeicher so zu füllen, wie sie heute gefüllt sind.

Kritik von der Umwelthilfe

Manche haben an diesem Tag den Eindruck, dass trotz aller LNG-Euphorie etwas früh gefeiert wird in Wilhelmshaven, auch weil Medien den Eindruck erwecken, das Terminal sei nun betriebsbereit. Das stimmt aber nicht. Uniper, der demnächst verstaatlichte Gas-Importeur, muss die „Suprastruktur“ auf dem Anleger noch fertigstellen. Das sind zwei jeweils 50 Tonnen schwere Verladearme und eine rund drei Kilometer lange Leitung an Land, durch den Deich hindurch. Rohre auf einer Länge von 250 Metern sind bereits verschweißt. Es sieht also gut aus, auch der Projektleiter ist optimistisch. Bisher war das milde Wetter ein Geschenk. Alle Gewerke sind gut vorangekommen. Aber gearbeitet wird auf See. Sicher ist noch nichts. Und auch die Pipeline an Land, jene knapp 28 Kilometer nach Etzel, ist im Plan, aber noch nicht fertig. Zwar sind alle Rohre verlegt, die kritischen Arbeiten sind durch, vermutlich kann der 21. Dezember, der avisierte Termin, locker gehalten werden. Aber auch hier gilt: Noch ist die Leitung nicht funktionstüchtig.

Kritik gibt es an dem Projekt ohnehin, trotz aller Geschwindigkeit. Umweltverbände, allen voran die Deutsche Umwelthilfe (DUH), fordern etwa, dass Uniper seine Anlagen nicht mit Chlor reinigen solle. Auch Christian Meyer, der neue niedersächsische Umwelt- und Energieminister (Grüne), Lies Nachfolger, ist an diesem Dienstag an Bord der „Fair Lady“. Er verspricht, es werde keinen „Umweltrabatt“ geben.

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Aber ohnehin kann die Feierlaune an Bord der „Fair Lady“ an diesem Tag wenig trüben. Gereicht wird Labskaus und zum Abschied gibt es sogar kleine, braune Geschenktüten von „Niedersachsen Ports“. Darin: Schokolade, ein Meterstab, eine Wollmütze und eine Corona-FFP2-Maske. Was man eben so braucht. Im Dezember, wenn die „Esperanza“ dann da ist und auch schon eine erste Ladung LNG in ihrem Bauch hat, soll dann, wieder getränkt mit Symbolik, auch tatsächlich ein Gashahn aufgedreht werden, vermutlich in Anwesenheit auch von Bundespolitikern. Geschwindigkeit, das ist schließlich etwas, dessen man sich in Deutschland nicht allzu oft brüsten kann.  

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