Umstrittener CO2-Ausgleich Sind Milch und Hähnchenfleisch klimaneutral?

Klimaneutrales Hähnchen-Brustfilet. Quelle: Foodwatch

Mit einer Eukalyptusfarm in Uruguay wollten Rewe und Aldi Emissionen von Hähnchenfilet oder Milch ausgleichen. Recherchen weckten Zweifel, ob das Projekt tatsächlich CO2 einspart. Rewe zieht Konsequenzen – Aldi nicht.

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Wo vorher kahles Weideland war, sollte nun ein Wald entstehen. Im zentralen Westen Uruguays sollten Bäume auf einer Fläche rund 20.000 Hektar in den Himmel wachsen. Und mit jedem Jahr, das sie älter und stärker würden, sollten sie Treibhausgase wie CO2 binden und so einen positiven Effekt für das Klima schaffen. Treibhausgase, die zum Beispiel entstehen, wenn die Verbraucher in Deutschland Milch oder Hähnchenfleisch aus dem Supermarkt verzehren.

Nur ist dieser Wald kein Urwald, wie sich viele Verbraucher und Verbraucherinnen das vielleicht vorstellten, sondern vielmehr eine industriell hochgezogene Plantage, die aus australischem Eukalyptus und einigen Kiefern besteht. Beide Baumarten sind hochbegehrt in der Forstwirtschaft – Kiefer als Holz für Möbel, Eukalyptus als Sperrholz für Möbel und den Bau, aber auch als Zellstoff für die Papierindustrie.

In einem weltweiten Handel können Treibhausgase, die in Industrienationen entstehen, im globalen Süden durch Aufforstung und andere Umweltprojekte ausgeglichen werden. Das ist das Versprechen von freiwilligen Kompensationsprojekten, international bekannt als „Clean Development Mechanism“, kurz CDM. Ein Markt, der milliardenschwer ist. Touristen beteiligen sich mit ein paar Euros an solchen Projekten, um ihre Urlaubsflüge auszugleichen. Und große Konzerne und Handelsketten investieren in Zertifikate, um die Emissionen für ihre Produkte auszugleichen und diese dann als „klimaneutral“ bewerben zu können.

Industrielle Plantage statt Urwald

Bisher. Denn der Markt ist umstritten. Kritiker fürchten, dass Konzerne sich weniger darum bemühen, die eigenen Emissionen zu reduzieren – und stattdessen einfach Zertifikate von billigen Ausgleichsprojekten kaufen. Viele Projekte erfüllen nicht das Bild, das Verbraucher von Umwelthilfe haben.

Rewe macht deshalb nun eine überraschende Ankündigung: Der Konzern teilt mit, dass „Rewe keine Eigenmarken-Produkte mehr als klimaneutral bewerben wird“. Auch die Eigenmarken Rewe Bio+vegan würden zukünftig nicht mehr mit „klimaneutral“ ausgelobt, sagt ein Sprecher. Man wolle „gänzlich darauf verzichten“.

Dabei hatte Rewe noch bis vor kurzem Kompensationszertifikate im großen Stil gekauft, auch von dem Eukalyptuswald in Uruguay. Wie aus den frei zugänglichen Projektunterlagen hervorgeht, ließ Rewe insgesamt 21,7 Millionen Kilogramm CO2 ausgleichen – um die Produkte seiner Eigenmarke „Rewe Bio + vegan“ im Zeitraum von Januar bis August 2022 klimaneutral zu stellen. Die Molkerei Gropper, die Milch für die Eigenmarken von Aldi und Netto herstellt, kaufte über den Dienstleister Climate Partner ebenfalls große Mengen Zertifikate.

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Die Handelshäuser zogen damit viel Kritik auf sich. Recherchen des ZDF-Magazins Frontal 21 und der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch weckten schnell Zweifel, ob das Projekt Guanaré in Uruguay tatsächlich seine Versprechen erfüllt. In der Region gibt es viele solche Eukalyptus-Plantagen, wie sich schon mit Satellitenbildern auf Google Maps schnell feststellen lässt. Wären die Bäume also nicht vielleicht ohnehin gepflanzt worden? Dann gäbe es keinen zusätzlichen Klimanutzen durch die Zertifikate für das Projekt. Und was, wenn das Holz nicht zu Möbeln oder Baustoffen, sondern zu Zellstoff verarbeitet wird? In Papierprodukten bleibt das CO2 nicht zwingend langfristig gebunden. Laut Projektunterlagen setzten die Eigentümer außerdem Pflanzenschutzmittel wie Glyphosat ein – auch das gilt nicht gerade als umweltfreundlich.

Climate Partner, die das Projekt in Deutschland an willige Käufer vermittelten, wiesen die Kritik zurück: Die Vorwürfe von Frontal 21 und Foodwatch „sind in weiten Teilen falsch, tendenziös, irreführend und widerlegbar“, schreibt das Unternehmen auf seiner Internetseite. Das Projekt entspreche den international geltenden Standards.

Doch auch wissenschaftliche Studien deuten darauf hin, dass bei vielen freiwilligen Kompensationsprojekten Zweifel an ihrem Klimanutzen angebracht sind. So untersuchte das Öko-Institut bereits 2016 in einer Studie für die EU-Kompensation über 5000 Ausgleichsprojekte. Das Ergebnis: Bei 85 Prozent der Projekte ist es unwahrscheinlich, dass es zu „realen, messbaren und zusätzlichen“ CO2-Einsparungen kommt. Nur bei zwei Prozent der untersuchten Projekte hielten die Wissenschaftler reale Einsparungen für wahrscheinlich, bei 13 Prozent immerhin für eher möglich.

Aus Sicht der Verbraucherorganisation Foodwatch ist die Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ ohnehin missverständlich: „Anhand eines Siegels lässt sich nicht erkennen, ob die Unternehmen Anstrengungen unternehmen, ihre eigenen Emissionen zu senken oder ob sie einfach nur Ausgleichszertifikate kaufen“, sagt Rauna Bindewald, Expertin bei Foodwatch. „Wenn ausgerechnet tierische Produkte wie Hähnchenfleisch oder Milch als klimafreundlich beworben werden, ist das besonders irreführend“, sagt sie. Denn hundert Prozent der Emissionen lassen sich bei der Zucht von Milchkühen oder Hühnern nicht vermeiden. „Das sind unökologische Produkte, für die es verboten sein sollte, sie als klimaneutral zu bewerben“, so Bindewald.

Als irreführend abgemahnt

Schon im Februar hatte Foodwatch Rewe wegen irreführender Werbung abgemahnt. Damals hatte Rewe Hähnchenfilets seiner Marke „Wilhelm Brandenburg“ als klimaneutral beworben und dafür Zertifikate eines ebenfalls umstrittenen Projekts in Peru erworben. Die Supermarktkette unterschrieb eine Unterlassungserklärung und verpflichtete sich damit, nicht mehr auf Basis des Projektes in Peru Produkte als „klimaneutral“ zu bewerben.

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Mit dem vollkommenen Verzicht auf das Label „klimaneutral“ geht Rewe nun noch einen Schritt weiter. Restbestände sollen zwar noch abverkauft werden, erklärt ein Sprecher. „Wir können die Lebensmittel, die sich noch in den Märkten mit der Aufschrift „klimaneutral“ befinden, nicht vernichten.“ Das Unternehmen kaufe jedoch zusätzliche Zertifikate von einem Windkraft-Projekt in Chile ein, damit sichergestellt sei, dass die Emissionen für die Produkte wirklich ausgeglichen sind. Künftig will Rewe mit dem Naturschutzbund (NABU) zusammenarbeiten, und 25 Millionen Euro in die Renaturierung von Mooren in Deutschland investieren. Weil Projekte innerhalb Europas nicht unter die internationalen Regelungen zum Ausgleich von Emissionen fallen, kann Rewe diese jedoch nicht nutzen, um Produkte als klimaneutral zu bewerben.

„Es ist ein Fortschritt, wenn Rewe aus dieser irreführenden Werbung aussteigt“, lobt selbst Bindewald von Foodwatch. „Aber das geschieht rein freiwillig, andere können weiter mit dem Begriff klimaneutral werben.“

Aldi wirbt unverdrossen weiter

So zum Beispiel der Konkurrent Aldi. Der Discounter hatte unter anderem seine „Landmilch“ der Marke „Fair & Gut“ als klimaneutral beworben – ebenfalls mit Zertifikaten vom Eukalyptuswald in Uruguay. „Unser primäres Ziel ist es, Emissionen wo immer möglich zu vermeiden oder zu verringern. Darüber hinaus setzen wir vereinzelt auf den Ausgleich von Treibhausgasemissionen durch ausgewählte Klimaschutzprojekte“, erklärt der Konzern. Die Vorwürfe gegen den Forst in Uruguay und andere Projekte habe Aldi gemeinsam mit seinen Partnern umfangreich geprüft und sei dabei zu dem Schluss gekommen, „dass die genannten Projekte den strengen und allgemein anerkannten Anforderungen zur CO2-Kompensation vollumfänglich entsprechen.“ Auch künftig wolle Aldi „weiter mit Kompensationsprojekten zusammenarbeiten, diese regelmäßig überprüfen und kontinuierlich weiterentwickeln.“

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