Werner knallhart
Quelle: imago images

Aerosole im Winter: Jetzt lange Unterhosen kaufen!

Decken Sie sich und Ihre Kinder jetzt schon mit warmer Ski-Unterwäsche ein. Unsere Schulen sind mit geschlossenen Fenstern altmodische Schlechtluft-Fallen. Und unsere Restaurants müssen auch im Winter auf Durchzug schalten, um zu überleben. Das wird kalt!

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Am Wochenende bin ich mit einem ICE gefahren, in dem auch eine Horde von Maskenverweigerinnen mit gefahren ist. Zu viert stiegen sie gesichtsnackt und keuchend am Berliner Hauptbahnhof ein und als eine verunsicherte alte Dame sie ansprach: „Würden Sie bitte auch Masken tragen?“, da hatten diese Corona-Rebellen den großen Auftritt, in den sie sich wohl schon seit dem Hotelfrühstück ganz aufgekratzt reingeträumt hatten. Wie im Chor krähten sie triumphierend: „WIR HABEN ATTESTE!“ Es war so bizarr. Dann schwärmten sie feixend davon, wie schön doch die Demo in Berlin gewesen sei. Und knallten dann dem dazu geholten Zugbegleiter vier augenscheinlich echte Atteste hin. Diesen Arzt sollte sich diese Bande warmhalten. Falls mal blaumachen oder ein Versicherungsbetrug ansteht.

Die wirklich engagierten Zugbegleiter waren machtlos: „Wir müssen die ohne Maske mitfahren lassen.“ Und sie gestanden beide ein, dass sie sich von ihrem Arbeitgeber, der Deutschen Bahn, im Stich gelassen fühlen. Ja, es gibt Fälle, in denen Menschen wirklich keine Maske vertragen. Die sollen ein Attest bekommen. Aber nicht diese vier auf Demo-Kaffeefahrt.

Bei der Lufthansa gilt seit Anfang September: Sie haben ein Anti-Masken-Attest? Kein Problem. Dann legen Sie einfach einen frischen negativen Corona-Test vor. Können Sie nicht? Dann geht die Flugzeugtür jetzt leider vor Ihrer nackten Nase zu.

Aber während wir immer noch Blankvisagen bei ihrer kleinen privaten Pandemie-Revolution zugucken müssen, kommt es ja noch doller und das wird uns im Winter frieren lassen. Die Alltagsmasken, die alle tragen, halten im Wesentlichen ja die größeren Tröpfchen zurück, die wir beim Reden, Husten, Niesen raushauen. Doch Forschungsergebnisse des Hermann-Rietschel-Instituts an der Technischen Universität Berlin belegen: Im Wesentlichen stoßen wir Aerosole aus.

Und die werden durch die Masken zwar gebremst und umgeleitet, aber nicht zuverlässig rausgefiltert.

In einem schlecht gelüfteten Raum verteilen sich Aerosole in kürzester Zeit in jede Ecke. In einem ungelüfteten Klassenraum eines einzigen Schülers in rund zwei Minuten.

Der Ingenieur Martin Kriegel, Leiter des Hermann-Rietschel-Instituts an der Technischen Universität Berlin, hat dem NDR-Podcast Corona Virus Update gesagt: Beim normalen entspannten Atmen stoßen wir ungefähr fünfzig Aerosol-Partikel pro Sekunde in die Raumluft ab. Nach einer Stunde sind das demnach das 3600fache, also: 180.000 Partikel. Pro Person.

Eine Schulklasse von 25 Schülern hätte in einer 45-minütigen Schulstunde also knapp 3,4 Millionen Aerosol-Partikel ins Klassenzimmer geatmet. Ähnlich können wir es nun für jedes Restaurant, jede Bar, jedes Wohnzimmer bei Privatfeiern ausrechnen.

Jetzt müsste man nur noch wissen, wie viele von diesen Tröpfchen mit Coronaviren belastet sein müssen, damit sich jemand beim Einatmen infiziert. Das ist wissenschaftlich offenbar noch nicht geklärt. Und das ist der Knackpunkt. Denn wie soll man so coronasichere Raumbelüftungskonzepte entwickeln?

Klar ist zumindest: 1.Aerosole können „aktive“ Coronaviren tragen.

2. Menschenansammlungen in geschlossenen Räumen sind die typischen Superspreading-Events.

Es bleibt uns vorerst also erstmal nur die Devise: frische Luft rein. Je weniger virenbelastete Aerosole, desto besser.

Unsere Schulen, privaten Wohnungen und auch Restaurants, Cafés und Bars sind aerosolbetrachtet eine einzige Katastrophe: Weil wir seit Jahrzehnten versäumt haben, Belüftungsanlagen einzubauen, die auch in kalten Wintertagen durchgängig für frische Luft sorgen. Und überall dort halten sich Menschen ja sogar ohne Maske auf. Schnitzel und Kuchen gehen anders als Aerosole eben nun einmal wirklich nicht durch eine Maske.

Corona-Aerosole: Wir müssen uns warm anziehen

Und ja, wir haben da echt gepennt. Nehmen wir mal die Schulen: Man braucht keine Pandemie, um sich zu schämen. Wir lassen unsere Kinder seit Jahrzehnten wissentlich in miserabler Piefluft sitzen. Martin Kriegel wundert sich, warum bis heute Schulen ohne zeitgemäße Belüftungsanlagen gebaut werden. Denn Klassenzimmer sind einfach schlecht gelüftete Räume: „Nach einer Viertelstunde sind eigentlich schon alle Luftqualitätsgrenzwerte gefallen.“ Und das ist eben auch ohne Corona eine Zumutung. Die hohe CO2-Belastung allein zehrt an der Konzentrationsfähigkeit. Das ist lange bekannt.

Und wir wissen auch, wie uns die Luft in vielen gastronomischen Betrieben entgegenschlägt, wenn man im Winter eintritt. Es riecht da schon mal nach Bratensoße, Bier, Parfüm, Spülmaschine, Schweiß und heißem Öl. Aber nicht nach Sauerstoff.

Unterm Strich: Schulen und Gastro fehlt frische Luft, wenn wie im Winter die Fenster zu sind. Es fehlen die Luftschlitze in Boden und Decken, dank derer frische, wohl temperierte Luft so durchströmt, dass die Aerosole (und CO2 und Deoduft gleich mit) schnell unauffällig abziehen. Wir müssen einfach im großen Stil pandemiesicher umbauen. Sagen Experten. Aber das wird teuer und wird dauern. Was machen wir also jetzt?


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Antwort: Durchzug. Das Problem: Das, was wir im Sommer gemacht haben - den Kaffee draußen getrunken, die Fenster der Klassenzimmer aufgerissen - das wird schon jetzt eine ziemlich kühle Sache. Im Herbst und Winter wird das schneidend kalt. Aber was ist besser: 23 Grad mit Corona-Aerosolen oder 15 Grad in frischer Luft, aber mit Eiszehen?

Es gibt bis zur Impfung nur eine Lösung, die Wärme und Frische verspricht. Fenster weit auf (Kippen reicht nicht) und wärmer anziehen. Den muckeligen T-Shirt-Winter in hochgeheizten Räumen können wir dann im Kreise der Familie zu Hause feiern. In Schulen und Gastro gilt:

  • lange Unterhose
  • Longsleeves
  • Daunenwesten (gibt es auch beheizbar)
  • Schal
  • Wollsocken
  • Lammfell-Einlegesohlen
  • Am USB-Anschluss aufladbare Handwärmer
  • Heizdecken
  • Handschuhe, mit denen auch Displays von Tablets bedient werden können (zumindest an den Schulen, die schon zeitgemäß arbeiten)

Ich möchte hier ja auf keinen Fall Hamsterkäufe anzetteln. Aber wenn wir uns jetzt schon einmal danach umgucken und nach und nach eindecken, dann kann der Handel in Ruhe nachordern.
Die Alternative ist: zu wenig lüften. Das könnte im Desaster enden.



Wir müssen uns warm anziehen. Weihnachtsmarktverkäufer kennen das. Und werden es uns hier und da in diesem Winter vielleicht ja auch wieder vorleben dürfen.

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Schon im Hochsommer kommt es immer wieder zu Corona-Ausbrüchen, wenn Leute drinnen feiern. Wie soll das erst im Winter werden, wenn kein Mensch mehr draußen sitzt? Wegen der Aerosole nutzen auch die 1,50 Meter Abstand nicht. Ohne gute Open-Air-Ideen droht doch wohl der große Niedergang. Corona-Aerosole drinnen: Stirbt im Winter unsere Gastronomie?

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