Coronaschock in der Luftfahrt Wie sich Lufthansa die Zeit nach der Krise vorstellt

Quelle: REUTERS

Die Coronakrise bringt die Lufthansa fast zum Stillstand. Doch auch wenn die Linie aktuell nur noch einen von 20 Flügen startet, stellt sie sich bereits für die Zeit nach dem Ende der Pandemie auf.

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Carsten Spohr waren die Anstrengungen der vergangenen Tage und kurzen Nächte deutlich anzumerken, als er am Donnerstagmorgen erstmals vor großem Publikum über die Auswirkungen der Coronakrise sprach. Auf der Jahrespressekonferenz wirkte der sonst so agile Lufthansa-Chef nicht nur ein wenig fahl im Gesicht. Er verhaspelte sich schon bei seinen ersten Sätzen ein wenig. Doch je länger er sprach, umso mehr näherte sich der 53-Jährige seiner gewohnten Form an.

Fast trotzig sprach er schließlich über die Zeit nach dem Ende der aktuellen Krise. „Wir planen bereits was danach passiert“, so Spohr. Er versprach als Arbeitsplan „drastische bis schmerzhafte Maßnahmen“ und für die Zukunft weitere „unangenehme Veränderungen“ anzugehen. Das Ziel: Die Lufthansa der Zukunft soll kleiner, aber stärker und vor allem schlanker werden.

Der Blick nach vorne wirkt derzeit etwas voreilig. Fast alle Kennzahlen sind tief im roten Bereich. Gerade steht die Linie kurz davor, den Flugbetrieb einzustellen. Am Donnerstag haben die Konzerntöchter Austrian aus Wien und die norditalienische Air Dolomit ihre vorläufig letzte Landung, die der belgischen Brussels wird Samstag folgen. Damit sackt der Flugplan auf fünf Prozent der eigentlich für die Zeit vor Ostern geplanten Verbindungen. Das immense Ausmaß des Corona-Schocks ist an jeder Ecke spürbar. „Das vielleicht deutlichste Zeichen ist, dass ich Ihnen unser Flugnetz in weniger als einer Minute aufzählen kann“, so Spohr. Statt der bisherigen vierstelligen Flugnummern käme die Lufthansa mit zweistelligen aus, „fast wie 1955“, sagt er nur halb im Scherz.

Der Rückgang bedroht vor allem die Finanzen des Unternehmens. Bereits bevor Anfang März immer mehr Länder nur noch die eigenen Bürger über die Grenze ließen, hat die Linie lediglich ein Drittel der sonst üblichen Zahl der Tickets verkauft. „Jetzt kommt fast kein Neugeschäft mehr rein“ erläutert Finanzchef Ulrik Svensson, den Lufthansa sicherheitshalber aus seiner Heimatstadt Stockholm zuschaltete.

Zwar betonten Spohr und Svensson rund ein dutzend Mal, wie solide die Finanzen des Konzerns seien: Derzeit gibt es 4,3 Milliarden Liquidität sowie 800 Millionen an ungenutzten Krediten. Weil die Lufthansa rund drei Viertel ihrer Flugzeuge knapp 770 Maschinen schuldenfrei besitze, habe sie bis zu zehn Milliarden Euro an Sicherheiten für weitere Kredite. Dazu spart die Gesellschaft durch ihren Miniflugplan pro Monat rund anderthalb Milliarden Euro an Betriebskosten. Und zu guter Letzt erwartet die Linie noch einen zehnstelligen Betrag aus dem Verkauf ihrer Cateringtochter LSG.

Doch trotzdem gerieten die Manager bei ihrer Litanei zur Lufthansa-Liquidität stellenweise ins Stammeln. Warum, das zeigt ein Blick in die Details eine versteckte Gefahr. So laufen trotz aller Not derzeit noch ein Drittel der Kosten weiter. „Ein im Branchenvergleich niedriger Wert, doch im Moment trotzdem eine hohe Belastung“, sagt Christoph Brützel, Professor für Luftfahrtmanagement an der IUBH International University in Bad Honnef. Unterm Strich zahlt Europas umsatzstärkste Fluglinie immer noch rund 700 Millionen Euro monatlich vor allem für Gehälter, Mieten oder Wartung und andere Arbeiten rund um die Flugzeuge.

Zudem gehört ihr ein großer Teil der Mittel nicht. Dem gut fünf Milliarden Euro dicken Polster stehen große Verpflichtungen entgegen aus den Einnahmen aus bezahlten, aber noch nicht abgeflogenen Tickets für Flüge, die sie jetzt absagen muss. Hier hat die Lufthansa laut einer Schätzung des Analysten Daniel Roeska vom New Yorker Brokerhaus Bernstein gut sechs Milliarden Euro in den Büchern. Zwar bietet die Lufthansa an die Tickets großzügig umzubuchen oder in Form von Fluggutscheinen zu erstatten. Doch wollen die Kunden nur 40 Prozent davon in Bar zurück, weil ihnen angesichts der wachsenden wirtschaftlichen Notlage Cash lieber ist als ein Voucher, wäre von den rund fünf Milliarden flüssigen Mitteln die Hälfte weg. Zusammen mit rund 700 Millionen laufenden Kosten könnte die Lufthansa ohne weitere Kredite spätestens im Hochsommer illiquide sein. „Je länger diese Krise andauert, desto wahrscheinlicher wird es, dass die Zukunft der Luftfahrt ohne staatliche Hilfe nicht gewährleistet werden kann“, warnte Spohr denn auch in Richtung der Bundesregierung. Zumal andere Länder bereits tief in die Tasche gegriffen hatten und somit für die Lufthansa mit „unfairen Bedingungen“ weiter unter Druck setzen.

Als ob das nicht reichen würde, bringt die Krise auch das bislang so profitable Wartungsgeschäft der Konzerntochter Lufthansa Technik ins Wanken. Zwar gebe es nach wie vor eine hohe Nachfrage, so Spohr. Doch er sei nicht sicher, wie lange die Airlinekunden ihre Rechnungen bezahlen können.

Weil Spohr diese Gefahr offenbar kommen sah und er sich nicht allein auf die Gnade der Politik verlassen will, arbeiten er und sein Team bereits seit dem Beginn der Corona-Krise in China nach Kräften daran, den Konzern wetterfest zu machen. „Wir haben schneller und konsequenter gehandelt als andere Wettbewerber und wurden dafür belächelt“, so Spohr stolz und spricht sich und seinen Mitarbeitern Mut zu. „Egal ob Terror, Seuchen oder Naturkatstrophe, wir haben unsere Krisenfähigkeit bewiesen und tun dies auch jetzt wieder.“

Das sei nun gefragt, so Spohr, denn „künftig werde die ganze Branche eine andere Struktur haben, das ist bei der Dimension dieser Krise gar nicht anders vorstellbar.“ Eine Rückkehr zum „Normalzustand vor der Krise“ werde es nicht geben.
Zwar schwört Spohr, noch keinen festen Plan zu haben, weil noch unklar sei, wie lange und wie tief die Krise noch werde. „Unsere Szenarien sind eine Dauer von drei Monaten, sechs Monaten oder gar einem Jahr“, so Spohr. Doch wer genau zuhörte heute, erkannte bereits die Vorbereitung auf drei Dinge.

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