Drohende Gaskrise in Deutschland Das sind die Energiesparpläne der deutschen Konzerne

Die Chemie- und Pharmaindustrie braucht im Branchenvergleich am meisten Energie. BASF rechnet auch bei Ausrufung der Gasnotfallstufe mit dem Weiterbetrieb des Stammwerks Ludwigshafen. Quelle: imago images

Die Bundesregierung hat Wirtschaft und Haushalte zum Energiesparen aufgerufen – niemand weiß, wie lange noch Gas aus Russland fließt. Auch viele Unternehmen überlegen sich Sparpläne gegen die drohende Gaskrise.

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Im Winter droht eine Gaskrise, auch beim Strom bestehen Risiken. Politiker und Experten rufen zum sparsamen Umgang mit Energie auf, damit die Speicher und Kraftwerkskapazitäten für den Fall weiterer russischer Lieferkürzungen ausreichen. Neben Privathaushalten und öffentlichen Einrichtungen kommt dabei großen Unternehmen eine Schlüsselrolle zu.

Die deutsche Industrie hat wiederum die Bundesregierung zu mehr Tempo bei Maßnahmen zum Gassparen aufgefordert. Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, kritisierte außerdem, der Brennstoffwechsel in Betrieben weg von Gas zum Beispiel zurück auf Öl werde durch langwierige Genehmigungsverfahren ausgebremst. Russwurm forderte mehr Tempo bei der Umsetzung beschlossener Maßnahmen, wie dem Ersatz der Stromerzeugung aus Gas durch das Wiederanlaufen von Kohlekraftwerken. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) habe am 18. Juni erklärt, dass Kohlekraftwerke aus der Reserve geholt werden müssten. Erst sieben Wochen später sei das erste wieder ans Netz gegangen. „Das ist nicht die Geschwindigkeit, die Deutschland im Krisenmanagement braucht“, sagte Russwurm. „Deutschland befindet sich in der größten Energiekrise seit Bestehen der Bundesrepublik. Wirtschaft und Privatverbraucher müssen ihren Teil zum Gassparen beitragen, um Produktionsstopps zu verhindern. Es geht jetzt um Entschlossenheit und Schnelligkeit.“´

Drohende Gaskrise: Was können Unternehmen tun, um Energie zu sparen?

So will die Stahlindustrie Gas sparen

Die rohstoffintensive Branche sorgt sich um ihren Gaseinkauf. So bereitet sich der größte deutsche Hersteller Thyssenkrupp „in verschiedenen Szenarien“ auf Unterbrechungen oder Einschränkungen vor. In der Stahlindustrie wird Erdgas zur Wärmeerzeugung benötigt, etwa beim Walzen oder in der Kokerei. Weniger Gas bedeutet weniger Produktion. Das könne „bis zu einer bestimmten Schwelle begleitet werden“, erklärt eine Konzernsprecherin. Ein Mindestbezug sei zur Aufrechterhaltung der Abläufe aber unverzichtbar, ansonsten könne man Stilllegungen und Anlageschäden nicht ausschließen. Einsparpotenziale sieht Thyssenkrupp beim Gas kaum: „Eine Umstellung auf Erdöl oder Kohle ist in unseren Produktionsprozessen nicht möglich.“

Die Nummer zwei, die Salzgitter AG aus Niedersachsen, betont ebenso: „In der Stahlherstellung gibt es mehrere Verarbeitungs- und Hilfsprozesse, die auf Erdgas angewiesen sind.“ Ziel sei es, dessen Einsatz „auf ein Minimum zu beschränken“. Teilmengen ließen sich mit Öl ersetzen. Außerdem nutze man verstärkt die sogenannten Kuppelgase, die als Nebenprodukte anfallen. Salzgitter will die Gewinnung des Roheisens mittelfristig von Kokskohle auf Wasserstoff umstellen – übergangsweise werden aber auch hier Erdgasgemische mitverwendet.

von Jannik Deters, Daniel Goffart, Florian Güßgen, Max Haerder, Henryk Hielscher, Theresa Rauffmann, Jürgen Salz, Christian Schlesiger, Thomas Stölzel


Diese Pläne hat die Autobranche gegen den Gasmangel

Die deutsche Vorzeigeindustrie braucht bisher große Mengen an Gas für viele Verfahren und die Energieversorgung ihrer Fabriken, zusätzlich wird Strom teilweise in eigenen Anlagen erzeugt. Der Volkswagen-Konzern etwa wollte gerade sein Kraftwerk am Stammsitz Wolfsburg von Kohle auf Gas umstellen – nun ist das Projekt vorerst verschoben, weitere Kohlelieferverträge wurden geschlossen. „Wir sind in der Situation, dass wir beide Energieträger nutzen können“, sagte Finanzchef Arno Antlitz im Frühjahr nach Beginn des Krieges in der Ukraine. Zuletzt hieß es, VW werde die Reduzierung des Gasverbrauchs vorantreiben. Dieser könnte um einen „mittleren zweistelligen Prozentsatz“ sinken. Weitere Einsparungen seien möglich.

Der Konkurrent Mercedes-Benz betonte jüngst, ein drohender Gasmangel bereite ihm erhebliche Sorgen. Die Stuttgarter richten sich darauf ein, den Verbrauch an den deutschen Standorten falls nötig um bis zu die Hälfte zu drosseln. Laut Vorstandschef Ola Källenius gibt es einen Notplan: „Wir wären in der Lage, diese Maßnahmen dieses Jahr umzusetzen.“ Strom aus Gasverbrennung soll möglichst häufig durch Elektrizität aus erneuerbaren Quellen abgelöst werden. Zudem sind generelle Energieeinsparungen geplant, auch könnte bei Bedarf Öl zum Einsatz kommen. Källenius gibt sich vorsichtig: „Wir wissen nicht, was passieren wird.“ Gespräche mit der Bundesnetzagentur liefen.

Als Autozulieferer ist Continental desgleichen von der Energiekrise betroffen. Der Gasanteil im Energiemix sei bedeutend, heißt es bei den Hannoveranern. Einzelne Standorte seien unterschiedlich stark verwundbar – „von gar keiner Betroffenheit über die Nutzung von Erdgas rein zu Heizzwecken, zur Erzeugung von Prozesswärme bis zur Verwendung von Gas direkt im Produktionsprozess“. Details wollte Conti nicht nennen. „Die aktuelle Lage beobachten wir genau.“

Die größten Gasverbraucher in Deutschland: Wie die Chemie- und Pharmaindustrie Energie sparen will

Die Branche ist mit einem Anteil von 15 Prozent größter Gasverbraucher in Deutschland. Hier ist Erdgas nicht nur ein bisher unerlässlicher Energieträger, sondern auch ein Rohstoff, der in viele Endprodukte einfließt. Der Verband VCI sieht nur noch wenig Senkungspotenzial: Durch den Einsatz anderer Brennstoffe ließen sich kurzfristig nur zwei bis drei Milliarden Kilowattstunden (kWh) an Energie aus Gas einsparen – pro Jahr bräuchten die Firmen rund 135 Milliarden kWh. VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup sagte Mitte Juli: „Für unsere Unternehmen gilt, dass wir aktuell noch einmal alles geben, um auch die allerletzten Gas-Einsparpotenziale zu heben.“

Zuletzt hörte man aber wieder etwas optimistischere Stimmen. BASF rechnet auch bei Ausrufung der Gasnotfallstufe mit dem Weiterbetrieb des Stammwerks Ludwigshafen. Das noch erhältliche Gas dürfte demnach ausreichen, um den Betrieb mit verringerter Last aufrechtzuerhalten, so Vorstandschef Martin Brudermüller. Der Darmstädter Merck-Konzern sieht sich für einen Mangel gerüstet. „Wir sind darauf vorbereitet, dann unsere Produktionsprozesse unter anderem auf Erdöl zu verlagern“, sagte Chefin Belén Garijo der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Was die Maschinenbauer planen zum Gassparen

Auch in dem stark mittelständisch geprägten Gewerbe – oft als „Rückgrat“ der deutschen Wirtschaft bezeichnet – variiert die Betroffenheit je nach Betrieb. Für die Gesamtbranche schätzt Matthias Zelinger, Energieexperte des Verbands VDMA, dass die Unternehmen für eine kurze Zeit mit 20 bis 40 Prozent weniger Gas auskommen könnten.

Ende Juni gab fast ein Drittel der Maschinenbauer in einer Umfrage an, sich auf eine Verknappung vorzubereiten. Etwa drei Viertel dieser Firmen prüfen, welche Möglichkeiten sie selbst haben – zum Beispiel über die Installation elektrischer oder ölbefeuerter Back-up-Systeme. Ein Drittel hatte bereits gestaffelte Notfallpläne in der Schublade.


Die Deutsche Bahn als größter Stromabnehmer will Beschäftigte zum Energiesparen motivieren

Mit einem Jahresverbrauch von rund zehn Milliarden kWh ist der bundeseigene Konzern der größte einzelne Stromabnehmer in Deutschland. Erdgas hatte im vorigen Jahr einen Anteil von sechs Prozent am Strommix, Kohle mehr als 20 Prozent und regenerative Energieträger etwa 62 Prozent. Personalvorstand Martin Seiler verweist auf Maßnahmen wie energiesparendes Fahren im Fern- und Regionalverkehr oder den Austausch fossiler Wärme- durch alternative Heizanlagen.

Die Bahn setzt außerdem auf die Motivation ihrer Angestellten. Mit einem Einmalbonus von mindestens 100 Euro will die Deutsche Bahn ihre Angestellten zum Energiesparen am Arbeitsplatz motivieren. „Wir wollen, dass alle 200.000 Beschäftigten in Deutschland aktiv werden, dass alle kleineren und größeren Hebel gezogen werden, um es am Ende zu einer nennenswerten Einsparsumme zu bringen“, sagte Personalvorstand Martin Seiler am Dienstag in Berlin. Es gehe um Themen wie die Beleuchtung, das Heizen, das Nutzen von Klimaanlagen, die Betankung, „oder vielleicht auch mal die Treppe statt dem Aufzug zu benutzen“, sagte Seiler.

Wenn sich genügend Mitarbeitende entsprechend engagierten und insgesamt besonders viel eingespart werde, könne der Bonus für alle auf 150 Euro angehoben werden. Wie groß die Einsparungen dafür sein müssen, sagte Seiler nicht. Mit dem Anreizsystem will die Bahn eigenen Angaben zufolge vor allem in ihren Gebäuden den Energieverbrauch senken. Unklar blieb zunächst, wie groß das Einsparpotenzial dort überhaupt ist.

Seiler verwies angesichts der drohenden Versorgungsengpässe beim Gas auf weitere Maßnahmen, mit denen der Konzern Energie einsparen will. Wie weit der Konzern bei diesen Themen ist, blieb am Dienstag allerdings offen. Künftig will die Bahn zudem auf die kritisierte Außenbeleuchtung ihres Hauptsitzes, des sogenannten Bahntowers in Berlin, verzichten. Auch für andere Gebäude und Bahnhöfe prüfe das Unternehmen derzeit, inwieweit auf nicht sicherheitsrelevante Beleuchtungen verzichtet werden kann.

Das macht die Telekom gegen die drohende Gaskrise

Der Bonner Konzern ist als eines der größten IT- und Dienstleistungsunternehmen im Land ein Energie-Großverbraucher. Initiativen für mehr Energieeffizienz nehme man sehr ernst, heißt es. „Das gilt für die mit Strom betriebene Netzinfrastruktur, unsere IT wie auch für unsere Bürogebäude. Ein potenzielles Gasembargo haben wir im Blick und bereiten uns auf verschiedene Szenarien vor.“

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In den Büros greife die gültige Arbeitsstättenrichtlinie mit entsprechenden Temperaturen, für leichte Tätigkeiten im Sitzen liege diese etwa bei 20 Grad Celsius. „Sollten sich Veränderungen an der Verordnung ergeben, würden wir diese natürlich berücksichtigen.“ Zulässige Mindesttemperaturen beim Heizen oder Höchsttemperaturen beim Klimatisieren sind ein Thema in zahlreichen Unternehmen. Bei der Telekom läuft vieles – wo dies möglich ist – aber auch im Homeoffice.

Energie sparen: Was kleinere Betriebe und regionale Kammern planen

Die Industrie- und Handelskammern (IHK) haben in mehreren Ländern Mitglieder zu den Sorgen um künftige Gaslieferungen befragt. In Niedersachsen etwa sehen gut zwei Drittel der oft auch kleineren Firmen Möglichkeiten, den Strombedarf um bis zu ein Zehntel zu senken. Beim Erdgas sind es 62 Prozent der Unternehmen. Behörden und Politik müssten nötige Umbauten dann rasch genehmigen. In Sachsen stellen sich viele Unternehmen nach Angaben der IHK Dresden darauf ein, Erdgas einzusparen oder durch Flüssiggas und Ölfeuerung zu ersetzen. Eine Mahnung aber auch hier: Umfangreiche Anforderungen und Fristen dürften dabei jetzt kein Bremsklotz sein.


Lesen Sie auch, wie der Bundesnetzagenturchef Klaus Müller im Interview warnt: „Es ist unverantwortlich, davon auszugehen, dass alles von alleine gut wird“

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