Facebooks Hauptversammlung Mikrofon abgedreht

Facebook, so sehen es viele Beobachter, krankt eigentlich daran, dass Schöpfer Mark Zuckerberg zu viel zu sagen hat, inklusive seiner Definition von Meinungsfreiheit. Ja, dass er sogar wie ein Diktator agiere. Quelle: dpa

Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat seine Machtfülle auf der Jahreshauptversammlung seines Konzerns verteidigt – wieder einmal. Wie lange kann das noch gut gehen?

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Am Mittwoch muss Mark Zuckerberg seit langem zum ersten Mal gespürt haben, wie es ist, plötzlich keine Stimme mehr zu haben. Der Facebook-Chef hatte gerade noch ein flammendes Plädoyer zur Meinungsfreiheit gehalten.

Um 11:11 Uhr Ortszeit in Kalifornien, – Zuckerberg erklärte bei der dieses Mal komplett online abgehaltenen Jahreshauptversammlung von Facebook gerade, warum seine Cyberwährung Libra für seinen Konzern so wichtig ist –da beendete der Konferenzdienstleister kurzerhand das Meeting. Und drehte dem Facebook-Chef so abrupt das Mikrofon und damit das weltweite Publikum ab.

Auch der talentierteste Satiriker hätte es nicht besser inszenieren können. Die Ironie ist perfekt. Die Panne ist eine Steilvorlage für die wachsende Zahl der Kritiker des sozialen Netzwerks. Denn Facebook, so sehen es viele Beobachter, krankt eigentlich daran, dass dessen Schöpfer zu viel zu sagen hat, inklusive seiner Definition von Meinungsfreiheit. Ja, dass er sogar wie ein Diktator agiere.

Es ist nicht so, dass Zuckerberg keine Stimme hätte. Ganz im Gegenteil. Der Facebook-Gründer und CEO besitzt 81,8 Prozent der Class-B-Aktien, insgesamt rund 363 Millionen Papiere, die ihm jeweils zehn Stimmen einräumen. So sticht er normale Class-A-Aktionäre aus, die nur eine Stimme haben und herrscht mit 53,1 Prozent der Stimmen unangefochten über Facebook. Er hat sogar noch einen Puffer von weiteren 4,8 Prozent dank Class-B-Aktionären, die ihm seine Stimme übertragen haben. Niemand kommt an Zuckerberg vorbei.

Die diesjährige Hauptversammlung von Facebook verlief deshalb – mit Ausnahme des abrupten Endes – so wie in den letzten Jahren auch schon. Zumindest größtenteils, denn Krawall aus dem Publikum und Demonstrationen vor dem Gebäude gab es bei der virtuellen Versammlung nicht.

Alle von Facebook eingebrachten Anträge wurden verabschiedet, die von anderen Aktionären mehrheitlich abgelehnt. Der Antrag von NorthStar Asset Management, die Mehrfachstimmrechte abzuschaffen und damit auch normalen Anlegern Mitspracherechte zu geben? Keine Chance – wie auch schon in den Vorjahren.

Nun ist es nicht so, dass Zuckerberg die Mehrfachstimmrechte erfunden hätte. Der Sündenfall im Silicon Valley geht vielmehr auf die Gründer von Google, Sergey Brin und Larry Page, zurück, die solch ein Konstrukt unter den Gründern des Hightechtals populär machten, als sie ihren Konzern im August 2004 an die Börse führten. Brin und Page wiederum hatten die Anregung dafür von Donald Graham übernommen, dem langjährigen Verleger der Washington Post, dessen Mutter Katharine so beim Börsengang des Medienkonzerns im Jahr 1971 den Einfluss der Familie sicherte. Don Graham wiederum saß von 2009 bis 2015 im Verwaltungsrat von Facebook. Und zwar als – der Gipfel der Ironie – führendes unabhängiges Mitglied.

Auch Brin und Page kontrollieren den Alphabet-Mutterkonzern. Aber es sind immerhin zwei. Alphabets Verwaltungsrat ist zwar auch nicht dafür bekannt, Revolten gegen die Gründer anzuzetteln. Aber wird von außen als unabhängiger wahrgenommen.

von Matthias Hohensee, Mareike Müller, Thomas Kuhn

Bei Facebook, so meint zumindest Jonas Kron von Trillium Asset Management ist das nicht der Fall. Unter seinen am Mittwoch wieder neu bestätigten Mitgliedern sind zwar solche Hochkaräter wie Netscape-Schöpfer Marc Andreessen und Hedgefond-Milliardär Peter Thiel. Sie sind nicht gerade als Ja-Sager bekannt. Im Februar neu hinzugekommen ist Drew Houston. Der Gründer von Dropbox ist ein langjähriger Freund von Zuckerberg.

Andreessen und Thiel, so heißt es im Silicon Valley, sollen öfters andere Meinungen als Zuckerberg vertreten. Aber mehr als beraten, geschweige denn effektiv kontrollieren, können sie ihn nicht. Sie stehen ihm persönlich nah. So nah, dass Zuckerberg es auch gegen erhebliche öffentliche Kritik, ablehnte, Thiel wegen dessen öffentlich gepflegter Unterstützung von Donald Trump aus dem Verwaltungsrat abzuberufen. Das spricht eigentlich für die Loyalität von Zuckerberg. Soll aber einer der Gründe sein, warum Netflix-Gründer Reed Hastings im vergangenen Jahr aus dem Facebook-Aufsichtsrat ausschied.

„Facebook ist keine Demokratie“, soll Zuckerberg auf einer Versammlung seiner Mitarbeiter klar gemacht haben. Damit hat er recht. Wenn Facebook eine Demokratie wäre, hätte jeder Anleger eine gleichwertige Stimme. Abhängig natürlich von seinen Anteilen aber eben auch vom wirtschaftlichen Risiko.

Es stimmt schon: Zuckerberg kann dank seiner Macht seinen Konzern effektiver führen, feindliche Übernahmen problemlos abwehren und eigene rasch durchziehen. Dass Facebook so mächtig geworden ist und weiter wächst, liegt auch daran, dass Zuckerberg mögliche Wettbewerber wie Instagram und WhatsApp einfach gekauft hat. Er konnte das am Küchentisch in seinem Domizil in Palo Alto verhandeln, ohne seinen Aufsichtsrat lange überzeugen zu müssen.

Schaden Mehrfachstimmrechte der wirtschaftlichen Prosperität eines Konzerns? Die Meinungen darüber gehen auseinander. Im Fall von Facebook lässt es sich zumindest am Börsenwert messen. Der ist in den vergangenen fünf Jahren von 242 Milliarden Dollar auf 652 Milliarden Dollar geklettert, trotz aller Skandale und einem handverlesenen Aufsichtsrat.

Aber hätte Facebook dank kritischer Stimmen vielleicht einige Fehltritte vermeiden und könnte damit noch wertvoller sein? Sicherlich hätte es so einige Talente behalten können.

Mehr noch: Darf ein Unternehmen, das inklusive von WhatsApp, Messenger und Instagram, rund drei Milliarden Erdbewohner erreicht und damit erheblichen politischen und gesellschaftlichen Einfluss hat, von einem, nun ja, Diktator, wie Beobachter Zuckerberg beschreiben, geführt werden?

Selbst Zuckerberg dürfte schwanen, dass dies nicht lange gut gehen kann. Am Mittwoch verwies er auf das kürzlich aus der Taufe gehobene Inhalte-Aufsichtsgremium, von Kritikern auch als „Zensurkomitee“ verspottet. Doch kann die Riege aus ehemaligen Top-Politikern, Juristen und Journalisten dem Konzernchef wirklich Paroli bieten? Wird er ihm nicht genehme Empfehlungen wirklich wie versprochen umsetzen?

Zweifel sind angebracht. Chris Cox, ehemaliger Produktchef von Facebook, langjähriger Freund und Vertrauter von Zuckerberg, ja sogar Kandidat für dessen Nachfolge auf den CEO-Posten, verließ im vergangenen Jahr überraschend den Konzern. Er intervenierte erfolglos gegen Zuckerbergs Plan, die Inhalte von WhatsApp und Messenger zu verschlüsseln. Für das Verschlüsseln von Kommunikation gibt es viele gute Argumente, die auch Wettbewerber wie Apple teilen. Aber es gibt eben auch Schattenseiten, darunter sehr schmerzliche.

Wie Michael Passoff während der Facebook-Hauptversammlung deutlich machte. Der CEO von Proxy Impact will Facebooks Verschlüsselungspläne stoppen. „Facebook ist weltweit die größte Quelle von Material des sexuellen Missbrauchs von Kindern“, behauptet Passoff. Mit der Verschlüsselung würde es noch schwerer, diese Flut zu stoppen oder überhaupt zu bemerken, warnt er. Zuckerberg, selbst Vater von zwei Kindern, hat sich die Entscheidung mit Sicherheit nicht leicht gemacht. Es ist eine Bürde. Die allerdings auf mehrere Schultern verteilt, leichter zu tragen wäre.

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Im US-Wahlkampf gilt Mark Zuckerberg als potenzielles nationales Risiko. Dabei sind sowohl Republikaner als auch Demokraten von Facebook abhängiger denn je. Die Macht des sozialen Netzwerks wird steigen – selbst wenn die Politik es regulieren würde. Lesen Sie die Geschichte hier.

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