Werner Knallhart
Zu einer Willkommenskultur gehören andere Sprachen. Quelle: Getty Images

Wir können nicht gut genug Englisch für unsere ausländischen Fachkräfte

„In Deutschland wird Deutsch gesprochen!“ Ha! Könnten Mitarbeitende in Behörden, Firmen und Arztpraxen insgesamt besser Englisch, würden dringend gebrauchte Fachkräfte aus dem Ausland lieber hier bleiben. Mehr Demut bitte. Und Englisch pauken.

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Ich komme Ihnen hier mal mit Fakten:

Fakt 1: In Deutschland wird Deutsch gesprochen.
Fakt 2: Wenn wir unseren Wohlstand sichern wollen, brauchen wir jedes Jahr Hunderttausende gut ausgebildeter Fachkräfte, die aus dem Ausland zu uns kommen.
Fakt 3: Viele Fachkräfte hauen wieder ab, weil sie hier mit Englisch nicht gut genug weiterkommen.
Fakt 4: Wenn wir unsere eigene peinliche Berührung über unsere Inkompetenz in Sachen Englisch weiter verdrehen zu einer Art resolutem Sprachkulturbewusstsein, wird unsere deutsche Wirtschaft und damit auch unser Wohlstand, unsere Bedeutung und letztlich unsere Kultur weiter abschmieren. Wollen wir das?

Ergo: Eine neue Willkommenskultur aus ganz eigenem Interesse beginnt mit der Überwindung zum Entgegenkommen. Und dazu gehört: Englisch sprechen.

Denn heute nennen ausländische Fachkräfte als Gründe für ihre Rückkehr in ihr Heimatland etwa:

  • Probleme bei der umständlichen Beantragung des Visums (unsere schöne Bürokratie)

  • Probleme bei der Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse (Der Zirkus stammt noch aus Zeiten, als Bildung bei uns noch was getaugt hat)

  • Probleme, Anschluss an die deutsche Gesellschaft zu finden (Wir Deutsche haben ja schon Freunde. Und super viele Termine.)

  • Probleme mit der deutschen Sprache (und unseren Dialekten) und damit, mit Englisch durchzudringen („Lern halt Deutsch.“)

Wenn ich mich mit Menschen etwa aus Kolumbien oder Chile oder Sri Lanka unterhalte, heißt es immer wieder: „Ohne Deutsch komme ich in Deutschland nicht richtig weiter.“



Natürlich wäre es viel einfacher, wenn alle hier einfach Deutsch sprechen würden. Ältere Menschen könnten ihre Pfleger aus Vietnam verstehen, jüngere ihren indischen Kolleginnen aus der IT, Arzthelferinnen ihre argentinischen Patienten.

Aber die Fachkräfte können Deutsch eben die ersten Jahre nicht richtig. Wollen wir deshalb nichts mit ihnen zu tun haben, unsere Wirtschaftsleistung runter und das Rentensystem an die Wand fahren? Opfern wir lieber unseren zukünftigen Wohlstand, als den Retterinnen und Rettern einen großen Schritt entgegenzukommen?

Lern halt Deutsch. Ja, dass einige Gastarbeiter, die schon seit vielen Jahrzehnten in Deutschland leben, bis heute mitunter noch nicht einmal halbwegs geradeaus Deutsch sprechen können, ist ebenfalls peinlich, bitter und für uns alle ein Nachteil.

Doch mittlerweile sind wir an Fachleuten aus aller Welt interessiert, die oftmals sogar viel besser ausgebildet sind als der Durchschnitt der deutschen Gesellschaft. Die schütteln dann im Zweifel enttäuscht und traurig über uns den Kopf, nicht wir über die.

Wir können nicht erwarten und darauf warten, dass die neuen Topleute aus dem Flugzeug steigen und an Tag 1 in Flüssigdeutsch Dinge sagen wie: „Geil, es geht los. Jetzt heißt es durchstarten und Deutschland zurück an die Spitze bringen.“ Das braucht Jahre.

Bei den so dringend gesuchten Fachleuten konkurrieren wir mit englischsprachigen Nationen wie Kanada, den USA, Großbritannien und etwa auch mit skandinavischen Ländern, deren Bevölkerungen beim Englischsprechen kein Zacken aus der Krone bricht – weil sie es nämlich wunderbar beherrschen. Und zwar von der Regierungsspitze bis zum Personal in öffentlichen Verkehrsmitteln. Und mit dem florierenden Spanien, das aus halb Südamerika Muttersprachler anwerben könnte, mit vertrautem Klima und vertrauterer Kultur.

Verheerend ist nicht allein das schlechte Englisch in unseren Behörden und in einigen Ausbildungsberufen. Sondern die dazu oft präsentierte Ist-nicht-mein-Problem-Attitüde. Vom Wartezimmer aus wurde ich jüngst Zeuge eines Dialogs zwischen Patient und medizinischer Fachangestellter:

„Good morning. I have an appointment at 2 o’clock. But I don’t know on which floor.“
„Worum geht’s? Haben Sie einen Termin?“
„Excuse me?“, fragt der Patient schüchtern.
„Termin!“ Angestellte blickt, als habe sie sich doch wohl klar ausgedrückt.
„I am sorry.“ Patient lächelt.
„Mann, Mann, Mann. Geben Sie mir mal Ihre Krankenkassenkarte.“ Frau tut gespielt belustigt.
„My name is …“ Langer Name folgt.
„Ja, ok. Dit allene hülft jetz och nüscht. Krankenkassenkarte. Card!“ Sie zeichnet mit beiden Zeigefingern ein Rechteck in der Luft. Der Patient zückt erleichtert eine Karte. Sie prüft und sagt: „Ah, bei Herrn Doktor XY. Erster Stock. Nehmen Sie da dann bitte noch Platz. Sie werden dann aufgerufen.“
„Excuse me?“
„Zweiter Stock. Two!“ Sie zeigt zwei Finger.
„Second floor? Ah, thank you.“

Der Mann geht, sie dreht sich zu ihrer Kollegin in der Kaffeeküche: „Scheiße, mein Englisch ist so schlecht. Voll peinlich.“ Und ich dachte mir: DANN SAG DAS DOCH!  Statt den Patienten so auflaufen zu lassen. Sag einmal: „Sorry.“ Einmal Demut zeigen. Signalisieren, dass die Leute willkommen sind. Die Ist-nicht-mein-Problem-Attitüde passt nicht mehr in die Zeit. Denn es IST unser Problem.

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