Alt, männlich, Branchenkenner Coronakrise bedroht die Diversität in Deutschlands Chefetagen

Quelle: imago images

Eine neue Studie hat die Lebensläufe von rund 1000 CEOs während der Pandemie untersucht – und zeigt, warum sie sich in der aktuellen Krise keine Sorgen machen müssen. Die Konzerne aber womöglich schon.

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Es war ruhig in Deutschlands Chefetagen. Sehr ruhig. Seit im März die Coronapandemie auch die Bundesrepublik erreicht hat, gab es kaum Neubesetzung an der Spitze der großen deutschen Konzerne. Und das obwohl schlechte Zahlen, die schleppend vorangehende Digitalisierung und der Umbau ganzer Geschäftsmodelle unter normalen Umständen sicherlich die ein oder andere personelle Neuausrichtung erforderlich gemacht hätten. 

Mit Continental-Chef Elmar Degenhart verlässt nun Ende November der erste Chef eines Dax-Konzerns seit Beginn der Pandemie seinen Posten. Auf den aus gesundheitlichen Gründen ausscheidenden Vorstandsvorsitzende folgt Nikolai Setzer, der seit 1997 bei Continental arbeitet und zuletzt Chef der Automobilsparte war. Er steht eher für Kontinuität statt für Veränderung. Er kennt den Konzern und die beteiligten Akteure, was den Start in der Krise erleichtert. Diese Neubesetzung spiegelt die Vorsicht wider, mit welcher Aufsichtsräte derzeit vorgehen, wenn es um die Vergabe der Top-Jobs in Unternehmen geht. 

1000 Lebensläufe unter der Lupe

Das zeigt auch eine neue weltweit durchgeführte Untersuchung der Personal- und Managementberatung Heidrick & Struggels über die Besetzungen der Spitzenposten in der Corona-Pandemie. In der Studie analysierten die Berater knapp 1000 Lebensläufe von CEOs führender börsennotierter Konzerne - mit Blick auf Deutschland nahmen sie die Vorstandsvorsitzenden aus Dax und MDax unter die Lupe. Besondere Beachtung schenkten sie dabei dem Zeitraum vom 11. März an - dem Tag, an dem die Weltgesundheitsorganisation die Coronainfektionen zur Pandemie erklärte. 

Seitdem sind die Wechsel auf höchster Ebene in den Konzernen dramatisch zurückgegangen. Deutschlandweit waren es zwischen März und Ende Juni gerade mal zwei formale Chefwechsel - bei SAP wurde Christian Klein zum alleinigen Vorstandschef, bei Wirecard musste Markus Braun abrupt den Weg für einen Interimschef frei machen. Im gleichen Zeitraum vergangenen Jahres gab es hingegen sieben Neubesetzungen in Dax und MDax. Ähnlich sieht es derzeit in anderen großen Volkswirtschaften, wie in China und den USA aus. 

Diese Entwicklung in Krisenzeiten kennt Nicolas von Rosty, der bei Heidrick & Struggels das CEO & Vorstandsgeschäft für den deutschsprachigen Raum leitet, nur zu gut. "Der Aufsichtsrat schenkt zunächst den bewährten Vorstandsvorsitzenden das Vertrauen, das Unternehmen auf die neue Situation umzustellen“, sagt der Headhunter. „Im Sturm die Kapitänin oder den Kapitän zu wechseln, ist ein Fehler, weil es zusätzliche Unruhe ins Unternehmen bringt." Auch in der ersten Phase der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 sei zu beobachten gewesen, dass kaum ein Konzern seinen Chef ausgetauscht habe. Unmittelbar nach der Pandemie wird dies allerdings anders aussehen, da ist sich von Rosty sicher. "Danach werden umso mehr Chefwechsel stattfinden, weil dann klar ist, wer sich in der Krise bewehrt hat und wer eben nicht.“

Keine Experimente

Muss ein Unternehmen schon während der Pandemie das Spitzenpersonal auswechseln, wie bei Continental geschehen, setzen die Aufsichtsräte auf Sicherheit. Auch das belegt die neue Studie. 63 Prozent der neuen Vorstandsvorsitzenden hatten zuvor schon einen solchen Posten inne, sei es bei einem anderen Unternehmen oder einer Tochtergesellschaft. Vor der Pandemie waren es lediglich 44 Prozent. Außerdem verlassen sich die Unternehmen zunehmend auf Branchenerfahrung. Waren es 2019 weltweit  immerhin 22 Prozent der neuen Chefs, die aus anderen Industrien kamen, sind es seit dem Ausbruch der Corona-Krise nur noch 13 Prozent. „Aktuell ist keine Zeit für Experimente“, sagt von Rosty. „Gleichzeitig bedeutet diese Besetzungspraxis einen gewissen Rückschritt bei den Bemühungen, mit der Auswahl des CEO auch ein Zeichen für mehr Diversität und langfristiges Wachstum zu setzen.“ 

Denn sowohl was Auslandserfahrung als auch Geschlechterverteilung angeht, sind die Führungsgremien weniger vielfältig besetzt als vor der Krise. Die weltweit 30 untersuchten Chef-Wechsel seit März haben nur eine neue Vorstandsvorsitzende hervorgebracht. Während in den vergangenen Jahren der Frauenanteil zwar langsam aber kontinuierlich gestiegen sei, verharre er damit in diesem Jahr auf Vorjahresniveau. Und das obwohl längst klar ist, dass Unternehmen gerade in Krisensituationen von der Vielfalt im Management profitieren und divers besetzte Führungsteams nachhaltiger wirtschaften.


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Auch bei Siemens hat sich der Aufsichtsrat mit Roland Busch für einen internen Kaeser-Nachfolger entschieden. Das sei gerade bei komplexen Strukturen und einer starken Unternehmenskultur ratsam, denn in einem solchen Umfeld bestünde „ein erhöhtes Risiko von Abstoßeffekten externer Kandidaten“, sagt von Rosty. Immerhin im kommenden Mai rückt mit Belen Garijo wieder eine Vorstandsvorsitzende in den Dax. Dann übernimmt die Spanierin den Chefposten beim Pharmakonzern Merck.

Mehr zum Thema: Alle reden über Diversity. Doch im Ringen um Chancengleichheit wird eine Gruppe gern vergessen: Ältere. Eine Studie zeigt, dass sie es im Mittelstand besonders schwer haben.

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