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Eine Eskalation des Ukraine-Konflikts mit Russland stellt aktuell die größte Gefahr für die Börsen dar. Quelle: imago images

Eine Eskalation des Ukraine-Konflikts birgt große Risiken für die Börsen

Die geopolitischen Risiken für die Kapitalmärkte nehmen Überhand. Eine Eskalation im Russland/Ukraine-Konflikt oder am Persischen Golf noch im ersten Quartal träfe die Börse zu einem kritischen Zeitpunkt.

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„Politische Börsen haben kurze Beine“, ist eine beliebte Redensart an der Börse. Das stimmt meistens, aber nicht immer. Die Wahl eines US-Präsidenten, verbunden mit seiner wirtschaftspolitischen Agenda kann sehr nachhaltige Auswirkungen haben, und auch der Brexit hat gezeigt, dass manche politischen Entscheidungen nachhaltigen Einfluss auf Börsen ausüben. An dieser Stelle hatte ich früher darauf verwiesen, dass Börsen nicht menschliches Leid bewerten, sondern die Preise der an den Börsen gehandelten Wertpapiere, und dass die Nicht-Reaktion auf die menschliche Tragödie in Syrien oder Afghanistan nicht einer Menschenverachtung entspringt, sondern Resultat des einzigen Zwecks, den Börsen haben, nämlich der Wertbestimmung von Wertpapieren.

Vor einem Monat habe ich betont, dass ich das größte geopolitische Risiko für die Börsen in einem Scheitern der Verhandlungen über eine Erneuerung/Wiedereinsetzung des Iran-Deals sehe, auch weil hier das Fortschreiten der Zeit ohne Resultate negative Konsequenzen nach sich ziehen würde. Dieses Problem gibt es im Bereich Russland/Ukraine prinzipiell nicht. Dennoch ist nach dem Jahreswechsel ernüchtert festzustellen, dass sich in beiden potenziellen Krisenherden die Situation verschärft und leider nicht entspannt hat. Obwohl noch Wege zur Deeskalation gesucht werden, und eine Eskalation nicht unsere Basisannahme ist, sollten unter Risikogesichtspunkten die Wirkungsketten auf die Kapitalmärkte genauer analysiert werden.

Beginnen wir mit meinem Risiko Nummer 1, einem Scheitern der Wiener-Gespräche über die Erneuerung oder Wiedereinsetzung des Iran-Deals, der vollständig als JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action) bekannt ist. Hier drängt der Faktor Zeit am stärksten. Der französische Außenminister Le Drien hat das vor wenigen Tagen in Worte gefasst: „We have been heading in a positive direction in the last few days, but time is of the essence, because if we don't get an accord quickly there will be nothing to negotiate.“ Mit anderen Worten, entweder man erzielt bald, idealerweise sogar im ersten Quartal, eine Einigung, oder aber der Fortschritt von Iran in der Urananreicherung ist so hoch, dass er dann bereits genügend Material für einen Atomwaffenbau haben könnte.

von Georg Buschmann, Frank Doll, Julia Groth, Saskia Littmann, Anton Riedl, Heike Schwerdtfeger

Der Teufel liegt im Detail, weil die USA Schwächen des JCPOA in der Neuauflage korrigieren wollen, die Iraner aber nur eine Bereitschaft zur Rückkehr zum alten Abkommen signalisieren. Erzielt man aber keinen Nachfolgedeal (das kann auch ein erster Schritt eines Deals sein), gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Welt akzeptiert den absehbaren Durchbruch von Iran zur Atommacht oder einzelne Staaten versuchen, die Zeitspanne für einen Durchbruch durch eine Militäraktion zu verlängern.

Angebotsschock führt zu mehr Inflation

Mein Basisszenario wäre derzeit noch, dass man sich zunächst auf „Less for Less“ einigt, also einen Teil der „Trumpschen Sanktionen“ aufhebt, mehr Überwachung gestattet, oder einen Stopp der Anreicherung vereinbart und weiterverhandelt. Wenn das nicht gelingt, wird das Risiko einer militärischen Auseinandersetzung am Golf real. Der Effekt für die Kapitalmärkte wäre „bekannt“: Steigende Ölpreise, eventuell auch steigende Gaspreise, abhängig davon, wie lange sich der Konflikt hinzieht, und wie lange der Export aus dem Golf auch von anderen Nationen beeinträchtigt wäre.

Ein Angebotsschock also, der die aktuell hohen Inflationsraten weiter steigern würde. Angesichts der ohnehin schon hohen Inflation wären die Lockerungsmöglichkeiten der Notenbanken beschränkt, entsprechend würden Kapitalmärkte sicher negativ reagieren, aber aller Wahrscheinlichkeit wäre der Kapitalmarkteffekt ein zeitlich auf Wochen oder wenige Monate beschränkter. Ich würde den temporären Kapitalmarktimpuls näher an dem des ersten Irak-Krieges 1990 sehen, als bei der Invasion des Irak 2003, also durchaus eine nennenswerte Korrektur bei den Risky Assets.

Viel komplizierter und nahezu unkalkulierbar wären die Kapitalmarkteffekte dagegen, wenn es zu einem militärischen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, und einer Annexion von weiteren Teilen der Ukraine durch Russland käme. Auch hier hat sich die Situation in den letzten vier Wochen deutlich verschlechtert. Auf Ersuchen von Putin telefonierten Biden und er noch im alten Jahr, und Russland hatte dort von den USA eine schriftliche Antwort auf seine sicherheitspolitischen Vorschläge gefordert, die diese für die jetzt laufende Woche terminiert. Ich kann mich an so einen Vorgang in den letzten Jahrzehnten nicht erinnern. Und die Gespräche in Genf von vergangener Woche zeigen, dass aus Sicht der Amerikaner und der NATO die Kernforderungen von Russland für unverfroren und unerfüllbar gehalten werden, und aus Sicht Russlands die westliche Antwort ihre Sicherheitsbedenken ignoriert. Es ist deswegen kaum zu erwarten, dass die schriftliche Antwort daran etwas ändert, und daher befürchte ich, dass dieses schriftliche Dokument als Zäsur einer Verschlechterung der Beziehungen in die Geschichtsbücher eingehen wird.



Der Westen hat bereits im Falle einer militärischen Verschärfung harte Sanktionen gegen Russland angekündigt. Victoria Nuland, Undersecrtetary of State for Political Affairs (vergleichbar einem deutschen Staatssekretär) im US-Außenministerium sprach laut Financial Times in einem Interview vom vergangenen Wochenende von 18 möglichen Szenarien und von „very sharp pain very fast“. An anderer Stelle wurde von Sanktionen gesprochen, die nur vergleichbar zu denen gegen Iran und Nordkorea sein sollen.

Anders als Iran und Nordkorea ist Russland ein wichtiger Akteur hinsichtlich der weltweiten Warenströme, und für manche Güter ein nennenswerter Absatzmarkt. In der Liga der Energieexporteure ist Russland auf dem Niveau von Saudi Arabien, oder, wenn neben Öl auch Gas gesehen wird, Nummer 1. Da ginge es nicht nur um den Ausfall der ohnehin schon auf 1 Million Barrel reduzierten Exporte wie im Falle Irans, sondern um einen beachtlichen Teil der Ölexporte und mehr als 30 Prozent der europäischen Gasversorgung.

Mit anderen Worten, ein Ausfall Russlands über Sanktionen und Gegensanktionen wäre vergleichbar mit einem Worst Case am Persischen Golf. Als Sanktionen hochgehalten von politischer Seite in den USA wurden zuletzt ein Einfrieren von Nord Stream 2, ein Ausschluss Russlands aus dem Zahlungssystem SWIFT und sogenannte „Secondary Sanktionen“, die Institutionen und Privatpersonen, die sich nicht an die US Sanktionen halten, bestrafen würden. Während Nord Stream 2 trotz der hohen öffentlichen Beachtung wohl zu verkraften wäre, würde ein Ausschluss Russlands von SWIFT oder Secondary Sanctions einen für Kapitalmärkte unkalkulierbaren Prozess auslösen.

Ein Ausgrenzung Russlands von SWIFT würde die russischen Banken in höchste Schwierigkeiten bringen, und es ist illusorisch zu glauben, dass dann noch in westlichen Depots liegende Verbindlichkeiten bedient werden würden, oder Energieprodukte geliefert, da die Zahlung ja nicht abgewickelt werden könnte. Ein Ausfall von russischen Gas- und Ölexporten für Europa würde einen Rückgang der Inflation im Jahresverlauf unwahrscheinlich machen. Damit könnte es in einer extremen aber nicht unwahrscheinlichen Sanktionsspirale zu einer Situation kommen, in der sich Effekte von der Stärke eines Worst Case am Persischen Golf ohne absehbares Ende einstellen könnten. Eine noch entscheidendere Frage würde aber folgen.: Wie positioniert sich China? Sollte China sich nicht an US Sanktionen gegen Russland halten, ob und wie stark würde es sanktioniert, und was hieße das dann für die Handelsströme zwischen China und dem Rest der Welt? Unkalkulierbare Folgen.

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Damit lässt sich kurz zusammenfassen: In einem Quartal, in dem Omikron für eine Wirtschaftsabschwächung sorgen wird, in dem Inflationsraten auf jeden Fall sehr hoch bleiben werden, wäre eine geopolitische Eskalation im Persischen Golf oder in Russland/Ukraine Gift für die Kapitalmärkte. Während das internationale Finanzsystem eine Krise am Persischen Golf – gerupft – überstehen dürfte, würde eine Eskalation in der Ukraine mit danach folgenden Secondary Sanctions die Gefahr einer Stagflation und eines längeren Bärenmarktes für Risikoanlagen deutlich erhöhen. Europa wäre in diesem Fall überdurchschnittlich betroffen, europäische Vermögenstitel würden im internationalen Vergleich von einer aktuell attraktiven zu einer unattraktiven Position nach unten durchgereicht werden. Entsprechend sollten Anleger darauf achten, hinreichend Liquidität vorzuhalten, um im Falle einer Realisierung dieses Risikos reagieren zu können.

Mehr zum Thema: Das Jahr 2022 wird uns in Atem halten. Die Welt muss nicht nur gegen Corona, Inflation und Schuldenberge kämpfen. Zu einem immer unkalkulierbareren Risiko entwickelt sich auch die Geopolitik, schreibt US-Ökonom Nouriel Roubini in einem Gastbeitrag.

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