Riedls Dax-Radar
Quelle: imago images

Auch ohne Linde geht dem Dax die Luft nicht aus

Nach 27 Prozent Kursplus ist der Dax reif für eine Korrektur. Das könnte sogar eine Einstiegsgelegenheit werden – obwohl Dax-Champion Linde den Index verlässt und Schwergewicht BASF unter Druck steht.

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Der stärkste Dax-Wert geht von Bord. Industriegasehersteller Linde verlässt den deutschen Aktienmarkt und räumt seinen Platz im Aktienindex. Für den Dax ist das ein schwerer Schlag: Linde war nicht nur eines der erfolgreichsten Unternehmen dieses Landes, die Aktie war ein Champion – sowohl im Ausmaß des Kursanstiegs als auch in der relativen Stabilität des Kursverlaufs.

Grund dafür ist das besondere Geschäftsmodell von Linde. Und das hat keineswegs Linde-Stratege Wolfgang Reitzle neu erfunden, als er vor fünf Jahren die Fusion mit der amerikanischen Praxair durchsetzte. Linde war auch in den Jahrzehnten davor ein überdurchschnittlich starkes Unternehmen und ein Outperformer am Markt. Linde war immer darauf bedacht, Konjunktur- und Branchenschwankungen so weit wie möglich auszugleichen. Vor Reitzle gelang dies durch die Diversifizierung in den verschiedenen Bereichen Anlagenbau, Gabelstapler und Kältetechnik. Industriegase waren zu dieser Zeit nur ein kleiner von mehreren Teilen. Auch das hat gut funktioniert. 

Als Reitzle 2002/03 bei Linde antrat, konzentrierte er das bis dahin durchaus erfolgreiche Konglomerat auf die Sparte, die den höchsten Gewinn einbrachte: Industriegase. Nur musste er dazu noch einiges hinzufügen: Die notwendige Größe, um weltweit präsent zu sein; mit möglichst vielfältigen Branchen Geschäfte machen, um Risiken abzufedern;  und als Marktführer möglichst an die Spitze bei den Industriegasen vorstoßen. Damit wurde Wachstum und Effizienz mit Stabilität verbunden. Durch die Zusammenschlüsse mit dem britischen Konkurrenten BOC und dann der amerikanischen Praxair zog Reitzle dies konsequent durch.

Auf der Strecke geblieben bei diesem globalen Impetus ist der traditionelle Linde-Konzern. Der war zwar in den vergangenen Jahren im Bewusstsein der Börsengemeinde hierzulande nach wie vor ein deutsches Unternehmen mit der neuen Zentrale München; die Mehrheit der Aktien aber war schon lange in internationaler, zunehmend amerikanischer Hand. Und diese Mehrheit hat nun nach der Hauptversammlung in Danbury in Connecticut, dem Sitz von Praxair, den Abzug vom deutschen Aktienmarkt beschlossen. Dass Praxair selbst auf die Gründung von Carl von Linde in Amerika 1907 zurückgeht, ist dabei ein schwacher Trost. 

Linde-Aktien dürften bis zu ihrem faktischen Ausscheiden am 27. Februar überdurchschnittlich schwanken, weil professionelle Investoren sich entsprechend der Vertretung in den Indizes umpositionieren werden. Dazu besteht noch eine zusätzliche Unsicherheit: Der Rückzug der deutschen Notiz ist nicht einfach nur eine Folge angeblich engstirniger deutscher Indexregeln; er ist vor allem die Folge einer neuen Unternehmensstruktur, mit der Linde in eine Holding umgewandelt werden soll. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen, dass dies sicherlich nicht zum Nachteil der Kursentwicklung geschehen dürfte. Linde sollte langfristig gesehen ein aussichtsreiches Investment bleiben. 

Wer Linde-Aktien in Zukunft handeln will, muss zunächst an die Börse New York gehen. Das ist aufwendiger und teurer als bisher. Gut möglich, dass es die neuen Aktien der Linde-Holding angesichts ihrer Bedeutung dann als Auslandswert auch an den Börsen hierzulande zu handeln gibt. 

Mehr Risiko durch Rheinmetall oder die Commerzbank

Der Dax freilich profitiert dann nicht mehr vom Wachstum und der Stabilität von Linde. Als Nachfolgeaktie, die am Abend des 17. Februars von der Deutschen Börse bekannt gegeben werden soll, hat Rüstungs- und Autozulieferkonzern Rheinmetall die größten Chancen; dazu ist noch die Commerzbank im Rennen. Beide Aktien haben im Vergleich zu Linde eine wesentlich erratischere Kurshistorie. Die Commerzbank, die in der Finanzkrise vom Staat gerettet werden musste, erwies sich zudem langfristig als Wertvernichter, zeigt aber seit einigen Jahren vielversprechende Ansätze einer Stabilisierung. Es ist durchaus möglich, dass der Dax mittelfristig gesehen mit einer Commerzbank nicht einmal schlechter laufen muss. Langfristig allerdings ist es fraglich, ob ein Finanztitel eine Stabilität wie die von Linde erreicht. 

Das gilt auch für Rheinmetall. Durch die Bedeutung des Rüstungsgeschäfts seit dem Ukrainekrieg ist die Aktie in eine neue Dimension katapultiert worden. Dass sich daran angesichts der ernsten geopolitischen Konfrontation schnell etwas ändert, ist wenig wahrscheinlich. Immerhin ist das Rüstungsgeschäft durch sehr langfristige Aufträge gekennzeichnet – eine Parallele zum Geschäft mit Industriegasen, bei dem ebenfalls langjährige Verträge dominieren. 

Vom 25. Februar 2002 bis zum 24. Februar 2022, also in den zwei Jahrzehnten vor dem russischen Angriff auf die Ukraine (schon am 25. Februar begannen Rheinmetall-Aktien mit einem Sprung von 7,0 Prozent auf die russische Bedrohung zu reagieren), stiegen Rheinmetall-Aktien von 20,50 auf 100,05 Euro. Das waren 388 Prozent Gewinn. Rheinmetall hat also durchaus, im Gegensatz zur Commerzbank, das Zeug für langfristigen Kurszuwachs. Allerdings waren die Rückschläge dazwischen wesentlich heftiger als die Verlustphasen bei Linde. So gesehen sollte Rheinmetall im Dax sicherlich kein Bremsklotz werden, dürfte aber zur Erhöhung der Volatilität, der Kursausschläge, beitragen.

Wackelt die Dividende bei BASF?

Neben Linde steht mit BASF ein weiteres Schwergewicht im Dax derzeit unter besonderer Beobachtung. Die Ludwigshafener mussten im vergangenen Jahr 7,3 Milliarden Euro abschreiben, weil sie sich mit ihrem Öl- und Gasableger Wintershall Dea 2022 aus Russland zurückziehen. Auch wenn dieses Risiko nicht aus heiterem Himmel kam, vom Tisch ist es mit der Abschreibung noch nicht. BASF ist der größte industrielle Gasverbraucher Deutschlands. Gute Beziehungen zum größten Gasproduzenten und Lieferanten Russland waren deshalb immer essenziell für die Ludwigshafener. Diese Versorgung muss BASF nun erst einmal auf andere Art und Weise ausgleichen. 

Zudem war Wintershall vor allem in Zeiten hoher Energiepreise immer für lukrative Basiseinnahmen gut. Es gab Jahre, in denen Wintershall mehr als ein Drittel der gesamten Gewinne von BASF lieferte. Dieser Stabilisator ist nun schwer ins Wanken geraten. Und an einen lukrativen Börsengang der Tochter Wintershall Dea, an der BASF derzeit 72,7 Prozent hält, können die Ludwigshafener vorerst wohl nicht denken. 

Eine heikle Frage ist nun die Entwicklung der Dividende. Für BASF hat die Ausschüttung der Aktie und ihre jährliche Erhöhung eine zentrale Bedeutung. Weder in den schweren Krisen nach der Jahrtausendwende noch in der Finanzkrise hat BASF die Dividende ausfallen lassen. Da die Abschreibung auf Wintershall nicht cashwirksam ist und der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Sondereinflüssen im vergangenen Jahr nur um verträgliche elf Prozent nachgegeben hat, dürfte BASF aller Voraussicht nach auch im Frühjahr 2023 (für das Geschäftsjahr 2022) wieder eine Dividende zahlen – alles andere wäre eine böse Überraschung. Bei 3,40 Euro je Aktie und 918,5 Millionen Stück wären dafür 3,1 Milliarden Euro fällig. 

BASF-Aktien dürften damit nach ihrem zuletzt starken Kursanstieg zumindest eine Korrektur einleiten. Aktuell hält sich die Aktie trotz mehrfacher Abstufungen durch Banken erstaunlich gut. Dennoch könnte im Zuge einer anstehenden Marktkorrektur erst einmal ein Rückgang in Richtung 50 Euro möglich sein. Die nächste Auffangzone läge dann zwischen 47 bis 45 Euro. Solange dieser Kursbereich hält, kann BASF mit einer mittelfristigen Korrektur durch die schwierigen nächsten Wochen kommen. 

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Fazit für den Dax: Nach 27 Prozent Kursplus in dreieinhalb Monaten ist der Dax reif für eine Korrektur. Wenn er von seinen 3200 Punkten Gewinn in klassischer Weise 40 bis 50 Prozent verlieren würde, ergäbe dies eine Zielzone von 13.900 bis 13.600. In diesem Bereich liegen mittlere Wendepunkte im Dax (Top vom August, Tief vom Dezember); zudem dürfte in einigen Wochen die 200-Tagelinie langsam über die Marke von 13.600 Punkte vordringen. 

Ein Rückgang des Dax bis in diese Zone, der sich womöglich in einem Zeitfenster bis in den typischen Wendemonat März abspielt, wäre eine klassische Korrektur nach der jüngsten Rally – und vielleicht sogar ein guter Einstieg für den möglichen nächsten Schub dann bis in den Mai hinein. 

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