Riedls Dax Radar Gegen die Zinsangst: Neue Favoriten für wackelige Börsen

Telekom, Fresenius und Munich Re stützen den DAX. Quelle: REUTERS

Plötzlich sind Defensivaktien wie Deutsche Telekom und Fresenius wieder gefragt. Das ist eine wichtige Stütze, mit der der Dax die laufende Korrektur ohne größere Rückschläge überstehen dürfte – solange die US-Zinsen nicht aus dem Ruder laufen.

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Nur vier Tage hat es gedauert, bis die Rendite für zehnjährige amerikanische Staatsanleihen wieder von 1,52 Prozent auf 1,70 Prozent nach oben gegangen ist. Grund waren enorm hohe Inflationszahlen in den USA. Um 4,2 Prozent kletterten die Verbraucherpreise im April im Vergleich zum Vorjahresmonat. Dabei waren schon die Erwartungen der Banken mit plus 3,6 Prozent keineswegs zurückhaltend. 

Auch wenn der hohe Wert von 4,2 Prozent auf den durch die akute Coronakrise besonders schwachen April des Vorjahres zurückzuführen ist, die Tendenz ist eindeutig: Immer mehr Bereiche der Wirtschaft werden vom Trend zu nachhaltig höheren Preisen erfasst. Ob es bei kurzen, vorübergehenden Ausflügen über die Zielmarke der US-Notenbank Fed von zwei Prozent bleibt, ist fraglich. Der schnelle Zinsanstieg an den Anleihemärkten und die Schockwellen an den Aktienmärkten lassen daran zweifeln.

Allerdings, Inflation trifft derzeit keineswegs die Aktienbörse generell, sondern vor allem die Technologiebranche. Als Argument wird oft die Zinssensitivität vieler Wachstumswerte genannt, weil sie wegen mangelnder Finanzkraft erheblich auf fremdes Kapital angewiesen seien, das sie mit Zinsen bezahlen müssten. Gerade aber das trifft bei den schwergewichtigen Top-Werten der Branche, wie Apple, Microsoft, Amazon oder Google Alphabet, von denen die Aufwärtsbewegung der vergangenen Jahre angeführt wurde, gar nicht zu. 

Der tiefere Grund für die aktuelle Schwäche der Techwerte ist schlichtweg ihr nach langer Hausse erreichtes, hohes Bewertungsniveau. Dieser Effekt wurde schon offensichtlich, als die Aktien nach den jüngsten guten Quartalszahlen nicht mehr weiter stiegen. Es ist der klassische Fall, wie an der Börse gute Nachrichten nach langem Aufwärtstrend vermehrt zu Verkäufen führen. 

Im Dax zeigt sich das besonders am Überflieger Infineon. Trotz starker Zahlen und glänzender Aussichten, vor allem des vielversprechenden Verhältnisses von Auftragseingang zu Umsatz (Book to Bill), kommt die Aktie seit vier Monaten nicht mehr richtig voran. Mit dem jüngsten Rückschlag auf bis zu 30 Euro ist Infineon genau auf die 200-Tagelinie abgesunken. Zumindest kurzfristig sollte sie von hier aus eine Erholung in Richtung 35 Euro starten. An den guten Aussichten des Unternehmens und dem enormen Bedarf an Chips für Fahrzeuge, Sicherheitstechnik und dem Internet der Dinge hat sich nichts geändert. 

Der zweite große Technologiewert im Dax, SAP, ist seit den Enttäuschungen des vergangenen Jahres etwas aus dem Blickwinkel momentumorientierter Aktienkäufer gerutscht. Dass Mitgründer Hasso Plattner über das ursprünglich angepeilte Amtsende 2022 nun noch bis 2024 Aufsichtsratschef bleiben will, ist natürlich kein Zeichen einer Verjüngung. Immerhin, operativ gibt es Lichtblicke. Im ersten Quartal fielen die wichtigen Cloud-Umsätze besser aus als erwartet, zudem gewinnt SAP wieder Marktanteile. Gehen die erwarteten Prognosen auf, ist auch die analytische Bewertung der Aktie nicht zu hoch. 

Für diejenigen, die bei SAP zu unter 100 Euro eingestiegen sind, besteht immer noch ein Polster. Der zwischenzeitliche Kursanstieg im April auf 121 Euro lässt sich durchaus als Signal des Marktes für ein Comeback der Walldorfer interpretieren. Der jüngste Rückschlag auf 110 Euro hat ein typisches Ausmaß bis auf das Top-Niveau von Januar und Februar. Für die nächsten Wochen heißt das: Kann die Aktie dieses Niveau um 110 Euro verteidigen, besteht mittelfristig eine reelle Chance auf einen Anstieg bis auf 130 Euro. 

Gesundung bei Fresenius, Telekom mit cleverem Dreh

Profiteure der jüngsten Tech-Schwäche an den Börsen sind die typischen Defensiv- und Valueaktien. Diese Verschiebung des Blickwinkels gibt Anlegern einen wichtigen Hinweis: Die jüngsten, schnellen Kursrückschläge an den Börsen sind keine Abkehr von Aktien an sich, sondern eine Branchenrotation – und damit ein ganz normaler Vorgang innerhalb einer gesunden Aufwärtsentwicklung. Bedenklich wäre die Lage an den Börsen erst, wenn viele oder praktisch alle Branchen zur Schwäche neigen würden. Das ist derzeit aber keineswegs der Fall. 

Fresenius, Münchener Rück und Deutsche Telekom wieder gefragt

Im Dax zeigt sich das besonders an den Antizyklikern Fresenius und Deutsche Telekom. Fresenius war durch eine umstrittene Übernahmepolitik und die Folgen der Coronakrise schwer unter Druck geraten. Nun aber, nachdem die Aktie durch einen mehrjährigen Abwärtstrend gegangen und dabei günstig geworden ist, wächst die Hoffnung auf die Zeit nach Corona. Die eingeschlagenen Kostensenkungsmaßnahmen des Unternehmens dürften sich noch im laufenden Jahr in den Zahlen auswirken; eine mögliche Umstrukturierung des Konzerns über Ausgliederungen sorgt bei Investoren zusätzlich für Fantasie. Mit dem dynamischen Kursanstieg seit März könnte Fresenius nach vier Jahren Baisse die Kurswende eingeleitet haben. Kurzfristig wäre es gut, wenn die Notierungen im Zuge der allgemeinen Korrektur nicht mehr unter 40 Euro rutscht. 

Gut gestiegen ist zuletzt der Kurs der Deutschen Telekom. Dahinter steckt nicht nur das stabile Geschäftsmodell des Unternehmens, das sich besonders in der Pandemie bewährt hat. Die Kursentwicklung ist auch Folge der 5G-Revolution und der neuen digitalen Techniken, die ohne leistungsfähige Mobil- und Festnetze nicht funktionieren.

Dazu kommt ein wichtiger strategischer Dreh, den derzeit praktisch alle europäischen Telekomkonzerne verfolgen: Zum kostspieligen Ausbau ihrer Netze und ihrer Infrastruktur holen sie sich professionelle Investoren ins Boot, die angesichts allgemein niedriger Zinsen dieses Angebot auch gern und reichlich annehmen. Zugleich können die Telekoms unter diesen Bedingungen problemlos über eigene Mehrheiten das Sagen behalten. Zusätzlich schüren sie noch die Fantasie der Anleger, indem sie ihre Infrastruktursparten (Masten, Leitungen, Netztechnik) ausgliedern, in Gemeinschaftsunternehmen überführen oder an die Börse bringen. Dass sie zudem seit Jahren zuverlässig hohe Dividenden bieten, macht sie auch für Bondinvestoren interessant. Nachdem die Telekom-Aktie das Niveau um 15,50 Euro überwunden hat, sollte sie nun die Region der Top-Kurse der vergangenen Jahre bei rund 18 Euro ansteuern. 

Eine Alternative für wechselwillige Technologieinvestoren ebenso wie für risikofreudige Anleihekäufer ist die Münchener Rückversicherung. Auf 2,8 Milliarden Euro hat die Münchener Rück nach dem starken ersten Quartal ihr Gewinnziel für 2021 hochgesetzt. Das erste Quartal begann mit 589 Millionen Euro Nettogewinn, plus 166 Prozent. Allerdings müssten, um die Prognose zu erfüllen, die weiteren Quartale noch besser ausfallen; leicht wird das nicht. Das Kapitalanlageergebnis der Münchener wird unter Druck bleiben, weil Neuanlagen trotz erhöhtem Zinsniveau nicht soviel einbringen wie auslaufende, ältere Wertpapiere. Sollte es zu einer längeren Korrektur an den Aktienmärkten kommen, bekämen das die Münchener zu spüren, da sie zudem gerade ihre Aktienquote ein Stück hochgesetzt haben. Und ob nicht wieder Naturkatastrophen die Rechnung so stark belasten wie im ersten Quartal, ist eine offene Frage. Allerdings, selbst wenn am Ende nur 2,5 Milliarden Euro bleiben sollten, dürfte die Dividende steigen und die wegen Corona ausgesetzten Aktienrückkäufe könnten wieder einsetzen. Die Münchener Rück ist eine Daueranlage im Dax, die sich für Einsteiger besonders bei Rückschlägen lohnt. Aktuell könnte das im Bereich 230 bis 200 Euro der Fall sein; in diesem Kursbereich kam es in den vergangenen Jahren mehrmals zu Konsolidierungen.

Fazit für den Dax: Auch wenn der Zinsanstieg sicher kein Vorteil für Technologieaktien ist, liegt der eigentlich Grund für ihre Schwäche in dem mittlerweile erreichten hohen Kursniveau. Ein Rückgang im taktgebenden Index, dem Nasdaq 100, unter den Bereich 12.500 Punkte (hier verläuft aktuell die 200-Tagelinie) oder 12.200 Punkte (hier liegt das jüngste mittelfristige Tief vom März) wäre ohne Frage ein gefährliches Signal. Mit einem Stand von 13.100 Punkten ist der Nasdaq-Index jedoch ein gutes Stück von dieser Nagelprobe entfernt. Dass sich die Zinsen für US-Bonds nach ihrer jüngsten Rally auf 1,70 Prozent zuletzt wieder auf 1,65 Prozent etwas beruhigt haben, hilft bei der Stabilisierung. 

Der Dax konnte sich in diesem Umfeld dank der Widerstandskraft seiner Klassiker und dem Anstieg seiner Defensivwerte zweimal wieder über die Marke von 15.000 Punkten retten. Zwischen 14.800 und 15.500 Punkten ist dabei eine Schiebezone entstanden, die immer mehr die Form einer Konsolidierung in einem übergeordneten Aufwärtstrend annimmt, also keine Kurswende nach unten sein dürfte. 

Für dieses positive Szenario wäre es gut, wenn die zehnjährigen US-Renditen erst einmal in ihrer mittelfristigen Bandbreite zwischen 1,55 und 1,75 Prozent bleiben und nicht nach oben hinausdringen. Dass sich die US-Wirtschaft nach einem hochdynamischen zweiten Quartal dann im zweiten Halbjahr etwas beruhigt und 2022 in moderateres Fahrwasser übergeht, wäre dazu das passende Umfeld. 


Mehr zum Thema: Trotz Corona schütten einige Konzerne viel Geld an ihre Aktionäre aus. Der Dividendenkönig aus dem WiWo-Ranking der besten Aktien der Welt profitiert von der Rohstoff-Rally.
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