Riedls Dax-Radar
Im Aktienindex Dax herrscht Abwärtsdruck, auch aufgrund der inzwischen deutlich restriktiveren Geldpolitik der Notenbanken Quelle: imago images

Trotz Kurserholung: Im Dax ist eine Trendumkehr kaum möglich

Nach herben Verlusten aus Angst vor Zinserhöhungen ist im Dax eine Gegenbewegung möglich. Doch mit enttäuschenden Entwicklungen in immer mehr Unternehmen droht den Börsen in den nächsten Wochen schon ein neues Problem.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Mit 9,1 Prozent erreicht die Inflation in der EU im August einen neuen Höchststand. Die Hoffnung, dass sich die Teuerung etwa wegen der zuletzt nachgebenden Rohölpreise entspannt, dürfte damit bis auf weiteres verflogen sein. Am US-Anleihemarkt haben die Renditen für zehnjährige Staatsanleihen schon wieder 3,26 Prozent erreicht; in der EU sind die Renditen der führenden zehnjährigen Bundesanleihen auf 1,54 Prozent geklettert. Es dürfte nur eine Frage von Wochen sein, bis die beiden weltweit wichtigsten Anleihebarometer ihre Rendite-Spitzen vom Juni erreichen – und dann wahrscheinlich darüber hinaus klettern. In diesem Umfeld wird es immer wahrscheinlicher, dass die europäische Notenbank EZB (am 8. September) und die amerikanische Fed (am 20. und 21. September) bei ihren nächsten Sitzungen deutliche Zinserhöhungen beschließen. Zudem wird die Fed beim Abbau ihrer Bilanzsumme in diesem Monat ihr Tempo verdoppeln. 
Lesen Sie auch: Warum der Euro weiter nachgibt – und was das für Anleger bedeutet

Nachdem Fed-Chef Jerome Powell beim Notenbanktreffen in Jackson Hole Hoffnungen auf eine moderate Geldpolitik eine klare Absage erteilt hatte, haben die Aktienmärkte wieder nach unten gedreht. Vor allem die bis dahin weit gestiegenen Technologiewerte geraten nun vermehrt unter Druck. Apple hält sich zwar noch einigermaßen gut, Microsoft und Amazon notieren aber weit unter ihren Höchstkursen und stecken mitten in einer größeren Abwärtsbewegung.

Ein neues Warnsignal kommt vom Philadelphia Semiconductor Index (SOX), in dem die wichtigsten Chipaktien weltweit verrechnet sind, etwa Intel, AMD, Texas Instruments oder Nvidia. Halbleiter sind wichtige Frühindikatoren, weil sie (vergleichbar mit Kupfer in der klassischen Industrie) in fast allen Branchen eine zentrale Rolle spielen, vor allem bei neuen und trendsetzenden Produkten. 

Der Halbleiterindex erlebte im Januar einen scharfen Einbruch und komplettierte im April seine Trendwende nach unten. Seitdem läuft ein klassischer Abwärtstrend, mit einem ersten Ausverkauf Anfang Juli. Die Erholung bis Anfang August war dynamisch, doch der aktuelle Rückschlag ist das nicht weniger. Jetzt kommt es darauf an, ob sich der SOX oberhalb der Julitiefen stabilisieren kann. Die jüngsten Exportbeschränkungen für Hochleistungschips, die besonders AMD und Nvidia treffen, sind dafür kein vorteilhaftes Umfeld. 

SAP kippt, Allianz wankt, Bayer enttäuscht 

Im Dax kommt es durch den jüngsten Kursdruck bei mehreren, zum Teil schwergewichtigen Aktien, zu einer enttäuschenden Entwicklung. Die wichtigste Technologieaktie des Landes, Softwareschmiede SAP, hat den Kampf um die Unterstützungszone um 95 Euro erst einmal verloren. Der Wandel von Bezahl- zu Mietsoftware kommt zwar voran, zieht sich aber länger hin, als erwartet. Der Druck auf die Margen bleibt und könnte sich in einer schwachen Konjunktur sogar noch verstärken. Nach dem jüngsten Quartalsbericht setzen Banken ihre Kursziele herab. Sollte sich die Aktie nicht bald wieder über 95 Euro erholen, droht bei SAP der gesamte Aufwärtstrend der vergangenen zwanzig Jahre zu kippen. Das langfristige Kursbild, das SAP derzeit bietet, ist extrem brisant. 

Das gilt ähnlich für Adidas. Vor kurzem ist die Aktie unter das langjährige Tief bei 160 Euro gefallen und hat zugleich den seit 2008 bestehenden Aufwärtstrend ernsthaft verletzt. Der überraschende Abgang von Chef Kasper Rorsted ist ein Signal für die schwerwiegenden Probleme, in denen das Unternehmen seit dem Ukrainekrieg und den geopolitischen Spannungen um China steckt. Vor allem China war und ist für Adidas bisher ein entscheidender Zukunftsmarkt. Im Durchschnitt rechnen Banken bei Adidas in diesem Jahr nun mit einem Gewinnrückgang von einem Drittel. Daran gemessen ist die Aktie trotz der bisherigen Kursverluste noch nicht billig.

Abkippende Konjunktur und geopolitische Großbaustellen

 

Auf dem absteigenden Ast ist die Allianz. Zuletzt ist die Aktie unter das wichtige Kursniveau um 180 Euro gerutscht. Zwar läuft das operative Tagesgeschäft des Versicherers nicht schlecht, der Rückzug aus Russland aber könnte im dritten Quartal zu einer Sonderbelastung von rund 400 Millionen Euro führen. Offen bleiben die Fragen der inneren Kontrollen, die nach dem Hedgefonds-Skandal in den USA nun auch hierzulande die Finanzaufsicht auf den Plan rufen. Ein Rückschlag der Aktie bis auf den zehnjährigen Aufwärtstrend, der bei etwa 150 Euro verläuft, wird immer wahrscheinlicher. 
Lesen Sie auch: Allianz: Das steckt hinter der Fassade des Blenders

Auffallend schwach sind seit Juli Aktien von Bayer. Das ist eigentlich erstaunlich, da das Unternehmen in der juristischen Auseinandersetzung in den USA um den Unkrautvernichter Glyphosat sogar mehrere Teilerfolge erzielte. Dazu gab es positive Studienergebnisse zu neuen Medikamenten gegen Blutgerinnung. Auf der anderen Seite verunsichern hohe Rückstellungen für weitere Rechtsrisiken im Zusammenhang mit dem Umweltgift PCB. Dazu wächst die Unsicherheit, wie lange Bayer noch die bisher hohen Preise für Glyphosat durchsetzen kann. Insgesamt konnten Bayer-Aktien trotz der allgemein starken Marktentwicklung im Juli nicht an ihr Comeback vom Frühjahr anschließen. Der jüngste Rückfall unter die Durchschnittslinie der vergangenen 200 Tage ist ein Warnsignal. 

Neuer Abwärtsdruck besteht bei Continental. Nachdem im zweiten Quartal wider Erwarten ein Verlust von 251 Millionen Euro entstanden ist, setzt die Aktie ihre Abwärtsbewegung dynamisch fort. Die Unterstützung bei 64 Euro hat nicht gehalten, nun könnte ein Kursrückgang bis zu den Coronatiefen um 50 Euro anstehen. Entwarnung ist vorerst nicht in Sicht: Hohe Kosten für Energie, Rohstoffe und Logistik werden die Zahlen weiter belasten, dazu kommt der aufwendige Konzernumbau und das schwierige Umfeld der Autozulieferbranche. Und im Vergleich zu den extrem niedrig bewerteten Autoherstellern Volkswagen und BMW sind Conti-Aktien nicht einmal günstig. 

Fazit für den Dax: Hohe Inflation, steigende Zinsen, eine abkippende Konjunktur und geopolitische Großbaustellen sind ein schwieriges Umfeld für Aktien. Zwar dürften zahlreiche Einzelwerte durch deutliche Kursrückgänge die Risiken mittlerweile zu einem großen Teil eingepreist haben; doch ob die Aktienmärkte im Juni und Juli wirklich schon ihren Tiefpunkt gesehen haben, ist weiterhin fraglich. Angesichts der Ballung der Risiken wäre im historischen Vergleich der großen Dax-Abschwünge eine Baisse von sechs Monaten (von Anfang Januar bis Anfang Juli) wenig wahrscheinlich.  

Dazu zeigt die auffallende Schwäche von immer mehr Einzeltiteln, dass die Aktienmärkte nach dem aktuellen Kernproblem Inflation auf eine neues Risiko zusteuern: Deutlich gedrückte Zahlen der Unternehmen, die zunehmend von hohen Kosten für Energie und Material, zurückhaltenden Abnehmern und klammen Konsumenten gekennzeichnet sein werden. Damit dürften sich auch die in Einzelfällen sehr günstigen Aktienbewertungen relativieren. 

Rezept zum Reichwerden? Das steckt hinter dem System von Deven Schuller

Ein selbsternannter Finanzexperte will seinen Kunden laut eigener Aussage dabei helfen, finanzielle Freiheit zu erreichen, und pflastert das Internet mit Werbung. Was steckt dahinter? Ein Selbstversuch.

Freiberufler-Report So viel verdienen Selbstständige in Deutschland

Zwei Euro mehr pro Stunde – und kaum noch ein Gender Pay Gap: Selbstständigen geht es auch in der aktuell schwierigen Lage recht gut. In welchen Bereichen sie am meisten verdienen.

Leistung Warum Manager es ihren Mitarbeitern nicht zu gemütlich machen sollten

Wenn sich Mitarbeiter sicher fühlen, bringen sie bessere Leistung. Das zumindest ist die Hoffnung. Tatsächlich ist oft das Gegenteil der Fall.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Nachdem der Dax in zwölf Tagen 1280 Punkte verloren hat, liegt eine kurzfristige Erholung in der Luft. Wenn der Index dabei etwa die Hälfte der jüngsten Verluste wieder aufholt, käme er in den Bereich 13.200 bis 13.400 Punkte. Etwas weiter oben, bei knapp 13.600 Zählern, verläuft bis Ende des Monates der seit Januar bestehende Abwärtstrend. Die Durchschnittslinie der vergangenen 200 Tage, die aktuell bei 14.314 verläuft, dürfte bis dahin etwa auf 14.000 abdriften. Für eine echte Trendwende müsste der Dax den gesamten Kursbereich zwischen 13.600 bis 14.000 Punkten dynamisch und getrieben von breit angelegten Käufen überwinden. Das dürfte angesichts der verschärften Geldpolitik und der anstehenden Notenbank-Entscheidungen im September kaum möglich sein. 

Lesen Sie auch: Fünf Strategien gegen die Krise an den Aktienmärkten

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%