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Börse: Die Finanzkrise war noch nicht der Tiefpunkt Quelle: AP

Die Finanzkrise war noch nicht der Tiefpunkt

Daniel Stelter Quelle: Presse
Daniel Stelter Unternehmensberater, Gründer Beyond the Obvious, Kolumnist Zur Kolumnen-Übersicht: Stelter strategisch

Den Finanzkrisen-Crash von 2009 haben Anleger längst verdaut. Neue Analysen zeigen jedoch, dass China und die Notenbanken die Weltwirtschaft zu früh retteten. Warum neue Tiefpunkte an der Börse noch immer möglich sind.

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In der kommenden Woche nähert sich ein denkwürdiges Jubiläum. Am 6. März 2009 erreichte der S&P 500 seinen letzten Tiefpunkt. Am Nachmittag dieses Freitags fiel der amerikanische Leitindex S&P 500 auf das Niveau von 666 Punkten. Keine 18 Monate zuvor hatte er noch bei über 1500 Punkten notiert. Die Finanzkrise wütete und ich erinnere mich noch sehr gut an die damaligen Diskussionen, die um die Frage kreisten, ob es den Regierungen und Notenbanken gelingen würde, eine neue große Depression zu verhindern. Immerhin war der Absturz nach allen Maßstäben dramatischer als 80 Jahre zuvor. Obwohl die US-Börse schon mehr als 57 Prozent vom Höchststand eingebüßt hatte, genügte viel Mut dazu, zuzugreifen.

Wer es an diesem Tag wagte, in den Aktienmarkt zu gehen, der wurde reichlich belohnt. Seither hat die US-Börse um 320 Prozent zugelegt, was die Korrektur im letzten Quartal 2018 in anderem Licht erscheinen lässt. Für Aktionäre waren die vergangenen zehn Jahre sehr erfreulich, dürften die Erträge doch wenn man die Dividenden mit einrechnet, deutlich über 400 Prozent liegen.

Frühe Wende

Rückblickend ist es leicht, Wendepunkte an den Märkten zu identifizieren. Wenn man mitten im Getümmel ist, fällt dies schon deutlich schwerer. Vor allem deshalb, weil wirkliche Tiefpunkte an den Börsen selten sind. In den USA gab es im letzten Jahrhundert genau vier solche Wendepunkte: 1921, 1933, 1949 und 1982. Schaut man sich diese Wendepunkte genauer an, stellt man fest, dass es vor 10 Jahren kein wirklicher Tiefpunkt gewesen sein muss.

Der Analyst Russell Napier hat dies in einem interessanten Buch analysiert. Demnach herrscht an den Tiefpunkten der Bärenmärkte eine schlechte Stimmung, was man mit Sicherheit für 2009 feststellen kann. Die Nachrichtenlage war sehr schlecht und Umfragen unter Investoren ergaben eine Skepsis, wie noch nie zuvor. Der Kassenbestand der Investoren war ebenfalls sehr hoch, viele hatten sich nach den dramatischen Verlusten aus dem Markt zurückgezogen. Die britische Financial Times begann mit einer neuen Serie zur „Zukunft des Kapitalismus“ und es stand in der Tat zu befürchten, dass die Krise außer Kontrolle geraten würde. So gesehen also die typischen Merkmale für einen Tiefpunkt.

Fundamental kein ausgeprägter Bärenmarkt

Andererseits haben wir auch an dieser Stelle immer wieder diskutiert, wie wichtig nicht nur die Stimmung, sondern auch die fundamentalen Faktoren bei der Bewertung der Märkte sind. Hier zeigt sich, dass 2009 mitnichten die Kriterien eines Wendepunktes im Bärenmarkt markiert, zumindest wenn man sich an den historischen Beispielen orientiert. So war der Markt gemessen an Indikatoren wie dem Shiller-PE, welches einen rollierenden Durchschnitt vergangener Gewinne heranzieht und Tobins Q, welches den Marktwert in Relation zu den Wiederbeschaffungskosten der Vermögenswerte stellt, zwar günstiger als im Durchschnitt der vorangegangenen Jahre, aber weit davon entfernt billig zu sein.

Das Shiller-PE war im März 2009 zwar unter 12 gefallen und damit so tief, wie seit 1986 nicht mehr. Die anderen Tiefpunkte waren bei Bewertungen von 5,2 (1921), 7,8 (1933), 9,1 (1949) und 6,7 (1982). So gesehen, hatte der S&P 500 aus Sicht jener, die mit einem ausgeprägteren Bärenmarkt rechneten, noch einige Luft nach unten.

Chinas Rettung kam zu früh

Dass es nicht so weit gekommen ist, liegt an zwei wesentlichen Faktoren. Zum einen hat China ein Konjunkturprogramm historischen Ausmaßes aufgelegt und mindestens 500 Milliarden US-Dollar in die eigene Wirtschaft gepumpt. Großzügige Kreditvergabe und massive Investitionen in die Infrastruktur des Landes, verhinderten nicht nur eine auch politisch gefährliche Krise im eigenen Land, sondern rettete der ganzen Weltwirtschaft, die schon damals unter enormen Schulden litt. Man kann es nicht anders sagen, die Führung in China hat die damals noch freie Verschuldungskapazität des Landes genutzt, um der Welt eine erneute große Depression zu ersparen.

Die anderen Retter der Welt waren die Notenbanken. Zwar tragen sie wie an dieser Stelle mehr als einmal erklärt erhebliche Mitschuld an der Überschuldungssituation, in der wir uns immer mehr befinden, doch war es 2009 sicherlich richtig, die Politik des billigen Geldes noch aggressiver fortzusetzen. So senkte die Fed die Zinsen auf 0,25 Prozent und die Bank of England beschloss am 6. März 2009 mit Quantitative Easing zu beginnen, also dem direkten Aufkauf von Wertpapieren. Die in Japan schon (erfolgreich?) befolgte Strategie wurden rasch auch in den USA und in Europa erst nach einigen weiteren Krisenrunden auch von der ECB verfolgt. Theoretisch sollte so der Politik Zeit gekauft werden, die Grundursachen von Finanz- und Eurokrise anzugehen. Das Komplettversagen der Politiker dies in den letzten 10 Jahren zu tun, wird sich in der nächsten Rezession bitter rächen.

China und die Notenbanken haben also die Börsen früher gerettet, als zu früheren Zeitpunkten. Die Frage ist nur, war es das schon?

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