Stelter strategisch
Wall Street: Warum Anleger vorsichtig sein sollten

Schlechtes Chance-Risiko-Verhältnis an der Wall Street

Daniel Stelter Quelle: Presse
Daniel Stelter Unternehmensberater, Gründer Beyond the Obvious, Kolumnist Zur Kolumnen-Übersicht: Stelter strategisch

Der Rallye seit Weihnachten zum Trotz spricht vieles für weitere Vorsicht an der Wall Street. Warum die Chancen an den US-Börsen in keinem guten Verhältnis zu den Risiken stehen.

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Vor zwei Wochen habe ich die These aufgestellt, dass es verwegen sei, einen erneuten Test der letzten Tiefststände des S&P 500 auszuschließen. Bei einem Stand von über 2700 Punkten sind 666 Punkte in der Tat weit außerhalb des Denkbaren. Wie sehr, konnte ich auch an einigen Leserzuschriften erkennen. Zu groß ist der Konsens, dass wir die Finanzkrise überwunden haben, zu groß das Vertrauen in die Notenbanken, die – sollte es erneut turbulent werden – jederzeit genug Liquidität in die Märkte pumpen können, um einen erneuten Absturz zu verhindern.

Dabei macht gerade dieses Urvertrauen in die Notenbanken deutlich, auf welch schmalem Grat wir unterwegs sind. Immerhin zehn Jahre hängen wir nun schon am Tropf billigen Geldes und die Wirkungen sind bekannt: ein im historischen Vergleich bestenfalls schwacher Aufschwung, weiter schnell wachsende Schuldenquoten und stark gestiegene Asset-, das heißt Vermögenspreise. Aktien, Anleihen, Immobilien und „alternative Investments“ von Kunst bis Private Equity boomen.

17 Prozent der weltweiten Anleihen mit negativem Zins

Wie krank das Finanzsystem ist, lässt sich alleine an der Tatsache ablesen, dass nach zehn Jahren Aufschwung weltweit immerhin Anleihen im Volumen von 9000 Milliarden US-Dollar eine negative Verzinsung aufweisen. Im Oktober waren es „nur“ 6000 Milliarden. Die zehnjährige Bundesanleihe ist auf dem besten Weg erneut eine negative Verzinsung zu bieten.

Negative Zinsen sind kein gutes, sondern ein extrem schlechtes Signal. Vor allem, nachdem bereits so lange so viel Liquidität in die Märkte gepumpt wurde. Das Signal der Anleihenmärkte heißt: Deflation und Rezession voraus. Schon früher habe ich an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Märkte allen Bemühungen der Notenbanken zum Trotz „deflationäre Assets“ bevorzugen.

Was wiederum die Notenbanken vor nicht unerhebliche Probleme stellt. Sie haben sich schon lange auf einen Pakt mit den Finanzmärkten eingelassen. Jede Form der Stimulierung der Realwirtschaft soll über den „Wohlstandseffekt“ steigender Vermögenspreise funktionieren. Umgekehrt gilt es dann natürlich, den negativen Effekt fallender Vermögenswerte um jeden Preis zu verhindern. Die Notenbanken sind an die Finanzmärkte gefesselt.

Dabei tut sich eine immer größere Lücke zwischen den Finanzmärkten und der Realwirtschaft auf. Die ganze Diskussion zu Vermögensverteilung und Besteuerung, die gerade in den USA an Fahrt gewinnt, ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Der Wohlstandseffekt hat nicht so funktioniert, wie erwartet und erhofft. Die Investitionen blieben schwach, das Produktivitätswachstum und die Lohnentwicklung ebenfalls. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich auszumalen in welche Richtung es politisch in den kommenden Jahren gehen wird. Mehr Staat, höhere Abgaben und mehr Umverteilung werden dominieren. So oder so kein gutes Umfeld für Finanzmärkte und Vermögen.

Die Kaufpanik vom Dezember

Wie anfällig die Märkte nach zehn Jahren künstlichem Aufschwung sind, konnten wir im vergangenen Jahr beobachten. Die Erwartung steigender Zinsen entzog den Börsen zunehmend den Treibstoff. Markt für Markt drehte nach unten, bis es am Ende auch die Wall Street erwischte, als selbst die FANGS nicht mehr konnten. Letztere hatten sich immer mehr von fundamental rechtfertigbaren Bewertungen entfernt. Das schlechteste vierte Quartal seit Jahrzehnten war die Folge, ein Börsenjahr, in dem fast alle von der Deutschen Bank beobachteten Assetklassen mit einem deutlichen Minus abschlossen.

Zu Weihnachten dann die Panik. Nein ich meine nicht den deutlichen Rückgang der Kurse, sondern die schnelle Trendwende. Am 26. Dezember gewann der S&P 500 fast fünf Prozent. Hintergrund waren Gerüchte, dass das „Plunge Protection Team“ – eine geheimnisumwitterte Gruppe im Weißen Haus, die sich um die Börsen kümmern soll – aktiv geworden sei und die deutlichen Signale der Fed, den Kurs der geldpolitischen Straffung zu verlassen.

von Julian Heißler, Mark Fehr, Sebastian Kirsch, Heike Schwerdtfeger

Die Entwicklung unterstreicht allerdings, wie sehr wir uns in die Ecke manövriert haben. Immer mehr Geld ist in die riskanteren Bereiche der Märkte geflossen, die zudem wenig liquide sind, wenn die Stimmung dreht. Dies liegt auch daran, dass die Geschäftsbanken aufgrund der strengeren Regulierung nicht mehr wie früher im Markt intervenieren können. Drastische Kursverluste sind deshalb durchaus wahrscheinlich, egal von wo der Auslöser kommt.

Die Ereignisse des letzten Jahres können durchaus als Vorbeben angesehen werden. Wir haben es mit einer Weltwirtschaft zu tun, die einen Einbruch an den Vermögensmärkten nicht verkraften kann und Märkten, die nicht mehr in der Lage sind, schnelle Stimmungsumschwünge zu verkraften.

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