Zschabers Börsenblick
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Verlieren die Zinsängste ihr Horrorpotenzial?

Das vermeintliche Schreckensgespenst steigender Zinsen hat die Anleger lange umgetrieben und beschäftigt sie nach wie vor. Es könnte allerdings Zeit sein für ein Umdenken.

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Professoren der Wirtschaftswissenschaften dürften die Nase rümpfen, wenn jemand das Zusammenspiel zwischen Zinsen und Aktienmarkt auf die simple Formel reduziert: Zinsen rauf, Aktien runter – und umgekehrt. An der Börse ist es nun einmal selten so trivial.

Nun haben allerdings gerade die vergangenen knapp anderthalb Jahrzehnte gezeigt, dass es mitunter doch eine ziemliche Korrelation zwischen beiden gibt – es muss schon an fortgeschrittener Ignoranz leiden, wer die nach der Finanzkrise einsetzende Hausse der Aktienmärkte nicht zum großen Teil dem niedrigen Zinsniveau zuschreibt. Was zuletzt selbst dem hartnäckigsten Realitätsverweigerer zu denken gegeben haben dürfte: Seitdem die US-Notenbank implizit angekündigt hat, die Zinsen anzuheben, ist der Markt extrem nervös geworden, speziell Technologieaktien erweckten den Eindruck, bei ihnen handelte es sich um heiße Kartoffeln, so schnell ließen ihre Besitzer sie fallen.

Wer angesichts dessen seine Anlageentscheidungen einer Faustformel „Zinsen rauf, Aktien runter“ überlassen würde, müsste nun also zu dem Schluss kommen, im Vergleich des US-Aktienmarkts mit seinem europäischen Pendant dürfte Letzterer bessere Aussichten in den kommenden Monaten haben. Denn während die US-Notenbank Fed die Zinswende förmlich schon ausgerufen hat – Marktbeobachter rechnen für März damit –, behält die Europäische Zentralbank EZB ihren Nullzinskurs bei: Vorläufig gebe es keine Zinserhöhung, erklärte die EZB-Präsidentin Christine Lagarde vergangene Woche; in Frankfurt hält man also seiner ultralockeren Geldpolitik vorerst die Treue.

Es gibt allerdings gleich mehrere Faktoren, die aus dieser vermeintlich einfachen Erweiterung „US-Zinsen rauf, US-Aktienmarkt schlecht, Europa-Zinsen unten, Europa-Aktien gut“ eine Rechnung für Milchmädchen machen. Fakt ist: Der EuroStoxx 50 ist zwar tatsächlich erfolgreicher ins neue Jahr gestartet als etwa der Dow Jones – und auch auf Sicht der vergangenen zwölf Monate hat der Euro-Index die Nase vorn. Richtig ist aber auch: Trotz der bevorstehenden Zinserhöhungen in den vereinigten Staaten und einer höheren Bewertung bietet der US-Aktienmarkt aus vielen Gründen nach wie vor Chancen.

Das liegt auch daran, wie die Fed zuletzt kommuniziert hat. So hat sie ihre Entscheidung derart erläutert, dass zum einen klar wird, dass ihre Motivation vorrangig der Bekämpfung der aktuellen überdurchschnittlichen Inflation dient. Zum anderen weist sie aber auch darauf hin, dass sie ihre Maßnahmen auch insofern für gerechtfertigt hält, als Wirtschaft und Arbeitsmarkt in den USA in einer starken Verfassung seien – und beides gibt den Teilnehmern an der Börse ein grundsätzlich gutes Gefühl. Wer sich der Wichtigkeit des Themas Psychologie an der Börse gewahr ist, weiß, wie positiv so etwas wirkt. Zudem sei darauf hingewiesen, dass in vergangenen Zinserhöhungszyklen die US-Märkte nach kurzer Korrektur auf den langfristigen Wachstumspfad zurückkehrten. Entsprechendes zeigt im Übrigen der langfristige Vergleich zwischen EuroStoxx 50 und Dow Jones, bei dem das US-Börsenbarometer weitaus besser abschneidet.
Lesen Sie hier, was der miese Start ins Börsenjahr 2022 angesichts von Zinsangst und Tech-Aktien-Crash bedeutet.

Dass zudem derzeit in den USA einige Industrien erhebliches Nachholpotenzial haben, spricht darüber hinaus für Chancen. Bei den Automobilkonzernen etwa dürfte die aufgrund von Lieferengpässen etwa bei Halbleitern angestaute Nachfrage bei Beendigung dieser Probleme schnell in einer Sonderkonjunktur münden.

Kommen wir aber noch einmal zurück zum Vergleich USA versus Europa. Dass man der EZB bei der Kommunikation ihrer Maßnahmen im Vergleich mit den US-Notenbankkollegen weniger Geschick attestieren muss, macht ein Blick auf den EuroStoxx 50 deutlich, der nach den Äußerungen von Christine Lagarde erst einmal nachgab – trotz der ja an und für sich guten Nachricht (siehe oben) von einer vorerst ausbleibenden Zinserhöhung. Die Enttäuschung der Marktteilnehmer rührt womöglich auch daher, dass der Kurs der EZB nicht so gut nachzuvollziehen ist wie jener der Fed. So vermisst man bei den Ausführungen der EZB ein Bekenntnis zur Inflationsbekämpfung. Zwar äußerte sich Präsidentin Lagarde dahingehend, man bedaure die Preisentwicklung und wisse, welche Belastung diese für viele bedeute – wer aber dann nicht im Einklang mit seinem eigentlichen Mandat der Preisstabilität agiert, sorgt für Fragezeichen bei den Beobachtern. Und damit für Unsicherheit.

Da die Börsenentwicklung aber nicht nur auf Pressekonferenzen entschieden wird, sprechen andere Faktoren derzeit auch für den europäischen Aktienmarkt. So sind auch in der Europäischen Union die Wirtschaftsdaten nicht wirklich schwach: Im Zuge eines anziehenden Welthandels erwartet beispielsweise das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) für Januar ein deutliches Plus von rund vier Prozent bei den Exporten aus der EU. Dies spricht in Verbindung mit den nach wie vor bei null verharrenden Zinsen für einen stabilen EuroStoxx 50.

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Nun ist der Aktienmarkt glücklicherweise nicht „Der Bachelor“ und niemand muss sich am Ende zwischen zwei Favoriten für nur genau einen entscheiden. Im Gegenteil: Diversifikation ist einer der Schlüssel zum Börsenerfolg langfristig orientierter Anleger – und daher stellt sich ihnen nicht die Frage „Europa oder USA“, sondern sie sollten zu dem Schluss kommen „Europa und USA“ – und entsprechend beides in ihrem Portfolio berücksichtigen.

Bitte beachten Sie den Haftungsausschluss.

Mehr zum Thema: Tech-Aktien haben an der Nasdaq kräftig verloren. Doch diese fünf Anti-Crash-Aktien trotzen der Zinswende-Angst.

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