Wenn sich am Donnerstag Mario Draghi mit seinen 24 Ratskollegen in der 41. Etage des neuen Zentralbank-Turms in Frankfurt trifft, werden die Finanzchefs von Deutschlands großen Konzernen noch genauer hinsehen, als sonst. Die Finanzmärkte erwarten auf der Ratssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) zwar keine Änderung am Zins, wohl aber hoffen sie auf neue Details zum geplanten Kaufprogramm für Unternehmensanleihen.
Nicht nur die Finanzchefs, auch alle anderen Marktakteure haben noch viele Fragen. Zwar hat die EZB im März verkündet, in Kürze neben Staats- auch Unternehmensanleihen kaufen zu wollen. Viele Details zu dem Programm sind allerdings noch nicht bekannt. In den Protokollen zur Sitzung heißt es dazu lediglich, das Programm solle „bis zum Ende des zweiten Quartals 2016 anlaufen“. Die Liste der zugelassenen Anleihen umfasse Euro-Unternehmensanleihen mit einem Investment-Grade, also einem Rating von BBB- oder höher, – „deren genaue Definition stehe allerdings noch aus“. Anleihen von Banken will die EZB nicht kaufen, ob sie aber Bonds von Versicherungen kauft, ist noch offen. Das Kleingedruckte zum Kaufprogramm wird nicht nur gespannt erwartet, es könnte am Markt auch nochmal einiges durcheinander wirbeln.
„Es wird sehr stark auf die Details des Programms angekommen“, sagt Tom Mondelaers, leitender Portfolio-Manager des Euro-Investmentgrade-Portfolios bei Blackrock. Dabei gehe es beispielsweise um die Zahl der Investmentgrade-Ratings, die ein Unternehmen benötigt, oder den Standort der jeweiligen Firmenzentrale als mögliche Voraussetzung, um in das Kaufprogramm aufgenommen werden zu können.
Ökonomen zu den Staatsanleihenkäufen der EZB
"Die EZB sollte keine Staatspapiere kaufen, denn dann würde sie die Zinsen der Wackelstaaten weiter drücken und sie anregen, sich noch mehr zu verschulden. Der Kauf wird von Artikel 123 des EU-Vertrages zu Recht verboten, weil er einer verbotenen Monetisierung der Staatsschulden gleichkommt. Man sollte auch bedenken, dass selbst die US-Notenbank Fed keine Staatspapiere von Gliedstaaten kauft. Kalifornien, Illinois oder Minnesota stehen am Rande der Pleite, und doch hilft die Fed ihnen nicht mit Krediten. Es ist schlichtweg unakzeptabel, dass die EZB meilenweit über die Fed hinausgeht, obwohl Europa den gemeinsamen Bundesstaat noch gar nicht gegründet hat. Die EZB-Politik treibt die Staaten Europas in Gläubiger-Schuldner-Verhältnisse und wird längerfristig nichts als Streit und Spannungen erzeugen."
"Die EZB verfehlt ihr Mandat der Preisstabilität und ist dabei, ihr wichtigstes Gut zu verlieren: ihre Glaubwürdigkeit. In letzter Instanz ist der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB ein notwendiges Übel, um ihrem Mandat gerecht zu werden. Je zögerlicher die EZB handelt, desto weniger effektiv ihre Geldpolitik und desto höher die Risiken."
"Ich sehe derzeit keine Deflationsgefahren, die Staatsanleihekäufe rechtfertigen könnten. Ohne die notwendigen Anpassungsprozesse in den Peripherieländern und dem ökonomisch vorteilhaften Ölpreisrückgang läge die aktuelle Inflationsrate in etwa um einen Prozentpunkt höher, als es derzeit der Fall ist. Die Jagd nach Rendite und die Risikobereitschaft an den Finanzmärkten würden weiter erhöht, der Anreiz, fürs Alter langfristig zu sparen, würde weiter vermindert."
"Seit Anfang 2009 ist der Zuwachs der Geldmenge M3 mit durchschnittlich 1,7 Prozent weit hinter dem Referenzwert von 4,5 Prozent zurückgeblieben, den einst EZB und Bundesbank für sinnvoll hielten. Entsprechend schwächelt die Konjunktur, während der Preisauftrieb auch ohne Öl gefährlich nah an die Deflation herankommt. In dieser Lage muss die EZB mit einer Offenmarktpolitik gegenhalten, also mit dem Kauf von Anleihen auf dem offenen Markt, der auch Staatsanleihen umfassen sollte."
"Es ist nicht notwendig, nun auch noch mit breit angelegten Staatsanleihekäufen auf den Ölpreisverfall zu reagieren. Die EZB sollte nicht nur auf Deflationsrisiken schauen, sondern auch berücksichtigen, dass sie als Käufer von Staatsanleihen den Regierungen zusätzlichen Anreiz gäbe, notwendige Strukturreformen aufzuschieben."
Wie viele Unternehmensanleihen die EZB kaufen wird, ist noch völlig offen, ein Volumen für das Kaufprogramm wurde bisher nicht genannt. Die Schätzungen der Analysten fallen unterschiedlich aus. Michael Schubert, Notenbank-Experte der Commerzbank, schätzt das monatliche Kaufvolumen auf grob drei Milliarden Euro. Der Markt für EZB-fähige Anleihen sei weder besonders liquide noch besonders groß.
Lediglich die DZ Bank rechnet mit einem deutlich höheren monatlichen Volumen von 7,5 Milliarden Euro. Insgesamt wird das Volumen der kauffähigen Anleihen auf etwa 430 bis 600 Milliarden Euro geschätzt. Sollte sich die EZB bei Unternehmensanleihen ähnliche Grenzen auflegen wie bei Staatsanleihen, so das beispielsweise nur 33 Prozent eines Emittenten gekauft werden dürfen, rechnen Analysten mit einem deutlich geringeren verfügbaren Volumen von gerade mal rund 165 Milliarden Euro. Kristian Tödtmann, Notenbank-Experte der Deka Bank, erwartet, dass Mario Draghi am Donnerstag betonen dürfte, dass „sein Erfolg nicht allein am gekauften Volumen von Anleihen gemessen werden darf“.
Mit einem Kauf nach dem Kapitalschlüssel der Notenbank, also den Anteilen der Länder am Euro-System, rechnet allerdings kaum ein Beobachter, das würde den Handlungsspielraum der EZB zu stark einschränken. Dann wären es vor allem Anleihen von deutschen Emittenten, welche die Zentralbank kaufen müsste, da Deutschland mit rund 25 Prozent den größten Teil des eingezahlten Kapitals stellt.
Angst vor Zerrungen
Je kleiner der Markt und je größer der Käufer, desto höher das Risiko, dass es zu Preisverzerrungen kommt. „Sollte die EZB bei der Auswahl der Anleihen nur auf die Ratings achten und kaum Unterschiede bei den einzelnen Emittenten machen, könnte das zu Preisverzerrungen führen“, sagt Mondelaers. Gleiches könnte passieren, wenn die Marktstrategen der Notenbank in einzelnen Branchen relativ betrachtet deutlich mehr kaufen als in anderen. Um das zu verhindern, könnte sich die EZB laut Commerzbank-Experte Schubert an einem bestehenden Index für Unternehmensanleihen orientieren.
Kritiker der Anleihekäufe fürchten, dass die Situation am Markt für Unternehmensanleihen sich ähnlich zuspitzen könnte wie bei den Pfandbriefen. Schon jetzt heißt es, dass sich Händler aus dem Bereich Unternehmensbonds schon mal mit ihren Kollegen aus der Pfandbriefabteilung zusammengesetzt haben, um von deren Erfahrungen zu lernen. Denn Pfandbriefe, sogenannte covered bonds, also mit Hypotheken oder Krediten besicherte Bankanleihen, kauft die EZB bereits seit Oktober 2014.
Das sagen Ökonomen zur EZB-Entscheidung
"Die Beschleunigung der Anleihekäufe unter dem 'Quantitative Easing' erhöht die Dosis des Gifts. Die Notenbanken werden zu den größten Gläubigern ihrer Staaten, das ankaufbare Material wird immer knapper. Die Maßnahmen sind Ausdruck einer verzweifelten Suche der EZB nach immer mehr Stimulanz für die Märkte. Dabei sind diese gar nicht mehr nötig. Besser wäre gewesen, erst die Wirkung der ohnehin schon expansiven Schritte vom Dezember abzuwarten."
"Die EZB-Entscheidung stellt die Banken auch in Zukunft vor massive Probleme und ist ein Risiko für die Finanzmarktstabilität in Europa. Gerade die kleinen und mittelgroßen Banken sowie Sparkassen, die von Fristentransformationen leben, werden durch die Entscheidung benachteiligt. Sie werden in Zukunft Probleme haben, profitabel zu arbeiten. Zudem ist nicht klar, ob die Strategie der EZB aufgeht. Die Banken könnten gezwungen sein, die Zinsen zu erhöhen, um profitabel zu arbeiten. Dies würde der Strategie der EZB widersprechen. Es ist unwahrscheinlich, dass die Maßnahmen der EZB mittelfristig zu nachhaltigem Wachstum führen."
"Die Kritik an der Linie der Notenbank sollte nicht überzogen werden. Denn solange für deutsche Finanzanlagen eine Sicherheitsprämie gezahlt wird, ist das extrem niedrige Zinsniveau hierzulande eben auch und vor allem ein Ergebnis der hohen Unsicherheit über die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Europa."
"Das ist eine gute Nachricht für die Börsianer und für die Schuldenländer im Süden. Für die deutsche Bevölkerung ist das katastrophal. Die Sparer werden enteignet. Das ist eine gigantische Umverteilung von Norden nach Süden. Politisch birgt das einen großen Sprengsatz, wenn man das mit der Flüchtlingskrise zusammentut. Das ist brandgefährlich.
Im Ergebnis wird das nichts bringen. Man lullt die Schuldenstaaten ein. Sie machen keine Reformen, die Produktivität steigt nicht. Nord und Süd driften so noch weiter auseinander. Die deutschen Exporteure können vielleicht kurzfristig ein bisschen profitieren, weil der Euro weiter geschwächt wird. Auf der anderen Seite ist es aber schlecht für die Importeure."
"Die EZB hat die von ihr selbst geschürten Erwartungen noch übertroffen und den geldpolitischen Expansionsgrad mit zahlreichen Instrumenten weiter ausgeweitet. Allerdings ist dies nicht positiv zu beurteilen. Sobald die Kapitalmärkte etwas mehr Volatilität zeigen, 'verspricht' Mario Draghi, dass er 'etwas tun werde'. Die EZB 'tut' tatsächlich sehr viel. Aber es ist nicht Aufgabe der EZB, für dauerhaft steigende Kurse zu sorgen. Auch bewegt sich die EZB mittlerweile außerhalb ihres Mandats. Die Grenzen zur direkten Staatsfinanzierung werden fließend. Die Entscheidung von heute war ein weiterer Schritt in die falsche Richtung."
"Die EZB hat mit der Verkündung ihrer Maßnahmen massiv überrascht und im Prinzip alles auf den Markt geworfen, was sie kann. Dabei geht sie technische und politische Risiken ein. Mit diesen Maßnahmen nimmt die EZB in Kauf, Marktblasen zu erzeugen, wenn die Liquidität in der blutleeren konjunkturellen Entwicklung nicht in die Realwirtschaft findet."
"Die heute vom EZB-Rat beschlossenen Maßnahmen zur Ausweitung der Liquidität werden nicht die gewünschte Wirkung zeigen. Noch mehr billiges Geld und noch niedrigere Zinsen führen nicht zu mehr Investitionen. Im Gegenteil: Die bizarre Welt der negativen Zinsen verunsichert Unternehmen und Verbraucher, belastet die Altersvorsorge und erhöht die Anreize zur Verschuldung, sowohl der Unternehmen und Privathaushalte, als auch der Staaten. Ohnehin malt die EZB mit ihrer Konjunktureinschätzung unnötig schwarz."
"Die EZB sendet mit ihrer Entscheidung ein starkes Signal, dass sie alle ihre Instrumente entschieden nutzen wird, um ihrem Mandat der Preisstabilität wieder gerecht zu werden. Die weitere Expansion der Geldpolitik ist massiv und überraschend. Das anhaltende Risiko der Deflation und die sich abschwächende europäische Wirtschaft lassen der EZB keine andere Wahl, als ihre Geldpolitik weiter zu lockern. Es sollte nicht vergessen werden - bei allen Sorgen in Deutschland über die Nebenwirkungen der expansiven Geldpolitik -, dass es Aufgabe der EZB ist, Geldpolitik für die Eurozone und nicht nur für Deutschland zu machen. Die Entscheidung der EZB bedeutet eine noch längere Phase der Nullzinspolitik in Europa."
"Die EZB hat sich noch tiefer in die Sackgasse manövriert. Mit größter Sorge sieht die Versicherungswirtschaft, dass die Notenbank ihre schon extrem expansive Geldpolitik noch weiter signifikant gelockert hat. Denn immer mehr Anzeichen deuten darauf hin, dass diese monetären Anreize ihr Ziel nicht erreichen. Besonders deutlich wurde das seit Jahresbeginn auf den Aktienmärkten oder beim Euro-Wechselkurs, wo Verluste beziehungsweise eine Aufwertung im krassen Gegensatz zur Haltung der Geldpolitik standen.
Schlimmer noch: Mittlerweile ist sogar zu befürchten, dass diese unorthodoxe Geldpolitik das Gegenteil von dem bewirkt, was eigentlich beabsichtigt ist - nämlich mehr Wachstum und eine höhere Inflation. Die Notenbank läuft daher zunehmend Gefahr, von den Risiken und Nebenwirkungen ihres Tuns eingeholt zu werden."
"Doktor Draghi hat die Dosis deutlich erhöht. Wie von uns befürchtet, hat er die Geldpolitik der EZB leider deutlicher gelockert als die meisten erwartet hatten. Diese Geldpolitik wird kaum in der Realwirtschaft ankommen. Denn die Nebenwirkungen sind massiv. Das Produktivitätswachstum lässt nach, weil auch unrentable Investitionen wegen der niedrigen Zinsen attraktiv erscheinen. Es steigt das Risiko, dass es in Deutschland am Immobilienmarkt zu Überhitzungen kommt. Außerdem wird der Anreiz für Euro-Länder gesenkt, notwendige Reformen durchzusetzen. Alles in allem verschlechtert diese lockere Geldpolitik langfristig die Rahmenbedingungen für die Unternehmen, so dass sie sich heute schon zurückhalten. Die Medizin wird nicht wirken, auch wenn man die Dosis erhöht."
"Die EZB hat heute abermals ein umfangreiches Maßnahmenbündel auf den Weg gebracht und setzt ihren immer expansiveren Kurs fort. So wurden die Zinssätze zurückgenommen und die QE-Maßnahmen ausgeweitet. Wir gehen davon aus, dass eine Abkehr von diesem Pfad - zumindest bis auf weiteres - nicht in Sicht ist."
"Es handelt sich um eine weitere massive geldpolitische Lockerung. Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit QE (geldpolitische Lockerung) halte ich es für unwahrscheinlich, dass die Ausweitung der Anleihekäufe die Inflation nachhaltig erhöhen wird. Der Markt für Unternehmensanleihen ist in Europa zu klein, als dass sich aus deren Einbeziehung ein großer Effekt ergeben dürfte. Gleichzeitig setzt die weitere Senkung der Einlagenzinsen die Erträge der Banken noch stärker unter Druck.
Ich halte Instrumente wie die langfristigen Kreditlinien (TLTROs), die direkt an der Kreditvergabe ansetzen, für sinnvoller als den weiteren Ankauf von Anleihen. Allerdings hängt auch hier die Wirksamkeit davon ab, ob es überhaupt eine Kreditnachfrage gibt, die zu befriedigen ist."
"Die EZB beschleunigt ihre geldpolitische Irrfahrt. Die heutige Zinsentscheidung der EZB verstärkt den Abwärtsstrudel für die Sparer. Langfristige Altersvorsorgekonzepte werden ebenso entwertet, wie zinsabhängige Institute in risikoreichere Geschäfte gedrängt werden. Es ist absolut unnötig, die deutsche Kreditwirtschaft zu einer umfangreicheren Kreditvergabe zu nötigen."
"Mit ihren heute verkündeten Maßnahmen ist die EZB ihrem monetären Kurs extrem treu geblieben. Allerdings zeugt das große Bündel an Maßnahmen von einer enormen Nervosität seitens der obersten Währungshüter. Denn auch sie müssen sich eingestehen, dass ihre Geldpolitik bislang die Wirkung verfehlt hat. Die Bilanz ist ernüchternd: So ist es der EZB nicht einmal gelungen, die am leichtesten von ihr zu beeinflussenden Indikatoren in die gewünschte Richtung zu drehen."
"Es ist vollkommen unnötig, dass die Europäische Zentralbank (EZB) den Geldhahn heute noch weiter aufgedreht hat. Die Notenbank überzeichnet die Deflationsrisiken. Der Geldmarkt im Euro-Raum ist durch die EZB-Politik faktisch stillgelegt. Wirtschaftsreformen sowie die Sanierung von Bankbilanzen werden verschleppt. Doch auf all diesen Feldern hat die EZB heute noch einmal eine Schippe draufgelegt."
Die heutige Entscheidung der europäischen Zentralbank, den Leitzins auf Null Prozent zu senken, hat gravierende Folgen für sämtliche Formen der kapitalgedeckten Vorsorge. Nach Ansicht des Bund der Versicherten e. V. (BdV) steht die private Versicherungswirtschaft vor einem Wendepunkt. Alle Formen der privaten Vorsorge basieren darauf, dass an den Kapitalmärkten Zinsen erwirtschaftet werden können. „Sowohl die private Krankenversicherung als auch die private Altersvorsorge haben bei dauerhaftem Null-Zins keine Zukunft“, erklärt Axel Kleinlein, Vorstandssprecher des BdV.
Die Händler am Pfandbriefmarkt klagen darüber, dass die Zentralbank ein so gewichtiger Käufer geworden ist. Insgesamt haben die Händler des Eurosystems mit ihren drei Kaufprogrammen für Pfandbriefe Anleihen für knapp 195 Milliarden Euro gekauft. Deshalb kauft die EZB mittlerweile bis zu 60 Prozent ihrer Pfandbriefe am Primärmarkt, also bei Neuemissionen, nachdem Kritiker ihr vorgeworfen hatten, den Sekundärmarkt auszusaugen. Die Banken werden sich kaum gegen einen dominierenden Käufer wehren, schließlich werden sie selber von der EZB beaufsichtigt. Ähnlich könnte es auch bei Unternehmensanleihen werden: „Die Notenbank wird vermutlich auch am Primärmarkt kaufen“, glaubt Commerzbank-Experte Schubert.
Viele Neuheiten
Am Primärmarkt dürfte das Angebot an Firmen-Anleihen zunächst groß genug sein. Blackrock-Experte Mondelaers rechnet mit vielen Neuemissionen. Schon in den vergangenen Wochen haben die immer niedriger werdenden Renditen viele Unternehmen an den Markt gelockt. Dax-Konzerne wie die Telekom, Thyssenkrupp oder Heidelberg Cement haben in den vergangenen Wochen neue Anleihen ausgegeben und nutzen die günstigen Finanzierungsbedingungen.
Dank der Aussicht auf EZB-Käufe sind die Risikoaufschläge deutlich gesunken, der Markt hat also schon reagiert. Das gilt vor allem für Unternehmensanleihen aus den Peripheriestaaten. Interessant könnten Anleihen werden wie die der Telecom Italia. Mit Fitch hat nur eine Ratingagentur dem Unternehmen ein Investmentgrade-Rating verpasst. Die Rendite für eine bis 2023 laufende Anleihe ist seit dem vergangenen Zinsentscheid der EZB im März aber bereits von 3,1 auf 2,2 Prozent gesunken. „Händler könnten in Zukunft antizipieren müssen, welche und wie viele Anleihen die EZB kauft“, sagt Mondelaers. Es werde darauf ankommen, wie aktiv die Zentralbank in ihrer Rolle als Käufer sei.
Eigentlich will die EZB mit dem Kaufprogramm dafür sorgen, dass das Geld der Notenbank auch direkt in der Wirtschaft ankommt und nicht ausschließlich bei den Banken. Kritiker des Programms befürchten allerdings, die Unternehmen könnten die zusätzlichen Euros nicht für Investitionen nutzen, sondern damit Aktien oder Anleihen zurückkaufen oder ihre Dividende aufpolieren. Denn gerade Unternehmen mit einem Rating im Investmentbereich hatten auch bisher kaum Probleme, sich zu refinanzieren. Angesichts der weiterhin herrschenden Unsicherheit über das künftige Wachstum der Weltwirtschaft halten sich viele Konzerne mit großen Investitionen zurück.
Was verändert sich für Anleger?
Für Sparer haben die Käufe der Zentralbank ihr Für und Wider. Einerseits dürften die Kurse der Anleihen deutlich steigen, daran können Anleger verdienen. Vergleichsweise einfach geht das mit Hilfe eines Indexfonds, ETF genannt, welcher einen in Frage kommenden Index abbildet. Dabei sollten Anleger darauf achten, dass keine Bankanleihen im Index gelistet sind. Solche „ex-financials“ ETFs finden sich beispielsweise unter Blackrocks ETF-Label iShares oder bei der Société Générale-Tochter Lyxor. Gleichzeitig sollten Anleger darauf achten, wie lang die Laufzeit der im Index gesammelten Anleihen ist.
Andererseits sorgen die Anleihekäufe dafür, dass Versicherer und Pensionsfonds es noch schwerer haben dürften, ihre Kundengelder lukrativ anzulegen. Schon jetzt warnte Bafin-Präsident Felix Hufeld im „Handelsblatt“, dass der Garantiezins für Lebensversicherungen wohl zu hoch sei. „Es versteht sich von selbst, dass 1,25 Prozent Zinsen auf Dauer nicht zu halten sind, wenn die Zinsen so niedrig bleiben, wie sie aktuell sind“, erklärte Chefaufseher Hufeld. Auch Blackrock-Experte Mondelaers sieht die Gefahr, dass die EZB andere Investoren durch die sinkenden Renditen in riskantere Assets treiben könnte. Für Versicherer gilt allerdings, dass sie das Geld der Versicherten sicher anlegen müssen. Sie können also nicht ohne weiteres auf höher verzinste, aber riskantere Anlageklassen ausweichen.
Was wird noch wichtig?
Mario Draghi wird wohl am Donnerstag nicht nur über die geplanten Käufe von Unternehmensanleihen sprechen. Sorgen bereitet den EZB-Räten weiterhin die niedrige Inflation. Zwar lag die Teuerungsrate in der Euro-Zone zuletzt nicht mehr im negativen Bereich, sondern stagnierte gegenüber dem Vorjahr. Allerdings „verharren die längerfristigen Inflationserwartungen weiter nahe ihrem Allzeittief“, warnt Michael Schubert von der Commerzbank. Interessant wird daher sein, wie die Vorhersagen des von der EZB erhobenen „Survey of Professional Forecasters“ (SPF), einer vierteljährlichen Umfrage unter Konjunkturbeobachtern, ausfallen werden. Deuten auch die Daten des SPF auf niedrig bleibende Inflationserwartungen hin, setzt das die EZB stark unter Druck.
Deshalb dürfte Mario Draghi einmal mehr klare Worte wählen. Deka-Experte Tödtmann erwartet, dass sich Draghi in seiner „Nachlese“ der vergangenen Sitzung auch der Forward Guidance, also seiner langfristigen Prognose widmen wird. Zuletzt hatte der Markt verstanden, eine weitere Senkung des Einlagezinses sei unwahrscheinlich. Anschließend wurde das von einigen Ratskollegen etwas relativiert.
Auch das Helikoptergeld war nach der vergangenen Sitzung im März vor allem in Deutschland ein beherrschendes Thema. Könnte die EZB irgendwann Geld direkt an die Bürger der Euro-Zone verteilen? Draghi hatte das Konzept im März als „sehr interessant“ bezeichnet. Zuletzt betonten dagegen mehrere EZB-Ratsmitglieder, darunter Chefvolkswirt Peter Praet, dass Helikoptergeld liege nicht auf dem Tisch. Eine klare Absage Draghis dürfte die Wogen zumindest vorläufig etwas glätten.
Bleibt die politische Kritik, der EZB-Chef Draghi sich in Deutschland gegenüber sieht. Einzelne Politiker, darunter auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, hatten den Italiener für seine allzu lockere Geldpolitik kritisiert, Schäuble machte die EZB laut Berichten sogar für den Erfolg der AfD mitverantwortlich. Nach einem Treffen am Rande des IWF-Gipfels in Washington haben sich die Wogen zwar etwas geglättet, Fragen zur deutschen Kritik wird sich Draghi wohl aber stellen müssen.