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Ein Mitarbeiter von Volkswagen de México putzt in der Endkontrolle einen VW Golf – wie wird sich die Weltwirtschaft 2023 entwickeln? Quelle: imago images

Wirtschaftswachstum: Talsohle ab Jahresmitte durchschritten

Quelle: PR
Maximilian Kunkel Chief Investment Officer, UBS Wealth Management Germany & Global Family Office Zur Kolumnen-Übersicht: Geldanlage global

Nach einem Jahr der Infektionen in 2020, einem Jahr der Injektionen in 2021 und einem Jahr der Inflation in 2022 stehen wir nun vor einem „Jahr der Wendepunkte“.

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2022 blieb die Inflation hoch, die Zinsen stiegen und die Wachstumserwartungen sanken, worunter sowohl die Aktien- als auch die Anleihenmärkte litten.

2023 wird nun ein Jahr, in dem Anlegerinnen und Anleger in einem komplexen geopolitischen Umfeld versuchen müssen, Wendepunkte bei Inflation, Zinsen, Wirtschaftswachstum und an den Finanzmärkten zu identifizieren.

Generelle Abnahme der Inflation

In den Vereinigten Staaten hat die Inflation im Jahresvergleich bereits den Höchstwert erreicht und in Europa steht sie kurz davor. Wir bei UBS Global Wealth Management erwarten, dass sie in beiden Regionen im Laufe des Jahres 2023 graduell abnehmen wird. In den USA deuten Echtzeit-Indikatoren der zukünftigen Inflation, dazu gehören Neumieten, Lohnwachstum und Importpreise, fast alle auf eine niedrigere Inflation hin. Zudem geben die Preise für langlebige Güter (einer der Kerntreiber der Inflation im Vorjahr) nach.

Die Inflation der Dienstleistungspreise wird weitgehend durch erhöhte Unternehmensgewinne angetrieben, was ungewöhnlich und wahrscheinlich auch nur vorübergehend ist. Zudem sollten sich im Jahresvergleich weniger stark gestiegene Energiepreise 2023 vor allem in Europa dämpfend auf die Inflation auswirken.

Von Zinserhöhungen zu Zinssenkungen

Niedrigere Inflationsraten sollten es der Federal Reserve, der Europäischen Zentralbank, der Schweizerischen Nationalbank und der Bank of England erlauben, im ersten oder spätestens im zweiten Quartal 2023 zum letzten Mal ihre Zinsen anzuheben. Hierfür werden die künftigen Konjunkturdaten der Schlüssel sein. Je nachdem, wie hartnäckig sich die Inflation erweist und wie stark sich der Arbeitsmarkt abschwächt, könnte die Fed bis Ende 2023 in der Lage sein, die Zinsen wieder zu senken. Für die Europäische Zentralbank ist ab 2024 wieder von Kürzungen auszugehen.

Von der Rezession zum Wachstum

Die Inflation geht, die Rezession kommt − der Aktienmarkt scheint dies bisher aber noch nicht einzupreisen. Entsprechend ist im ersten Halbjahr, von einem Rückgang der Wachstums- und Gewinnerwartungen auszugehen. Für das Gesamtjahr rechne ich mit einem Rückgang der Gewinne um vier Prozent in den USA und um zehn Prozent in Europa sowie mit einem Anstieg um zwei Prozent in Asien. Diese Schätzungen liegen unter den Konsenserwartungen, die von Wachstumsraten von vier, drei beziehungsweise sieben Prozent ausgehen. Werden die Schätzungen der Unternehmensgewinne nach unten korrigiert, dürfte dies in den nächsten Monaten Druck auf Risikoanlagen ausüben.

Die gute Nachricht ist, dass das globale Wachstum etwa in der Jahresmitte die Talsohle erreichen sollte (auch wenn es bis 2024 dennoch relativ schwach bleiben dürfte). In Europa sollte sich die Energiekrise nach dem Winter (zumindest vorübergehend) entspannen und in China dürfte das Wirtschaftswachstum zulegen, sofern es Mitte des Jahres zur Wiedereröffnung der Wirtschaft kommt. Aber in den USA wird die Talsohle aufgrund der aktuellen Wirtschaftsdynamik und des verzögerten Effekts der geldpolitischen Straffung vermutlich erst später erreicht.

Da die Märkte den Wachstumstiefpunkt und die folgende Erholung im Voraus einpreisen werden, könnte sich im Laufe der ersten Jahreshälfte ein besseres Umfeld für Risikoanlagen abzeichnen.

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Von Lockdowns zu einer Wiedereröffnung

Aufgrund der Art und Weise, wie China Covid-19 handhabt, unterscheidet sich der dortige Konjunkturzyklus von dem der restlichen Welt. Ausgehend vom jetzigen Stand wird die weitere Entwicklung von politischen Entscheidungen abhängen, wobei die Machtkonsolidierung in den Händen von Präsident Xi Jinping aus Anlegersicht zusätzliches Unbehagen bereitet. Doch ungefähr zur Jahresmitte ist eine vollständige Wiedereröffnung wahrscheinlich. Dann könnten sich die Wachstumsaussichten verbessern, wozu auch höhere Infrastrukturausgaben zum Ausgleich der Immobiliensektorschwäche beitragen könnten.

Schocks, die es zu überwinden gilt

Geopolitische Ereignisse verursachen an den Finanzmärkten oft eine verstärkte Volatilität, doch nur selten ändern sie die allgemeine Entwicklung des Wirtschaftswachstums. Zu Beginn des Jahres 2023 besteht jedoch ein erhöhtes Risiko, dass sich die Politik auf die Wachstumsentwicklung auswirken könnte. Russlands Krieg in der Ukraine bedroht die Energieversorgung sowie die Sicherheit Europas; zudem besteht das Risiko einer Nato-Beteiligung.

Es ist unwahrscheinlich, dass die Spannungen zwischen den USA und China nachlassen werden, da sich Peking verstärkt auf die Selbstversorgung konzentriert, während die Biden-Regierung aus Sicherheitsgründen Maßnahmen zur Handelseinschränkung ergreift. Außerdem besteht das Risiko, dass es wegen Taiwan zu Misstönen kommt. Auf der Ebene der einzelnen Länder öffnet die zunehmende Politisierung wirtschaftlicher Themen wie der Inflation und Zinsen den Spielraum für radikale politische Interventionen und Marktverzerrungen.

Was bedeutet das für Anleger?

Wie ich letzten Monat an dieser Stelle schrieb, kam es in der Vergangenheit an den Aktienmärkten jeweils erst dann zu einer nachhaltigen Rally, wenn Anleger beginnen konnten, eine deutliche Lockerung der Geldpolitik zu antizipieren, wenn der Tiefpunkt des Wachstums zu sehen war oder wenn die Bewertungen so niedrig ausfielen, dass sie bereits ein sehr negatives Szenario eingepreist hatten.

Dies ist vor allem in Bezug auf US-Aktien noch nicht der Fall. Entsprechend ist hier weiterhin ein selektiver Ansatz mit Fokus auf Qualität, Substanz und weiterhin solidem Gewinnwachstum zu bevorzugen, beispielsweise in Sektoren wie Gesundheitswesen, Basiskonsumgütern oder Energie. Regional ist weiterhin Großbritannien zu bevorzugen.

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Nach dem Anstieg der Renditen bieten hochwertige Anleihen einen immer noch attraktiven Einstiegspunkt und die Erwartung ist, dass sich die Anlageklasse im Falle einer starken Verlangsamung des Wachstums in 2023 zusätzlich aufwertet. Unternehmensanleihen mit hoher Bonität, mit kurzer bis mittlerer Laufzeit oder von Emittenten, die relativ immun gegenüber der wirtschaftlichen Abschwächung sind, sehen ebenfalls attraktiv aus.

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