Fit for 55 klingt wie ein Fitnessprogramm für Senioren. Tatsächlich geht es um das Klimaschutzpaket der Europäischen Union. Im Paket steckt ein Vorschlag der EU-Kommission: Sie plant eine Sanierungspflicht für Wohngebäude, die besonders viel Energie verbrauchen. Bis 2030 sollen europaweit 35 Millionen Wohngebäude auf einen höheren Energiestandard gebracht werden. Das entspricht etwa 15 Prozent des Bestandes. Alle Neubauten sollen ab 2030 komplett klimaneutral sein.
Der Vorschlag der EU alarmiert die Lobby der Hauseigentümer. So kritisiert der Vermieterverband Haus und Grund, dass sich bei Gebäuden der niedrigsten Energieklassen eine Sanierung nicht mehr lohne, ein Neubau sei nötig. „Für viele private Eigentümer beendet die EU damit den Traum von den eigenen vier Wänden“, sagt Verbandspräsident Kai Warnecke. Ohnehin sei zweifelhaft, ob sich die hohen Energiestandards handwerklich umsetzen ließen.
Die Brüsseler Pläne kommen für die Vermieter noch aus einem anderem Grund zur Unzeit. Sie müssen noch die bereits beschlossenen Verschärfungen der Ampelkoalition in Berlin für den Klimaschutz bei Wohngebäuden verdauen. Die neuen Regeln sind aus Sicht der Bundesregierung nötig, weil der Immobiliensektor im vergangenen Jahr sein Ziel, zwei Millionen Tonnen CO2 weniger, verfehlt hatte. Laut Bundesumweltamt sind Immobilien für 30 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich. Bis 2045, so das Ziel der Bundesregierung, sollen Wohngebäude klimaneutral werden. Dieses Klimaziel sollen vor allem Vermieter finanzieren.
CO2-Preis treibt Heizkosten
Vermieter und Mieter sollen sich künftig den in den Heizkosten enthaltenen CO2-Preis für Brennstoffe teilen. Bisher zahlen ihn ausschließlich die Mieter. Der jeweilige Anteil von Mieter und Vermieter hängt von der Effizienzklasse des Gebäudes ab. Sollte sich die Koalition bis zum 1. Juni 2022 nicht auf eine solche Regelung einigen, sollen Mieter und Vermieter die CO2-Kosten je zur Hälfte tragen.
Auf jeden Fall wird es für die Vermieter teurer, denn zum 1. Januar soll der CO2-Preis für Brennstoffe wie Heizöl und Erdgas von 25 auf 30 Euro je Tonne steigen. Der höhere CO2-Preis soll für Vermieter einen Anreiz bieten, ihre Mietshäuser energetisch zu sanieren. Tatsächlich gibt es mit der Modernisierungsumlage bereits ein Instrument, um die Sanierungsquote zu erhöhen. Allerdings dürfen Vermieter derzeit nur noch acht Prozent der Sanierungskosten auf die Miete draufschlagen. Bis Ende 2018 waren es elf Prozent.
Die Folgen der CO2-Preiserhöhung hat der Ölhändler TotalEnergies durchgerechnet: Für jeden Liter Heizöl seien künftig 9,57 Cent CO2-Kosten zu zahlen. Bei geschätzt 15 Liter pro Jahr und Quadratmeter wären dies bei einer Wohnung mit 80 Quadratmetern Wohnfläche insgesamt knapp 115 Euro. Unterstellt, der Vermieter müsste davon 50 Prozent tragen, wären dies 57 Euro pro Jahr. Bei einem Mietshaus mit zehn Wohnungen dieser Größe wären das 570 Euro pro Jahr. Auf den ersten Blick sieht das nicht dramatisch aus, aber der CO2-Preis soll in den kommenden Jahren sukzessive weiter steigen.
Teuer wird es für Vermieter auch beim Umbau und der Modernisierung von bestehenden Wohngebäuden. Mietshäuser müssen nach den Baumaßnahmen 30 Prozent weniger Energie verbrauchen als ein Musterhaus, das das Gebäudeenergiegesetz definiert. Ziel ist der Energiestandard Effizienzhaus 70. Dieser Standard lässt sich ohne Dämmen kaum erreichen. Diese neue Regel gilt ab 1. Januar 2024.
Den größten Fortschritt bei der Energieeffizienz bringt in der Regel eine neue Heizung. Noch können Hauseigentümer die alte Heizungsanlage beispielsweise komplett durch eine moderne Erdgasheizung ersetzen. Künftig werden sie nicht mehr die freie Wahl haben. Denn ab dem 1. Januar 2025 müssen neue Heizungen zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Momentan ist das nur mit Wärmpumpe zu erreichen. Und die arbeiten in der Regel nur effizient, wenn das Haus gedämmt ist. (Worauf es beim Heizungskauf ankommt, lesen Sie hier.)
EU will Dämmpflicht einführen
Bis Ende 2023 bliebe Vermietern eigentlich genügend Zeit, eine energetische Sanierung unabhängig von den neuen Gesetzen in Deutschland durchzuführen. Dabei gibt es jedoch zwei Probleme. Erstens wäre es unwirtschaftlich, beispielsweise eine gut funktionierende Heizung vorzeitig zu ersetzen, nur weil eine gesetzliche Verschärfung droht. Zudem ist nicht klar, ob das sanierte Haus dann die Anforderungen des EU-Klimapakets erfüllen würde. Denn jedes Land bildet seine eigenen Energieeffizienzklassen.
Vermieter, die jetzt sanieren müssen, weil Heizung, Fenster und Fassade veraltet sind, sollten sich von einem Energieeffizienzexperten beraten lassen. Die energetische Sanierung sollte sich in einem angemessenem Zeitraum amortisieren. Hauseigentümer, die dagegen noch einige Jahre Zeit haben, sollten sich zunächst über die Vorgaben der EU informieren, wenn diese beschlossen sind. Bis diese in nationales Recht umgesetzt werden, bleibt in der Regel noch genügend Zeit, um als Vermieter zu handeln.
Wertverlust für unsanierte Immobilien
Die schlechteste Alternative für Vermieter wäre allerdings, sich bei Häusern mit schlechtem Energiestandard allein auf die Instandhaltung zu beschränken und sonst nichts zu unternehmen. Denn egal, wie die Beschlüsse der EU und der Ampelkoalition im Detail aussehen werden, unsanierten Immobilien droht künftig ein Wertverlust. Besonders dramatisch könnte sich das bei Häusern auswirken, auf denen noch eine hohe Restschuld liegt. Die Bank könnte wegen des niedrigeren Wertes der Immobilie zusätzliche Sicherheiten verlangen.
Ein weiteres Risiko liegt im Mietspiegel, der künftig für alle Kommunen mit mehr als 50.000 Einwohnern Pflicht wird. Denn der Energiestandard des Hauses wird auch darüber entscheiden, wie hoch das ortsübliche Mietniveau ist, das der Vermieter verlangen darf. Der Wert eines Mietshauses bestimmt sich vor allem nach den künftigen Mieteinnahmen. Wer als Eigentümer über einen späteren Verkauf des Miethauses die Rendite seines Investments steigern will, sollte daher über eine energetische Sanierung auf jeden Fall nachdenken.
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