Der Kampf zwischen Amerika und China um die Weltherrschaft geht in die nächste Runde. Nachdem die USA die Schlacht zunächst auf dem Feld des Güterhandels mit Zöllen und Quoten eröffnet hatten, droht die Auseinandersetzung nun auf die Finanzmärkte überzugreifen. Die Abschottung der heimischen Finanzsektoren gegenüber dem Ausland könnte die Weltwirtschaft in eine Situation bringen, in der die Länder wichtige Investitionsvorhaben vorwiegend durch heimische Ersparnisse finanzieren müssen. In den Wirtschaftswissenschaften ist dieses Phänomen als Feldstein-Horioka-These bekannt.
Vor über vierzig Jahren verblüfften die amerikanischen Ökonomen Martin Feldstein und Charles Horioka ihre Kollegen mit der These (im Folgenden F-H-These genannt), dass auch zwischen Industriestaaten, die keine Kapitalverkehrsbeschränkungen kannten, die Kapitalmobilität geringer als erwartet sei. Heimische Ersparnisse würden bevorzugt zur Finanzierung heimischer Investitionen verwendet und nur ein geringer Prozentsatz der heimischen Ersparnisse (nach Feldstein und Horioka nur etwa zehn Prozent) flösse ins Ausland. In der Folgezeit wurde die Messung des Zusammenhangs zwischen heimischem Spar- und Investitionsvolumen zu einem Standardkriterium für den Grad der Abschottung zwischen heimischen und internationalen Finanzmärkten und damit für internationale Kapitalmobilität.
Konsens war, dass dieser Zusammenhang mit zunehmender Globalisierung der Finanzmärkte schwächer wurde und dass auch Länder mit geringer Sparleistung ausländische Investoren fanden, die bereit waren, steigende Leistungsbilanzdefizite zu finanzieren. Die USA als Herr über die Leitwährung blieben ein Sonderfall. Sie konnten auch nach dem Ende des Regimes fester Wechselkurse ihre Schulden und ihr Leistungsbilanzdefizit mit selbst geschaffenem Geld finanzieren, das von den ausländischen Gläubigern akzeptiert wurde. Für die anderen Länder aber galt, dass sie nie gänzlich ohne heimische Ersparnisse Investitionen finanzieren konnten.
Das Kapital bleibt gern daheim
Der sogenannte „home bias“ blieb und bescherte vor allem den afrikanischen und lateinamerikanischen Entwicklungsländern Probleme, weil ihre Wachstumschancen durch das Fehlen eigener Ersparnisse beeinträchtigt wurden. Für asiatische Länder mit relativ hohen Sparquoten blieb hingegen das Manko der sogenannten Erbsünde erhalten: zu viele und damit unrentable heimische Investitionen mit Schulden in ausländischer Währung zu finanzieren und bei überbewerteten Währungen in die Schuldenbedienungsfalle zu fallen. Die Südostasien- Krise von 1997 war die Folge. Die F-H-These blieb auf der Agenda.
Die Krise von 2008 markierte nicht nur das Ende der fortwährenden Globalisierung der Gütermärkte dahingehend, dass der Weltgüterhandel nicht mehr schneller wuchs als die Weltproduktion, sondern auch, dass die Leistungsbilanzungleichgewichte langsam abnahmen. China hätte ohne Corona nach IWF-Schätzungen 2022 erstmalig ein Leistungsbilanzdefizit aufgewiesen, also ausländische Mittel zur Finanzierung heimischer Investitionen benötigt. Mit Corona wird sich diese Entwicklung, die normal für eine stärker binnenorientierte reife Volkswirtschaft ist, verzögern.
Wichtig für die Frage, ob die F-H-These auch heute noch relevant ist, ist die Entwicklung der Investitionsquote gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Sie hat sich in den Industriestaaten nach der Krise von 2008 nicht mehr über den langjährigen Durchschnitt von zwölf Prozent hinaus bewegt, getrieben von Krisen im EU-Raum, dem Ende des Rohstoffpreisbooms und schlechteren Geschäftserwartungen, dokumentiert durch Fall der Arbeitsproduktivität in allen Ländern. Möglich könnte aber auch sein, dass technologische Entwicklungen wie die Digitalisierung der Produktion und der Boom von Plattformgeschäftsmodellen auf Dauer einen niedrigeren Investitionsbedarf als früher zur Folge haben.
Damit würden auch geringere heimische Sparleistungen ausreichen, um die Investitionen ohne Zugang zu ausländischen Ersparnissen finanzieren können. Die F-H-These hätte ihre Relevanz wieder einmal an den Tag gelegt, ohne Grund zur Besorgnis über fehlende Kapitalmobilität zu geben.
Hoher Investitionsbedarf für Umweltschutz und Digitalisierung
Dem ist aus zwei Gründen leider nicht so. Erstens wird die Bewältigung der Folgen der Pandemie einen Strukturwandel erfordern, der einerseits den Kapitalstock obsoleter Produktionen abschreibt, zum anderen frisches Kapital für neue Geschäftszweige erfordert, das den Bedürfnissen nach Digitalisierung und Umweltschutz folgt. Das erinnert ein wenig an die Situation nach den Ölpreisschocks der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts, als nach dauerhaft höheren Energiepreisen ein energieintensiver Kapitalstock obsolet wurde. Dies würde einen Investitionsschub erfordern, den viele Länder nicht allein aus heimischen Ersparnissen werden finanzieren können.
Zweitens befindet sich die Welt auf dem Weg in einen Technologiekampf in der Digitalwirtschaft zwischen den USA und China, der in beiden Ländern Autarkiebestrebungen schürt und zur ökonomisch ineffizienten Importsubstitution treibt. Von Donald Trump ist man dies gewohnt, aber auch Joe Biden ist mit seiner „Buy American“ Kampagne auf diesem Weg. Zu „Buy American“ passt nicht „Finance with Chinese Capital“, sondern „Finance with US Public Funds“.
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China hat zwar den Zugang zu seinem Finanzmarkt in jüngster Zeit erleichtert, so dass auch amerikanische Finanzunternehmen in China vordringen konnten. An den Kern, die Finanzierung der Industriepolitik „Made in China 2025“ durch staatliches Kapital für staatskontrollierte Unternehmen, werden ausländische Financiers aber nicht herangelassen. Dazu passt auch, dass die chinesische Regierung den Abfluss chinesischen Kapitals ins Ausland scharf kontrolliert und restringiert. Dies dient neben der Wechselkurskontrolle auch dem Ziel, dieses Kapital für die Finanzierung der Industriepolitik zu erhalten.
So kann die Weltwirtschaft nach Corona nicht nur eine De-Globalisierung der Realmärkte erleben, wenn globale Lieferketten zerrissen und durch heimische Produktionen ersetzt werden. Auch die Finanzmärkte können unter dem Druck der Regierungen eine De-Globalisierung erleben. Reichen private heimische Ersparnisse für die notwendigen Investitionen nicht aus, werden staatliche Ersparnisse bereitstehen. Wer zahlt, schafft an.
Nach mehr als vierzig Jahren würde die FH-These eine Renaissance erleben, aber kaum zur Freude der beiden Urheber. Der staatlicherseits oktroyierte „home bias“ kann der Erholung nach der Pandemie erheblich im Wege stehen und zusammen mit nationaler Industriepolitik Mauern aufbauen und Irrwege öffnen, die längst für überwunden galten.
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