Ein gemeinsames Abendessen, bevor es ernst wird: In einem Nobelhotel in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi saßen US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Machthaber Kim Jong-Un am Mittwochabend (Ortszeit) zusammen. Zunächst gaben sie sich optimistisch, den Gipfel zu einem Erfolg zu machen. Dann brachen sie das Treffen jedoch vorzeitig ab.
Ebenfalls angespannt ist die Lage derzeit in Venezuela, und auch hier sind die USA involviert. Staatschef Nicolas Maduro lässt keine Hilfsgüter ins Land, bei Protesten sterben Menschen, die USA verhängen Sanktionen, schließen ein militärisches Eingreifen nicht aus, wovor wiederum Russland warnt.
Adel Abdel-Latif hat ähnliche Situationen häufig erlebt. Der Schweizer Unternehmer hat Politiker und Wirtschaftsmagnaten bei politisch brisanten Firmenübernahmen und Immobiliengeschäften beraten. An der Universität Sankt Gallen ist er Lehrbeauftragter für Verhandlungsführung und bildet weltweit Führungskräfte zu Verhandlungsexperten aus.

Herr Abdel-Latif, vor dem ersten Treffen vor einem Dreivierteljahr beleidigte Trump Kim noch als „kleinen Raketenmann“, jetzt schmeichelt er ihm, nennt ihn seinen „Freund“. Welches Kalkül steckt hinter Trumps Twitter-Diplomatie?
Adel Abdel-Latif: Das ist die typische Verhandlungsstrategie Typ amerikanischer Geschäftsmann. Als Erstes demonstriert er Macht, indem er die Gegenseite beschimpft. In Phase zwei macht er bestehende Vereinbarungen kaputt, lässt Verträge platzen, so wie beim G7-Treffen in Kanada, beim Pariser Klimaabkommen oder beim Atomabkommen mit dem Iran. Indem er Unzufriedenheit zeigt, erhöht er den Druck weiter.
Aktuell erleben wir Phase drei?
Trump demonstriert scheinbar Kompromissbereitschaft und erhöht weiter den Druck, indem er sich überzeugt gibt, dass beide Seiten an einer Lösung arbeiten. Nachdem es nun drei Phasen lang nur darum gegangen ist, in die Machtposition zu kommen, werden wir nun sehen, wie Trump aus einer starken Position heraus einen Deal schließen will.
Kann das gelingen?
Ich erwarte allenfalls, dass es zu einer Einigung auf Floskeln kommt. Kim mag versprechen, dass er seine Atomwaffen aufgibt, aber wie viele, bis wann und wer dies kontrolliert, darüber wird es keine Einigung geben. Für Trump ist das aber egal: Er wird in der Wahrnehmung seiner Wähler wachsen, weil er es mit diesem Mann aufgenommen hat. Für ihn geht es nur um die nächste Wahl.
Great meeting and dinner with Kim Jong Un in Hanoi, Vietnam tonight. Looking forward to continuing our discussions tomorrow! #HanoiSummit pic.twitter.com/J3x6lUGzjS
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 27. Februar 2019
Oslo war in den Neunzigerjahren Schauplatz erfolgreicher Verhandlungen zum Nahost-Konflikt, Wien beherbergte die Atom-Verhandlungen mit dem Iran, Trump trifft Kim nun in Vietnam. Welche Rolle spielt die Wahl eines neutralen Terrains für den Verhandlungserfolg?
Vietnam ist alles andere als ein neutraler Ort. Ich bin kein Trump-Fan, aber die Wahl Hanois ist clever: Vietnam ist nach wie vor selbst ein kommunistisches Land, das aber einen bestimmten Wohlstand erreicht hat. Trump möchte, so interpretierte ich das, Kim zeigen: Mit Hilfe von uns Amerikanern kannst du es auch zu gewissem Wohlstand schaffen.
Anders ist die Situation in Venezuela. Nach außen wirkt es seit Tagen wie eine Spirale der Eskalation. Was geschieht in einer solchen Phase hinter den Kulissen?
In Sondierungen versuchen Unterhändler, noch bevor eine derartige Krise ausbricht, unter Ausschluss der Öffentlichkeit abzustecken, was sich die Gegenseite vorstellt, wie ein gangbarer Weg aussehen könnte. Ich bin mir sicher, dass es das auch in diesem Fall gegeben hat, aber darüber sind wir weit hinaus. Statt auf klassischem Wege über mehrere Phasen Vertrauen aufzubauen und so eine Verhaltensänderung zu erreichen, versuchen es die USA mit der Thatcher-Taktik: Die geht auf den Falkland-Krieg zurück, in dem die damalige britische Premierministerin konsequent die Zusammenarbeit verweigert hat und stattdessen immer wieder kleine Sanktionen setzte.
Auch die USA haben am Montag Sanktionen gegen Personen aus dem Umfeld von Präsident Maduro ausgesprochen. Und Vizepräsident Pence droht, alle Optionen lägen nun auf dem Tisch.
Damit haben die USA einen entscheidenden Fehler gemacht: Sie drohen. Die große Gefahr hinter dieser extremen Form der Festlegung ist ein Gesichtsverlust. Klüger wäre es gewesen, Maduro zu warnen: Wenn es keine Einigung gibt, welche Reaktion erwartest du dann? Damit aktiviere ich die Gegenseite und lege mich nicht darauf fest, die Eskalationsstufe tatsächlich zu erhöhen.
Andererseits besprechen sich die USA nun mit den lateinamerikanischen Staaten in der sogenannten Lima-Gruppe, auch den UN-Sicherheitsrat hat Washington eingeschaltet. Welches dieser Formate verspricht Fortschritte?
Trump hat gemerkt: Maduro lässt sich so nicht beeindrucken. An diesem Punkt kommen Leute wie ich ins Spiel. Den UN-Sicherheitsrat einzuschalten, ist ein kluger Schachzug, weil Russland und China drinsitzen. Das ist der Versuch, sich über diesen Umweg in Verhandlungen über die Erdölvorkommen zu einigen, so dass China und Russland intern den Druck auf Maduro erhöhen. Denn das Öl ist das, was wir in Verhandlungssprache die „hidden agenda“ nennen: Die tatsächliche Motivation der Beteiligten. Und Venezuela verfügt nun einmal über die größten Erdölreserven weltweit.
Kann diese Strategie gelingen?
Die USA sind mit China in fortgeschrittenen Verhandlungen zum Handelsstreit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine der beiden Seiten die Marschrichtung aufgrund dieses Konflikts gefährdet. Hinter den Kulissen geht es nun um eine Friedenslösung für Venezuela.
Die Venezuela-Krise strahlt aus verhandlungstaktischen Gründen auf den Handelsstreit aus?
China hat eine besondere Verhandlungsmacht: Sie sind eine wichtige Schachfigur und nun im Vorteil, weil sie die Verhandlungen mit den USA zum Handelsstreit zu ihren Gunsten steuern und Zugeständnisse einfordern können. Ich glaube nicht, dass Trump in Venezuela in einen Stellvertreterkrieg eintreten wird. Am Ende heißt es wieder: America first!