Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht Deutschland nach zwei blutigen Anschlägen im Krieg mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und setzt auf ein neues Sicherheitspaket. „Ich glaube, dass wir in einem Kampf oder meinetwegen auch in einem Krieg gegen den IS sind“, sagte sie in Berlin. Merkel betonte zugleich: „Wir befinden uns in keinem Krieg oder Kampf gegen den Islam.“ Die wegen der Terroranschläge von zwei Flüchtlingen in Würzburg und Ansbach massiv unter Druck stehende Kanzlerin legte bei ihrer Sommer-Pressekonferenz einen Neun-Punkte-Plan als Reaktion vor.
Zugleich stellte Merkel sich vor „die vielen anderen Flüchtlinge, die wirklich Hilfe vor Gewalt und Krieg bei uns suchen“. Sie griff ihre Formel „Wir schaffen das“ aus dem Vorjahr wieder auf: „Ich bin heute wie damals davon überzeugt, dass wir es schaffen, unserer historischen Aufgabe – und dies ist eine historische Bewährungsaufgabe in Zeiten der Globalisierung – gerecht zu werden. Wir schaffen das.“
Merkel will den Militäreinsatz gegen den IS trotz der islamistisch motivierten Anschläge nicht ausweiten. Sie verwies darauf, dass sich die Bundeswehr schon jetzt mit Aufklärungs- und Tankflugzeugen an den Bombardements gegen die Terrormiliz in Syrien und im Irak beteiligt. „Neue Verpflichtungen sehe ich im Augenblick nicht.“
Definitionen und Zusammenhänge
In Asien nannte man sie „amucos“ - Krieger, die den Feind ohne Angst vor dem Tod angreifen und vernichten. Heute beschreibt der Begriff in der Regel blindwütige Aggressionen – mit und ohne Todesopfer. Die meisten Amokläufer sind männlich und eigentlich unauffällig, in vielen Fällen ledig oder geschieden. Neben psychisch kranken Tätern gibt es auch Amokläufer, die aus banalen Gründen plötzlich ausrasten. Angst, Demütigung oder Eifersucht haben sich oft lange aufgestaut, bevor es zur Katastrophe kommt. Teils werden Taten auch im Kopf durchgespielt. „Amok“ kommt aus dem Malaiischen und bedeutet „wütend“ oder „rasend“.
Attentate sind politisch oder ideologisch motivierte Anschläge auf das Leben eines Menschen, meistens auf im öffentlichen Leben stehende Persönlichkeiten. Der Ausdruck „Attentäter“ wiederum wird auch für Menschen verwendet, die einen Anschlag auf mehrere Menschen begehen. Terroristische Attentäter zielen etwa auf Angehörige eines ihnen verhassten Systems oder einer Religion ab. Mit Anschlägen auf öffentlichen Plätzen, in Verkehrsmitteln oder auf Feste versuchen sie, in der Bevölkerung Angst und Schrecken zu verbreiten. Der Begriff „Attentat“ leitet sich vom lateinischen attentare (versuchen) im Sinne eines versuchten Verbrechens ab.
Terrorismus ist politisch motivierte, systematisch geplante Gewalt, die sich gegen den gesellschaftlichen Status quo richtet und auf politische, religiöse oder ideologische Veränderung ausgerichtet ist. Dass Terroristen töten und zerstören, ist Mittel zum Zweck. Sie wollen vor allem Verunsicherung in die Gesellschaft tragen. Terrorakte richten sich oft gegen die Zivilbevölkerung oder symbolträchtige Ziele.
Terror geht auf das lateinische Wort „terrere“ zurück, was „erschrecken“ oder „einschüchtern“ bedeutet. Terror und Terrorismus werden oft gleichbedeutend verwendet. Im Unterschied zum Terrorismus bezeichnet der Begriff „Terror“ aber eher das Machtinstrumentarium eines Staates. Der „Terror von oben“ steht für eine Schreckensherrschaft, die willkürlich und systematisch Gewalt ausübt, um Bürger und oppositionelle Gruppen einzuschüchtern. Auch in die Umgangssprache hat der Begriff Eingang gefunden - etwa für extreme Belästigung, zum Beispiel Telefonterror.
Als Reaktion auf die Anschläge kündigte die Kanzlerin unter anderem ein besseres Frühwarnsystem für Bedrohungen neben dem organisierten Terrorismus an. Zu ihrem Neun-Punkte-Plan zählten auch eine Senkung der Hürden für die Abschiebung von Asylbewerbern und Vorbereitungen für Bundeswehreinsätze im Inneren bei großen Terroranschlägen.
Die mit Merkels Flüchtlingspolitik seit langem hadernde bayerische CSU-Landesregierung ging bei einer Klausur am Tegernsee mit einem Konzept „Sicherheit durch Stärke“ in die Offensive. Ministerpräsident Horst Seehofer und sein Kabinett forderten vom Bund unter anderem eine Ausweitung der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung. Zudem strebt die CSU eine Grundgesetzänderung an, um den Einsatz der Bundeswehr im Innern zur Abwehr von Terrorgefahren und zur Grenzsicherung zu ermöglichen oder zu erleichtern.
Die CSU-Regierung erneuert ihre Forderung nach einer Obergrenze für neue Flüchtlinge von 200.000 pro Jahr. Eine weiterer zentraler Punkt der Klausur: Wer ohne Papiere einreist oder seine Identität nicht belegen kann, soll an den Grenzen „zunächst festgehalten werden und gegebenenfalls zurückgewiesen werden“. Ausländische Straftäter sollen nach dem Willen Bayerns schneller abgeschoben werden - auch in Krisengebiete. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) rechtfertigte die Maßnahmen: „Der islamistische Terrorismus ist bei uns in Bayern leider angekommen.“
Merkel verurteilte in Berlin die Gewalttaten der vergangenen Tage. „Diese Anschläge sind erschütternd, bedrückend und auch deprimierend. Es werden zivilisatorische Tabus gebrochen. Die Taten geschehen an Orten, wo jeder von uns sein könnte.“
Dass die Anschläge in Würzburg und Ansbach von zwei Flüchtlingen begangen wurden, „verhöhnt das Land, das sie aufgenommen hat“, sagte Merkel. Es verhöhne die Helfer und Ehrenamtlichen und auch „die vielen anderen Flüchtlinge, die wirklich Hilfe vor Gewalt und Krieg bei uns suchen“. Am Sonntagabend hatte ein syrischer Flüchtling im bayerischen Ansbach vor einem Konzertgelände eine Bombe gezündet. In Würzburg hatte am 18. Juli ein 17-jähriger Flüchtling, vermutlich aus Afghanistan, Menschen mit Axt und Messer angegriffen.
Islamistischer Terror gegen Europäer seit "Charlie Hebdo"
Die italienische Polizei deckt ein islamistisches Terrornetz auf. Unter anderem sollen die verhafteten 16 Kurden und ein Kosovare vorgehabt haben, mit Geiselnahmen den in Norwegen inhaftierten Terrorchef Mullah Krekar freizupressen.
Über der ägyptischen Halbinsel Sinai stürzt ein Airbus A321 der sibirischen Airline Kolavia mit 224 Passagieren - vor allem russischen Urlaubern - ab. Großbritannien und andere Länder meinen aufgrund von Geheimdienst-Informationen: wegen einer Bombenexplosion. Die Islamistengruppe Ansar Beit al-Makdis („Unterstützer Jerusalems“) behauptet, dafür verantwortlich zu sein.
Ein 25-jähriger marokkanischer Islamist wird im Thalys-Schnellzug Brüssel - Paris bei einem Anschlagsversuch mit einer Kalaschnikow von Fahrgästen überwältigt. Zwei Passagiere werden verletzt.
An einem Hotelstrand in der Nähe der tunesischen Touristenhochburg Sousse erschießt ein 24-jähriger Einheimischer mit Verbindungen zu radikalen Gruppen 38 ausländische Touristen, vor allem Briten.
Extremisten erschießen im Bardo-Museum der tunesischen Hauptstadt Tunis 21 Menschen, in der Mehrheit ausländische Touristen. Die Terrormiliz IS bekennt sich zur Tat.
In Kopenhagen feuert ein arabischstämmiger 22-Jähriger auf ein Kulturcafé, ein Mann stirbt. Der Anschlag gilt vermutlich einem Mohammed-Karikaturisten, der unverletzt bleibt. Vor einer Synagoge erschießt der Attentäter einen Wachmann, bevor er von Polizeikugeln tödlich getroffen wird.
Beim Attentat auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ werden in Paris zwölf Menschen getötet. Die beiden Täter kommen zwei Tage später bei einer Polizeiaktion ums Leben. Zu dem Anschlag bekennt sich die Terrororganisation Al-Kaida auf der arabischen Halbinsel. Ein mit ihnen bekannter dritter Täter erschießt in Paris parallel dazu eine Polizistin und nimmt in einem jüdischen Supermarkt Geiseln, von denen er vier erschießt, bevor er selbst von der Polizei getötet wird. Er bekennt sich zuvor zur Terrormiliz IS.
Weil vielen nicht klar war, wie Merkels Flüchtlingspolitik gelingen soll, geriet die Kanzlerin in den vergangenen Monaten zunehmend unter Druck – und die Union in einen Abwärtstrend bei den Wählern. Merkel räumte ein: „Es ist eine schwierige (Zeit), aber wir hatten auch andere schwierige. (...) Jetzt haben wir etwas, was sehr an den Kern der Gesellschaft geht.“ Schlimm sei „die allgemeine Verunsicherung“. Deshalb müsse „der Staat seiner Aufgabe gerecht werden, das weitestgehende Vertrauen wieder herzustellen“.
Merkel lässt Kandidatur offen
Merkel ließ eine erneute Kandidatur bei der Bundestagswahl 2017 weiter offen. Die CDU-Chefin bekräftigte, sie werde sich dazu „zum geeigneten Zeitpunkt“ äußern. „Heute ist dieser Zeitpunkt nicht.“ Merkel ist seit 2005 im Amt. Die 62-Jährige regiert derzeit zum zweiten Mal in einer schwarz-roten Koalition mit der SPD.
Sie will nun Bürger zurückgewinnen, die wegen der vielen ins Land gekommenen Flüchtlinge mit der AfD sympathisieren. „Natürlich haben die Entscheidungen, die wir getroffen haben, auch im Blick auf die Frage unser humanitären Verantwortung, Gegenreaktionen hervorgerufen, und Menschen, die das nicht mittragen“, sagte Merkel zum Aufstieg der Rechtspopulisten. „Deshalb werden wir durch Taten alles daran setzen, Menschen, die heute sich vielleicht nicht ausreichend verstanden fühlen, wieder zurückzugewinnen (...).“
Ursprünglich hätte Merkels traditionelle Sommer-Pressekonferenz erst nach den Ferien stattfinden sollen. Nach den jüngsten Gewalttaten entschloss sie sich jedoch, dafür ihren Urlaub zu unterbrechen.