Bundeswehretat „Unsere Souveränität dürfen wir nicht für 50 Jahre in US-Hände geben“

Alberto Bosi, Olaf Scholz und Ingo Gerhartz vor einem F-35 Tarnkappenjet Quelle: imago images

Ungewohnt harsch fordert die deutsche Rüstungsbranche Anteile an den geplanten Waffenprogrammen aus den USA. Ihr geht es um Deutschlands Autonomie – und ihr eigenes Geschäft. 

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Im Verhältnis zu ihrem Hauptkunden Bundesregierung gingen die deutschen Rüstungsunternehmen diese Woche einen neuen Weg. Statt Konflikte wie bisher diskret hinter den Kulissen zu regeln, setzt die Branche heute auf offene Worte: Der Ampelkoalition und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) fehle die „Erfahrung im Umgang mit internationalen Konzernen“, sagte Wolfgang Schoder, Strategievorstand und Deutschlandchef im Hubschraubergeschäft von Airbus in einem Webinar des Bundesverbands der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI). Gerado Walle, Gesellschaftervertreter im Fluggeschäft des Nürnberger Familienkonzerns Diehl, ergänzte spitz, die Regierung gefährde mit ihrer Art des Waffenkaufs den Verlust „wichtiger Schlüsseltechnologien“ und damit die deutsche Autonomie und Souveränität in Rüstungsfragen. „Bei der Truppe würde man so einen Vortrag wohl einen gepflegten Anschiss nennen“, so ein gedienter Manager der Branche.

Der ungewohnt undiplomatische Vorstoß des sonst vorwiegend zivil auftretenden Verbands war kein Ausrutscher, sondern ein präzise abgefeuerter Ausdruck wachsender Nervosität. Denn am heutigen Donnerstag steht aus Sicht der Unternehmen im Haushaltsausschuss des Bundestags eine Richtungsentscheidung an: wie die Bundeswehr in den kommenden Jahren ihr Geld und vor allem das 100 Milliarden Euro große Sondervermögen ausgibt. Die „Bereinigung“ genannte, nicht öffentlichen Runde, beschließt mehr oder weniger final das Verteidigungsetat 2023 und legt damit die Basis für die ersten und wahrscheinlich größten Projekte des Fonds wie Kampfjets oder Transporthubschrauber aus den USA. Der fertige Plan geht zwar noch zur Abstimmung ins Parlament. Doch das ist in der Regel nur eine Formalie. 

Darum müsse der Ausschuss nicht nur die Beträge genehmigen, sondern der Regierung auch auferlegen, die Aufträge mit klaren Gegenleistungen zu verbinden. Sonst, so die Vertreter vom Weltkonzern Airbus bis zur mittelständischen Schutzsystemhersteller Welp aus Georgsmarienhütte, drohe die Branche unter die Räder zu geraten. Denn um die vor allem während der Regierungsjahre der Großen Koalition aus CDU und SPD kaputt gesparten Truppe zur Bündnis- und Landesverteidigung ohne Verzögerungen wieder fit zu machen , setzt die Ministerin nach eigenen Worten auf „fertige und schnell lieferbare Produkte von der Stange“. Und das sind vor allem Geräte aus den USA. Der neue Tarnkappenbomber F-35 von Lockheed Martin gehört ebenso dazu wie der U-Boot-Jäger P8A Poseidon und der neue schwere Transporthubschrauber Chinook, beide von Boeing

Im „US-Kaufrausch“, wie manche die Shoppingtour nennen, haben die Verantwortlichen aus Sicht der Branche nicht lange über die Details und die Folgen nachgedacht. „Andere Länder verbinden Aufträge an ausländische Unternehmen mit detaillierten Bedingungen wie eine Wertschöpfung im eigenen Land oder die Geräte im Einsatz gemäß der eigenen Bedürfnisse nutzen zu können“, so ein Rüstungsmanager. „Und wir wollen nur einen Geldkoffer in die USA schicken.“ Mit möglicherweise ebenso fatalen Folgen wie die Abhängigkeit von Russland bei der Energie oder Rohstoffen und Halbleitern von China. Mit möglicherweise ebenso fatalen Folgen wie die Abhängigkeit von Russland bei der Energie oder Rohstoffen und Halbleitern von China. „Wir müssen im Hinblick auf die deutsche Souveränität sicherstellen, dass wir uns für die kommenden 30 bis 50 Jahre nicht voll in die Hände der Amerikaner geben“ warnt jetzt auch Martin Kroell, geschäftsführender Gesellschafter der für seine Panzer- und Schleudersitze bekannten Mittelständlers Autoflug aus Rellingen bei Hamburg. Das zu verhindern liege nun in der Hand des Haushaltsausschusses.

Noch treffen die US-Aufträge nur die heimischen Hersteller, wenn auch gleich doppelt. Ihnen entgehen erst einmal die bis zu zwölf Milliarden Euro, die das fliegende Trio in der Anschaffung kostet. 

Mehr noch schmerzt die Waffenhersteller, dass sie laut vorläufiger Kaufvereinbarungen auch bei den Folgeausgaben außen vor bleiben sollen. Über die Lebenszeit gerechnet bringen Ausbildung, Wartung inklusive Ersatzteilversorgung und technische Verbesserungen wesentlich mehr Geld als die Anschaffung. „Das macht über einen Lebenszyklus von bis zu 40 Jahren 70 Prozent der Gesamtkosten aus“, sagt Airbus-Manager Schoder. Das wären bei F-35, Chinook und P8 wahrscheinlich mehr als 50 Milliarden Umsatz.

Der entscheidende Nutzen dieser Dienste ist, dass die Rüster mit der Pflege des Geräts am technischen Fortschritt teilhaben. Sie können nicht nur einen größeren Teil ihrer Fachkräfte halten, die sie mangels Aufträgen hätten woanders einsetzen, oder gar entlassen müssen. Sie bekommen auch einen Eindruck, wie etwa die im Vergleich zum Eurofighter eine modernere F-35 funktioniert. Beides ist entscheidend für den Bau des neuen europäischen Luftkampfsystems FCAS. So nennt Diehl-Manager Walle die europäischen Hilfsdienste rund um die US-Flieger Starfighter oder F-4 Phantom eine große Hilfe beim Bau der heimischen Militärjets Tornado und Eurofighter. 

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