Energiewende Habeck will Tempo beim Klimaschutz verdreifachen – und Abstandsregel in Bayern kippen

Der neue Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck. Quelle: dpa

Die Klimaziele werden in diesem Jahr wohl verfehlt, im nächsten wird es zumindest schwer. Der zuständige neue Minister Robert Habeck will das Tempo jetzt mit Klimaschutzpaketen massiv beschleunigen.

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Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) will die Abstandsregelung in Bayern von Wohnhäusern zu Windkraftanlagen kippen. Habeck sagte am Dienstag in Berlin auf eine Frage zur 10-H-Regelung in Bayern: „Da, wo Abstandsregeln vorgehalten werden, um Verhinderungsplanung zu betreiben, können sie nicht länger bestehen bleiben.“

Die 10-H-Regelung in Bayern besagt, dass ein Windrad grundsätzlich mindestens das Zehnfache seiner Höhe von Wohnbebauung entfernt sein muss. Es handelt sich um die schärfste Abstandsregelung in Deutschland.
(Mehr zum Thema: Pfaffenhofen steht sinnbildlich für die krankende deutsche Energiewende. Warum der Ausbau der Windenergie dort nicht voran kommt.)

Habeck und die Ampel-Regierung wollen, dass deutlich mehr Flächen als bisher für die Windkraft an Land bereitgestellt werden. Das Ziel von zwei Prozent der Landesflächen für die Windenergie an Land soll gesetzlich verankert werden. Bisher kämen nur Hessen und Schleswig-Holstein in die Nähe von zwei Prozent, so Habeck. Der Grünen-Politiker kündigte intensive Gespräche mit den Ländern an. Dies werde ein „mühsamer Prozess“ werden, dürfe aber nicht zu einer Verzögerung führen.

Habeck will zudem das Tempo zur Minderung klimaschädlicher Emissionen nahezu verdreifachen. „Während im letzten Jahrzehnt die Emissionen im Durchschnitt jährlich um 15 Millionen Tonnen gesunken sind, müssen sie von nun an bis 2030 um 36 bis 41 Millionen Tonnen pro Jahr sinken“, teilte das Wirtschaftsministerium am Dienstag in Berlin mit. „Die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen sind in allen Sektoren unzureichend.“ Projektionen zeigten, dass die Klimaziele 2030 ohne neue Maßnahmen in allen Bereichen verfehlt werden würden.

„Wir starten mit einem drastischen Rückstand“, sagte Grünen-Politiker Habeck. 2022 und 2023 sei absehbar, dass die Klimaziele verfehlt würden. Ein erstes Klimaschutzpaket will er bis Ende April auf den Weg bringen, ein zweites im Sommer. Sie sollen helfen, dass Deutschland bis 2030 den Anteil erneuerbarer Energien auf 80 Prozent steigert und bis 2045 klimaneutral wird. „Das alles ist eine Mammut-Aufgabe. Und es wird einige Jahre dauern, bis wir Erfolge sehen werden.“

Unmittelbar zuvor kam aus der SPD der Vorschlag, die anstehenden gesamtgesellschaftlichen Umwälzungen mittels einer Energiewende-Kommission zu bewältigen. „Die Energiewende ist ein gewaltiges Transformationsprojekt. Für ihr Gelingen ist nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Akzeptanz von größter Bedeutung“, sagte Niedersachsens Umwelt- und Energieminister Olaf Lies der „WirtschaftsWoche“. „Nach dem Vorbild der Kohlekommission sollten Bund und Länder deshalb mit allen betroffenen Interessengruppen eine hochrangig besetzte Energiewende-Kommission einberufen.“

Das Land brauche Geschlossenheit in dieser Frage, wenn es vorankommen wolle. „Das Gremium soll in den kommenden drei bis vier Monaten ebenso zügig wie verbindlich Konsens über die Ziele und die notwendigen Schritte hin zur Klimaneutralität herstellen“, sagte Lies weiter. (Lesen Sie hier die gesamte Exklusivmeldung zum Vorstoß des SPD-Politikers)

Habeck will umfassende Sofortmaßnahmen auf den Weg bringen. Die Ausschreibungsmengen für erneuerbaren Strom aus Wind und Sonne soll erhöht und die Weichen für mehr Solaranlagen gestellt werden. So soll eine „Solarpflicht auf neuen Gebäuden„ gesetzlich verankert werden, wie es im Ministerium heißt. Im Koalitionsvertrag steht, bei gewerblichen Neubauten solle eine Solaranlage bei geeigneten Dachflächen verpflichtend sein, bei privaten Neubauten solle es „die Regel“ werden.

In der FDP wird gebremst. „Eine Pflicht für Eigenheime und Mehrfamilienhäuser sehe ich sehr skeptisch“, sagte Fraktionsvize Lukas Köhler der „Augsburger Allgemeinen“ (Dienstag). Für Gewerbebauten hingegen signalisierte er Unterstützung.

Die Verbraucherzentralen dringen auf eine bessere Einbindung von Privathaushalten. Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher Solaranlagen wirtschaftlich betreiben könnten, es bessere Mieterstromangebote gebe und Anwohner von Wind- und Solarparks von günstigem Strom profitierten, „dann wird die Energiewende nicht nur wahrscheinlicher, sondern auch bürgernäher und gerechter“, sagte Klaus Müller, Vorstand des Verbands VZBV den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Er forderte auch weitere Maßnahmen zum sozialen Ausgleich: „Dafür muss das angekündigte Klimageld in Form einer Pro-Kopf-Pauschale kurzfristig eingeführt werden, von dem insbesondere Haushalte mit geringem Einkommen profitieren würden.“

Wirtschaftsweise Veronika Grimm sagte im Gespräch mit der WirtschaftsWoche die Ziele der Bundesregierung in Sachen Energiewende seien „extrem ambitioniert“. Sie fordert unter anderem mehr Ökostrom aus Nachbarstaaten zu importieren. Das helfe den jeweiligen Wirtschaftsstandorten gleichermaßen.

Mehr zum Thema: Wie kann der Neustart der Energiewende gelingen? Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm über Artenschutz und Bürgerzorn, heikles Gas und Linderung für teure Stromrechnungen.

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