Freytags-Frage
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Kann man der AfD irgendwas Positives abgewinnen?

Vor etwa zehn Jahren gründeten einige Herren eine neue Partei, weil sie die Euro-Rettungspakete für rechtswidrig hielten. Die meisten haben die Partei längst verlassen. Wie steht es um die Alternative für Deutschland?

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Vor etwa zehn Jahren gründeten einige Herren eine neue Partei, weil sie die Rettungspakete innerhalb der Eurozone für rechtswidrig hielten und die Sorge hatten, dass Europa und damit auch Deutschland wirtschaftlich abgleiten würden, wenn Verträge nicht eingehalten werden. Zumindest war dies das nach außen berichtete Motiv der AfD-Gründer. Und in der Tat sind diese Gründer überwiegend keineswegs als Nationalisten oder gar Rechtsextremisten einzuschätzen, sondern eher als konservativ-wirtschaftsliberal. Die meisten haben die Partei inzwischen längst verlassen.

Vermutlich wäre es auch gar nicht zur Gründung Alternative für Deutschland (AfD) gekommen, hätte die Bundesregierung in der Krise der Eurozone ab 2010 einen anderen Weg gewählt und die Bail-out-Klausel der Eurozone ernst genommen. Vielleicht hätte es sogar genügt, wenn die damals in der Regierungsverantwortung stehenden Freien Demokraten (FDP) sich den Rettungspaketen verweigert hätten, wie es der Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler damals angeregt hatte. Dann wäre es zu einer Regierungskrise gekommen, die FDP wäre in die Opposition gegangen, und die meisten der AfD-Gründer hätten sich entweder dort engagiert, oder sich mit einer gestärkten liberalen Opposition begnügt.

Stattdessen wurde die neue Partei gegründet und in der Öffentlichkeit sofort als anti-europäisch und damit als undemokratisch und Rechtsaußen gebrandmarkt, was sie und viele ihrer Gründer damals definitiv nicht waren. Allerdings hat es sie wohl auch nicht gestört, dass viele Menschen von Rechtsaußen, darunter bekennende Antisemiten und Nazis, sich ihnen annäherten. Es herrschte wohl der Eindruck vor, man könne diese Leute disziplinieren und gleichzeitig am rechten Rand Wählerstimmen fischen.
Letzteres gelang überzeugend. Ersteres scheiterte krachend. Das Ergebnis ist bekannt. Die sogenannte Alternative für Deutschland AfD hat sich immer weiter nach rechts und dabei in vielerlei Hinsicht außerhalb einer verfassungsgemäßen Position bewegt. Heute ist die Partei weder konservativ noch wirtschaftsliberal, sie ist reaktionär und in jeder Hinsicht illiberal. Und sie vergiftet regelmäßig die politische Diskussion durch eine widerwärtige Wortwahl. Somit hatten diejenigen, die sie von Anfang an in die rechtsextreme Ecke gestellt haben, scheinbar Recht – wobei nicht klar ist, ob und inwieweit diese Strategie die entsprechenden Leute erst motiviert hat, beizutreten.

Das jedoch ist alles nur Spekulation, zumal der wirkliche Durchbruch der AfD ja erst mit der zweiten großen Krise der 2010er-Jahre begann, als Millionen Menschen vor der Gewalt in Syrien nach Europa flohen. Mit primitivsten Parolen gelang es der AfD, Menschen gegen die Flüchtlinge aus Nordafrika aufzuwiegeln, und sich derart in der politischen Realität zu etablieren. Vermutlich wäre es somit 2015 ohnehin zu einer antidemokratischen und anti-humanitären Parteigründung gekommen, auch ohne die Starthilfe einiger wirtschaftsliberaler und zumindest ex-post ein wenig wirr wirkender Wirtschaftsprofessoren etwa aus Hamburg und Tübingen.

Bei etwa zehn Prozent der Wählerstimmen steht die Partei heute, in einigen Bundesländern sind es bis zu dreimal so viele, in anderen nicht einmal die Hälfte. Diese Ergebnisse wirken stabil, viel mehr werden es wohl nicht, aber auch nicht viel weniger. Die Partei konnte bislang nicht von den Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine vor knapp einem Jahr profitieren; ihre nahezu vorbehaltlose Unterstützung des russischen Aggressors verfängt bei den Deutschen nicht. Weder die hohen Kosten der humanitären Unterstützung und Militärhilfe für die Ukraine noch die vielen geflüchteten Ukrainer habe dazu beigetragen, die AfD zu stärken. Im Gegenteil, ihre inhaltliche Substanzlosigkeit und Inkompetenz (neben ihrer erschreckenden Inhumanität) sind offenbarer als je zuvor. Man hat zudem nicht den Eindruck, der Bundestagsfraktion der AfD ginge es um die Sache. Wahrscheinlich haben ihre Abgeordneten wirklich nichts zu bieten!

Viel Positives gibt es also nicht zu berichten. Immerhin muss konstatiert werden, dass die Partei Menschen anspricht, die sich anderswo nicht vertreten sehen. Diese alle als dumm oder faschistisch abzutun, wäre nicht nur ungerecht, sondern höchst unklug. Sie stellen zum Teil sehr wichtige Fragen, die sie von den anderen Parteien nicht ausreichend beantwortet sehen. Dies zwingt die anderen Parteien, sich mit bestimmten Themen, die die AfD zumindest aufgreift, deutlich aktiver zu befassen. Diese Themen sind zum Beispiel die europäische Integration und deren immer wieder auftretende Probleme, die drängendsten Fragen von Flucht und Vertreibung und die allgemeine Einwanderungspolitik einschließlich der damit verbundenen Bildungs- und Sicherheitsaspekte. Hier haben die demokratischen Parteien noch Luft nach oben.

Außerdem scheint die AfD am rechten politischen Rand alles aufzusaugen. Die Zeiten, als die sogenannten Nationaldemokraten (NPD) oder die Republikaner noch in einzelnen Landesparlamenten auftauchten, sind vorbei – die AfD hat diese Positionen übernommen. Damit macht sie es den Verfassungsorganen unter Umständen leichter, die deutschen Neonazis und Antisemiten zu beobachten.

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Insgesamt wäre die Welt eine bessere, gäbe es die AfD nicht. Allerdings bedeutet sie auch nicht das Ende der Zivilisation. Dazu ist sie intellektuell zu dürftig und moralisch zu verkommen; somit ist sie zu wenig ansprechend für breite Wählerschichten. Es ist beruhigend zu wissen, dass die bundesdeutsche Gesellschaft so gefestigt ist, dass sie die AfD in ihrer Mehrheit klar ablehnt. Dennoch wäre es sehr zu begrüßen, wenn die Partei in weiteren zehn Jahren noch unbedeutender geworden wäre.

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