Freytags-Frage
Die steigende Inflation bereitet immer mehr Menschen Sorge. Quelle: Imago

Wird die EZB jetzt erst recht zum Inflationstreiber?

Die EZB reagiert trotz starker Kritik kaum auf die immer stärker steigende Inflation. Interne Lohnverhandlungen könnten jetzt die Rolle der Zentralbank als Hüter über die Preisniveaustabilität weiter untergraben.

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In der vergangenen Woche gab es eine kurze Meldung, die in der Öffentlichkeit kaum Resonanz erfuhr, die aber alle Bürger in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWU) aufhorchen lassen sollte. Die für die Europäische Zentralbank (EZB) zuständige Gewerkschaft, die International and European Public Services Organisation (IPSO), verlangte eine stärkere Lohnerhöhung als von der EZB selbst angeboten. Die Begründung – Inflationsausgleich – ist für die meisten Bürger wohl kaum überraschend, denn in der Tat sorgt die Inflation in der Eurozone für einen dauerhaften Verlust an Kaufkraft.

Insofern ist die Forderung der IPSO nach einer Gehaltssteigerung von mehr als den angebotenen 1,3 Prozent nachvollziehbar, zumal der Vizepräsident der IPSO, Carlos Bowles, als Ökonom die Zusammenhänge mit Sicherheit klar erfasst. Anders als die Spitzen der EZB, zum Beispiel der Chefvolkswirt der EZB, Philip Lane, seine Chefin Christine Lagarde oder die deutsche Direktorin Isabel Schnabel, die sogar eine auf Dauer zu niedrige Inflationsrate (also unter dem mittelfristigen Inflationsziel von 2 Prozent) erwartet, sehen die Mitarbeiter der Zentralbank in der gegenwärtigen Inflationsentwicklung offenbar ein erhebliches Risiko für ihren Wohlstand. Ähnlich dürften Millionen Bürger in der EWU denken. Zumindest lassen ungebremste Anlagen in Sachwerte dies vermuten.

Und in der Tat ist eine Inflationsrate von 5,2 Prozent (November 2021 in Deutschland) mit dem Ziel der Preisniveaustabilität nicht vereinbar. Auch sind erhebliche Zweifel am Optimismus der EZB-Spitze für die mittlere Frist berechtigt. Immerhin haben sich die Importpreise im Oktober im Vergleich zum Oktober 2020 um 22 Prozent erhöht. Man muss damit rechnen, dass damit gerade Preiserhöhungen auf importierte Vorleistungen nicht unmittelbar auf die Preise der finalen Produkte wirken, sondern dass diese mit einiger Zeitverzögerung erhöht werden. Vor diesem Hintergrund ist es naiv zu erwarten, dass die Inflationsrate im kommenden Jahr deutlich fallen wird.

Natürlich könnte man dann argumentieren, die mittlere Frist sei nicht das Jahr 2022, sondern irgendwann später, eventuell 2023, 2024 oder gar 2025. So lange müsse man eben Geduld haben. Eine derartige Argumentation wiederum könnte der EZB nur als Zynismus ausgelegt werden, denn inzwischen wäre die Kaufkraft des Geldvermögens der Bevölkerung um etwa 15 bis 20 Prozent gesunken. Insofern wird hier dieser Interpretation nicht gefolgt; die Mitarbeiter in der EZB scheinen ihr auch nicht folgen zu wollen.

Der Vorschlag der IPSO sieht unter anderem eine Indexierung der Gehälter der EZB-Mitarbeiter an die Inflationsrate. Was wäre davon zu halten? Erst einmal klingt es fair, denn die Kaufkraftverluste der Mitarbeiter wären ausgeglichen. Als verantwortungsvoller Arbeitgeber hätte die EZB die Mitarbeiter geschützt. Und die Lohnsumme der EZB wäre zu klein, eine Lohn-Preis-Spirale in Gang zu setzen, die normalerweise von flächendeckend installierter Lohnindexierung ausgehen würde.

Also alles kein Problem? Nur eine interne Angelegenheit der EZB? Mitnichten! Denn ein automatischer Schutz der EZB-Mitarbeiter von den Folgen der Inflation hätte langfristig stark negative Folgen für das Inflationsbewusstsein in der EZB selbst. Es darf nicht sein, dass sich die komplette Belegschaft von den Folgen ihrer eigenen Politik dauerhaft isoliert und damit das Bewusstsein für Inflation und ihre Konsequenzen für Allokation, Investitionen und Verteilung verliert.



Nicht umsonst wird gerade heftig diskutiert, ob Direktoriumsmitglieder einer Zentralbank ihr Privatvermögen genauso unbegrenzt anlegen dürfen wie Privatleute. Dazu gab es in der amerikanischen Notenbank, der Fed, einige Unregelmäßigkeiten. Es wird deshalb gefordert und zum Teil durchgesetzt, dass die Direktoren der Notenbanken, so auch der EZB und der europäischen nationalen Zentralbanken, Auskunft über ihre Geldanlagen geben. Denn auch hier existieren potentielle Interessenkonflikte. Wer privat ein größeres Aktienportfolio hält oder umfangreiche Investition in europäische Staatsanleihen getätigt hat, könnte das Interesse an Zinserhöhungen verlieren, weil dann der Wert der Anlage sich verringern könnte.

Da die EZB ohnehin im Spannungsfeld der Preisniveaustabilität und der Nöte der europäischen Finanzminister, die schnell viel und billiges Geld benötigen, steckt, sollte sie jeden Anschein vermeiden, ihr sei die Inflationsrate einerlei. Deshalb sollte sie eigentlich gar nicht das Hoheitsrecht über die von ihr gezahlten Gehälter haben. Diese sollten auf einer ganz anderen Ebene verhandelt werden und sich zum Beispiel an den Gehältern im öffentlichen Dienst auf dezentraler Ebene orientieren.

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Wenn aber die EZB der Forderungen ihrer Gewerkschaft, so berechtigt sie in der Sache auch sein mögen, nachgeben würde, wäre es ein klares Signal an alle Bürger, dass Preisniveaustabilität für die EZB keine Priorität mehr besitzt. Auf jeden Fall sollten die Bürger in der EWU wachsam bleiben.

Mehr zum Thema: Trotz rasanten Preisschubs hält die EZB an ihrer lockeren Geldpolitik fest.

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