Die Bundesregierung rechnet nicht mit einer Verlängerung der Ausnahmeregelungen der USA für die EU-Staaten bei den neuen Zöllen auf Stahl- und Aluminiumprodukte. Es sei wahrscheinlich davon auszugehen, dass die Zölle am 1. Mai kämen, hieß es am Donnerstag aus deutschen Regierungskreisen. Die Meldung kommt kurz vor der Reise von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach Washington am Freitag.
Merkel muss aus Sicht der deutschen Wirtschaft bei ihrem Treffen mit US-Präsident Donald Trump deutliche Worte gegen Strafzölle und Handelsbeschränkungen finden. „Merkel sollte Trump auffordern, vollständig von den Importbeschränkungen auf Stahl und Aluminium abzusehen“, sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, am Donnerstag. „Sie sollte ihm verdeutlichen, welche Risiken von den US-Maßnahmen nicht nur für die Weltwirtschaft und den Welthandel, sondern auch für die US-Wirtschaft ausgehen: Angriffe auf den Freihandel gefährden Wohlstand und Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Atlantiks.“
In Deutschland hänge jeder vierte Arbeitsplatz am Export. In der Industrie sei es sogar mehr als jeder zweite, erläuterte Kempf.
So wichtig sind die USA im Handel für Deutschland und die EU
Die EU und die USA gelten als die weltweit am stärksten miteinander vernetzten Wirtschaftsregionen. Obwohl hier nur etwa zehn Prozent der Weltbevölkerung leben, wird knapp die Hälfte des Sozialprodukts erwirtschaftet, etwa 50 Prozent der Weltproduktion erzeugt und ein Drittel des globalen Handels getätigt. Beide Regionen vereinen 60 Prozent der weltweiten Direktinvestitionen auf sich.
Auf beiden Seiten des Atlantiks sichert die enge wirtschaftliche Partnerschaft etwa 15 Millionen Arbeitsplätze. Mehr als eine Million Jobs in Deutschland hängen direkt oder indirekt von den Exporten in die USA ab. Weitere 630.000 Arbeitsplätze gibt es in Betrieben, die von US-Firmen kontrolliert werden - von McDonald's über den Personaldienstleister Manpower bis hin zu den Ford-Werken. Umgekehrt schaffen deutsche Unternehmen in den USA ebenfalls Hunderttausende Jobs. Zu den größten deutschen Arbeitgebern dort gehören Volkswagen, die Deutsche-Post-Tochter DHL, Siemens und der Autozulieferer ZF Friedrichshafen.
Auch für die 28-Mitgliedsstaaten zählende EU sind die USA der wichtigste Kunde. Waren im Wert von 375 Milliarden Euro wurden im vergangenen Jahr dorthin geliefert. Das ist fast doppelt so viel wie nach China verkauft wurden. Etwa ein Fünftel der gesamten EU-Ausfuhren landen in den Vereinigten Staaten.
US-Exporte gingen 2017 im Umfang von 282,5 Milliarden Dollar nach Kanada, nach Mexiko waren es 242,98 Milliarden Dollar und nach China 130,4 Milliarden Dollar. Deutlich dahinter lag das Ausfuhrvolumen nach Japan mit 67,7 Milliarden Dollar, nach Großbritannien mit 56,3 Milliarden Dollar und Deutschland mit 53,5 Milliarden Dollar.
Die USA waren 2017 bereits das dritte Jahr in Folge wichtigster Abnehmer deutscher Waren. Güter im Wert von 111,5 Milliarden Euro wurden von Deutschland in die Vereinigten Staaten exportiert. Das ist mehr als in die Nachbarländer Schweiz und Belgien zusammen. Fast neun Prozent der gesamten deutschen Exporte landen in den USA.
Die Amerikaner kaufen vor allem Fahrzeuge und Fahrzeugteile "Made in Germany". Dafür gaben sie fast 29 Milliarden Euro aus. Zweitwichtigster Exportschlager sind Maschinen (19 Milliarden Euro), gefolgt von pharmazeutischen Produkten (13,5 Milliarden Euro). Die Metall-Exporte summierten sich 2017 auf knapp 3,6 Milliarden Euro.
Der US-Warenhandel mit anderen Ländern belief sich im vergangenen Jahr auf Exporte von 1,55 Billionen Dollar und Importe von 2,34 Billionen Dollar. Damit wurde ein Defizit von 796,2 Milliarden Dollar verzeichnet. Gemessen am Ungleichgewicht im Warenhandel ist das US-Defizit gegenüber China mit 375,2 Milliarden Dollar bei weitem am größten. Dahinter folgen Mexiko mit 71,06 Milliarden Dollar, Japan mit 68,85 Milliarden Dollar und Deutschland mit 64,25 Milliarden Dollar.
Von den US-Importen kamen allein Waren im Wert von über 505,6 Milliarden Dollar aus China. In der Rangliste folgen Mexiko mit 314 Milliarden Dollar, Kanada mit 300 Milliarden Dollar, Japan mit 136,5 Milliarden Dollar und Deutschland mit knapp 118 Milliarden Dollar.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier erwartet nach Angaben vom Mittwoch in der nächsten Woche eine abgestimmte Position der EU zum weiteren Vorgehen im Handelsstreit mit den USA. „Wir tun gut daran, jede Eskalation zu vermeiden“, hatte Altmaier in Berlin gesagt. Die EU sei derzeit dabei, ihre Position abzustimmen. „Wir haben eine Verantwortung dafür, dass ein unkontrollierter Wettbewerb um Zölle vermieden wird.“
Die EU will eine gemeinsame Linie in den Verhandlungen mit den USA erreichen. Altmaier verwies darauf, dass es in Frankreich eine „kontroverse Debatte“ darüber gebe, welche Verhandlungsangebote den USA gemacht werden sollten. Es sei wichtig, dass es eine dauerhafte Ausnahmeregelung von den US-Zöllen auf Stahl und Aluminium gebe. Die Bundesregierung setze sich ein gegen Protektionismus, bekräftigte Altmaier. Die Welthandelsorganisation WTO sei wichtiger denn je. Trump hat sich mehrfach kritisch über die WTO geäußert.
Einseitige Zollsenkungen der EU gegenüber den USA, wie sie Trump fordere, seien weder mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO vereinbar noch im strategischen Interesse der EU, sagte BDI-Chef Kempf. Marktöffnung müsse auf Gegenseitigkeit beruhen, ein reines Zollabkommen wäre zu kurz gegriffen. In den USA beschränkten „Buy America“-Regeln den Zugang für ausländische Unternehmen zum Vergabemarkt. Mit einer Beschwerde bei der Welthandelsorganisation WTO hatte sich die EU vor gut einer Woche mögliche Vergeltungszölle gegen die USA offen gehalten. In einem von der WTO veröffentlichten Dokument verlangte die Europäische Union offiziell den Start von Konsultationen mit der US-Regierung. Die EU könnte ihrerseits Schutzzölle auf US-Produkte wie Whiskey, Motorräder und Jeans verhängen.
Merkel besucht an diesem Freitag zum zweiten Mal Trump im Weißen Haus zu einem Arbeitstreffen. Dabei wird nicht nur der Handelsstreit der USA mit der EU im Fokus stehen. Einen Überblick der wichtigsten Themen auf Merkels wirtschaftspolitischer Agenda in den USA finden Sie hier:




