„Inakzeptabel, was in Afrin geschieht“ Merkel verurteilt erstmals türkische Syrien-Offensive

Kanzlerin Merkel bezieht erstmals Stellung zum Einmarsch türkischer Truppen in Syrien. Doch eine wichtige Frage bleibt offen.

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Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung die türkische Offensive in Syrien verurteilt. Quelle: AP

Berlin/Damaskus Zwei Monate nach dem Einmarsch türkischer Truppen in Syrien hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die Offensive gegen die kurdische YPG-Miliz erstmals in aller Deutlichkeit verurteilt. „Bei allen berechtigten Sicherheitsinteressen der Türkei ist es inakzeptabel, was in Afrin passiert, wo tausende und abertausende von Zivilisten verfolgt sind, zu Tode kommen oder flüchten müssen“, sagte die CDU-Vorsitzende am Mittwoch im Bundestag. „Auch das verurteilen wir auf das Schärfste.“

Merkel verurteilte auch die Angriffe der syrischen Regierungstruppen in der nahe der Hauptstadt Damaskus gelegenen Region Ost-Ghuta und gab Russland eine Mitverantwortung. „Gerade in diesen Tagen erleben wir grauenhaftes Tun durch Bombardements zum Beispiel in Ost-Ghuta“, sagte Merkel. Die Bundesregierung verurteile diese Bombardements, die Regierung von Präsident Baschar al-Assad, „aber auch Russland, das dem zusieht“, auf das Schärfste.

Die Kanzlerin sagte nicht, ob sie die türkische Offensive für völkerrechtswidrig hält. Auch Außenminister Heiko Maas (SPD) ließ diese Frage offen, äußerte aber „erhebliche Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit des Einsatzes. Außerdem machte er klar, dass die Operation „sicherlich nicht mehr im Einklang mit dem Völkerrecht wäre“, wenn türkische Truppen dauerhaft in Syrien bleiben würden.

SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles hatte den Einsatz bereits am Dienstag als völkerrechtswidrig eingestuft. Auch CDU-Abgeordnete sowie alle Oppositionsfraktionen teilen diese Einschätzung.

Türkische Truppen hatten die Operation „Olivenzweig“ gegen die YPG in der nordsyrischen Region Afrin am 21. Januar gestartet. Die Türkei sieht in der YPG den syrischen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und rechtfertigt die Offensive mit dem Kampf gegen den Terrorismus.

Die Türkei ist Partner Deutschlands in der Nato und setzt bei der Offensive Panzer aus deutscher Produktion ein. Die Bundesregierung hat seit dem Einmarsch der türkischen Armee in Syrien auch weiter Rüstungsexporte in die Türkei genehmigt. In den vergangenen zwei Monaten waren es 20 Genehmigungen im Umfang von 4,4 Millionen Euro.

Helfer berichten inzwischen von einer dramatischen humanitären Lage in Afrin. Auch in Deutschland gibt es massive Proteste gegen die türkische Offensive. Am Mittwoch demonstrierten rund 50 pro-kurdische Aktivisten vor und in der Parteizentrale der Frankfurter SPD. Sie befestigten ein Banner mit der Aufschrift „Freies Afrin“ am Gebäude und ließen farbigen Rauch aufsteigen, wie ein Polizeisprecher sagte.

Aus Protest gegen die Afrin-Offensive trat der Fußball-Profi Deniz Naki mit etwa einem Dutzend Abgeordneten und Bürgermeistern aus der Türkei vor dem UN-Gebäude in Genf in einen Hungerstreik. „Ich habe natürlich Hunger, aber es geht mir gut“, sagte der Deutsch-Kurde der Deutschen Presse-Agentur. Der 28 Jahre alte frühere St. Pauli-Profi spielte einst für die deutsche U-21-Nationalmannschaft.

In Syrien wurden nach Angaben von Aktivisten und Rettungshelfern unterdessen wieder mindestens 20 Zivilisten bei einem erneuten Luftangriff auf die syrische Provinz Idlib getötet, 16 davon Kinder. Die Rettungsorganisation Weißhelme meldete, die Kinder seien ums Leben gekommen, nachdem sie nach einem ersten Angriff aus einer Schule geflohen waren, um Schutz in einer Höhle zu suchen. Sie machte russische Jets für den Angriff verantwortlich. Russland ist im Bürgerkrieg ein enger Verbündeter der syrischen Regierung.

Die Provinz Idlib im Nordwesten des Bürgerkriegslandes ist zum größten Teil unter Kontrolle von Rebellen. Zu den stärksten Gruppen gehört dort der syrische Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida.

Nach der Einnahme Afrins hatte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mit einer Ausweitung der Offensive gegen die Kurden bis in den Nordirak gedroht. Der Irak warnte die Türkei deshalb nun vor einem Einmarsch in sein Staatsgebiet. Der Irak werde auf seinem Boden keine Präsenz irgendwelcher Kräfte zulassen, die Militäroperationen ausführten, sagte Außenminister Ibrahim al-Dschafari in Bagdad, wo er sich mit dem türkischen Vize-Außenminister Ahmet Yildiz traf.

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