Großbritannien So treffen die Brexit-Folgen deutsche Unternehmen auf der Insel

Quelle: Bloomberg

Auch die deutschen Unternehmen in Großbritannien haben mit dem Brexit und Engpässen zu kämpfen. Der Lkw-Mangel macht vielen die Planung zunichte. In britischen Medien besonders häufig Thema: Süßwarenhersteller Haribo.

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Reinhold Braun klingt genervt. „Im Großen und Ganzen haben wir uns an die schlechten Voraussetzungen seit dem Brexit gewöhnt“, sagt der Geschäftsführer von Sortimo. Zuletzt habe sich die Lage allerdings „auf einem niedrigen Niveau verschlechtert.“ Das mittelständische Unternehmen im bayrisch-schwäbischen Zusmarshausen stellt Fahrzeugeinrichtungen für Handwerker und Kundendienste her und ist damit Marktführer in Europa. Großbritannien ist der wichtigste Auslandsmarkt. Und den bedient Sortimo von einem eigenen Werk im nordenglischen Warrington aus. Eigentlich brummt das Geschäft.

Doch zu den Schwierigkeiten, die der EU-Austritt mit sich gebracht hat, kommen nun auch die schweren Transportengpässe, die Großbritannien in diesen Tagen in Atem halten. Und die hat der Brexit zweifellos verstärkt: Zehntausende Lkw-Fahrer aus der EU haben während der Pandemie das Land verlassen. Wegen der seit Jahresbeginn geltenden, strengen Einreisebestimmungen dürfte der Großteil von ihnen auch kaum wiederkommen. Die Folge: Leere Supermarkt-Regale, lange Schlangen vor Tankstellen – und Industrieunternehmen, die damit zu kämpfen haben, ihre Nachschübe in die Werke zu bekommen. Davon betroffen sind auch die deutschen Unternehmen im Land.

Während es früher eine Woche gedauert habe, Bauteile aus Deutschland ins Werk in Nordengland zu bekommen, ziehe sich das derzeit zwei bis drei Wochen hin, erklärt Sortimo-Chef Reinhold Braun. „Was uns härter trifft ist aber nicht die Zeit, sondern die Planbarkeit“, fügt er hinzu. Die Transportkosten für Lieferungen nach Großbritannien seien auch stark angestiegen, um das Drei- bis Vierfache. „Das ist schon problematisch. Das zahlt dann demnächst der Kunde in England. Man muss die Kosten ja irgendwie finanzieren.“

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Hinzu kämen Probleme vor Ort, etwa bei der Fahrzeuglogistik. Denn die Fahrzeuge, in die Sortimo seine selbst entwickelten Fahrzeugeinrichtungen und Ordnungssysteme einbaut, müssten ja zu dem Werk geliefert und anschließend wieder zum Kunden zurückgebracht werden. „Auch die Logistik ist derzeit stark gestört“, erklärt Braun.

Zwar hat sich Sortimo auf den Brexit vorbereitet – wie man es von einem schwäbischen Mittelständler erwarten würde: So hat man unter anderem die Lagerfläche vor Ort ausgebaut, um einen größeren Spielraum zu haben, falls es mal wegen des Brexits zu Verzögerungen kommen würde. Doch die massiven Engpässe vor allem beim Transport, mit denen das Land derzeit kämpft, hätten die Planungen teilweise zunichte gemacht, sagt Braun. „Das war auch unter schlechten Voraussetzungen nicht vorhersehbar.“

Die deutschen Unternehmen in Großbritannien kämpften schon seit Monaten mit der Lkw-Knappheit, sagt Ulrich Hoppe, Chef der Auslandshandelskammer in London. „Das ist eine große Herausforderung.“ Da unterscheide sich die Lage in Großbritannien grundsätzlich nicht groß von der auf dem europäischen Festland, wo auch eine Mangel an Lkw-Fahrern herrsche. „Aber natürlich hat der Brexit auch einen Effekt. Darf man nicht vergessen, dass das ja hier auch immer sehr viele ausländische Lkw-Fahrer waren.“

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Die Folge: Der ohnehin sinkende Handel zwischen Großbritannien und Deutschland ist in diesem Jahr noch stärker zurückgegangen. „Durch den Brexit sind die bilateralen Beziehungen im Wirtschaftsverkehr nicht mehr so eng, wie sie vorher mal waren“, sagt Hoppe. Und tatsächlich ist Großbritannien gerade auf dem besten Weg, aus der Liste der zehn größten Handelspartner Deutschlands zu verschwinden. Vor dem EU-Referendum 2016 lag das Land noch auf Platz vier. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres ging das beiderseitige Handelsvolumen um rund elf Prozent zurück. Davon betroffen sind nicht nur die Exporte ins Vereinigte Königreich. Auch in Deutschland haben viele Firmen wegen des Brexits ihre Lieferketten umgestellt und britische Zulieferer durch kontinentaleuropäische ersetzt.

Ein Name, den man über den Sommer immer wieder gehört hat, war Haribo. In britischen Medienberichten hieß es, dass man aufgrund von Lieferschwierigkeiten viele der Produkte des deutschen Süßwarenherstellers vielerorts nicht mehr bekommen könne. Das sei jedoch nicht ganz richtig, sagt Unternehmenssprecher Christian Bahlmann. Es habe in den vergangenen Monaten „mal zeitliche Verschiebungen gegeben“. „Aber wir hatten keine Ausfälle.“ Das sei in der Berichterstattung „aufgebläht worden“.

Tatsächlich habe Haribo in Großbritannien investiert und die Produktion vor Ort modernisiert, „sodass wir vom Brexit deutlich weniger betroffen sind als andere Unternehmen, die aus der EU nach UK exportieren.“ Von den derzeitigen Transportproblemen im Land sei man zwar auch betroffen, fügt er dann hinzu. „Aber im Gegensatz zu europäischen Unternehmen, die nicht vor Ort produzieren, sind wir besser aufgestellt.“

„Wir gehen davon aus, dass sich das irgendwann wieder normalisiert“

Auch bei BMW gibt man sich gelassen. Der deutsche Autobauer unterhält in Großbritannien vier Standorte mit rund 9000 Mitarbeitern. Mini und Rolls-Royce gehören heute zu dem Konzern. „Wir musste kürzlich die Produktion herunterfahren, aber das war, weil Halbleiter gefehlt haben“, erklärt Unternehmenssprecher Graham Biggs. BMW habe ein „flexibles Produktionssystem“, das ermögliche, auf eventuelle Engpässe aller Art schnell zu reagieren. „Und wir haben ein gutes Verhältnis zu unseren Zulieferern. Daran haben wir hart gearbeitet.“

Der Werkzeugmaschinenhersteller Heller aus Nürtingen berichtet dagegen von Schwierigkeiten, die sich aus dem Brexit und aus der weltweiten Rohstoffknappheit ergeben hätten. Das (ebenfalls schwäbische) Unternehmen unterhält bereits seit 1974 ein Werk in Redditch bei Birmingham. „Die aktuelle Situation rund um die generelle Rohstoffknappheit und die damit verbundenen Lieferschwierigkeiten ist ein globales Problem, von dem auch Heller betroffen ist“, sagt CEO Klaus Winkler. Aufgrund der steigenden Rohstoffpreise stiegen auch schon seit Wochen die Einkaufspreise.

Von dem Lkw-Fahrermangel sei man derzeit nicht betroffen, erklärt Winkler weiter, fügt dann aber hinzu: „Grundsätzlich ist der Brexit aber eine große Herausforderung.“ Das Unternehmen müsse sich mit den erschwerten Bedingungen seit Jahresbeginn arrangieren und „die Situation immer wieder neu bewerten, um die Wettbewerbsfähigkeit nicht zu gefährden.“

Den britischen Standort aufzugeben, plane man sicher nicht, versichert Winkler. Er würde sich dennoch „Erleichterungen im Warenverkehr sowie weniger Bürokratie seitens der englischen Behörden“ wünschen. „Damit der Zusatzaufwand wieder auf ein erträgliches Maß reduziert wird.“

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Auch bei Sortimo denkt man allem Ärger zum Trotz nicht an die Aufgabe des Insel-Standorts. Immerhin hat das Unternehmen in Großbritannien in diesem Jahr bereits 5500 Fahrzeuge ausgebaut. Aber: 2019 waren es noch 7500. „Wir gehen immer noch davon aus, dass sich das irgendwann wieder normalisiert“, sagt Reinhold Braun. Wobei er unter „Normalisierung“ nicht eine Rückkehr zu Zeiten wie vor dem Brexit oder vor der Coronapandemie verstehe, fügt er dann hinzu. „Aber zumindest auf ein normales, planbares Level. Die Hoffnung stirbt zuletzt.“

Mehr zum Thema: Um die massiven Versorgungsprobleme im Land zu überwinden, greift die Regierung zu immer exotischeren Maßnahmen. Eine davon: eine Million Briefe an mutmaßliche Lkw-Fahrer. Ob die das Problem lösen werden, ist allerdings fraglich.

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