Gute Konjunktur EZB drosselt Anleihenkäufe zum Jahresende leicht

Frankfuter Skyline mit EZB Gebäude Quelle: Bloomberg

Europas Währungshüter verringern im vierten Quartal das Tempo ihrer milliardenschweren Anleihenkäufe. Ein Ende des Notkaufprogramms PEPP ist damit nicht beschlossen. Auch die Zinsen bleiben auf Rekordtief.

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Die Europäische Zentralbank (EZB) geht angesichts der gut laufenden Konjunktur bei ihren milliardenschweren Anleihenkäufe leicht vom Gas. Im vierten Quartal 2021 soll der Erwerb von Staats- und Unternehmenspapieren im Rahmen des Corona-Notkaufprogramms PEPP „moderat“ geringer ausfallen als derzeit. Das entschied der EZB-Rat bei seiner Sitzung am Donnerstag, wie die Notenbank in Frankfurt mitteilte. Zuletzt steckte die EZB über das PEPP monatlich etwa 80 Milliarden Euro in Wertpapiere.

Die Währungshüter der EZB haben sich auf ihrer Zinssitzung Insidern zufolge auf ein neues monatliches Kaufziel für ihre Notfall-Anleihenkäufe in einer Spanne von 60 bis 70 Milliarden Euro verständigt. Die Euro-Wächter hätten ein spezifisches Ziel innerhalb dieses Bandes vereinbart, sich dabei aber Flexibilität für Abweichungen nach unten oder oben eingeräumt, um den jeweiligen Marktbedingungen Rechnung zu tragen, sagten drei mit der Situation vertraute Personen. Ein EZB-Sprecher lehnte eine Stellungnahme zu den Informationen ab.

Das auf insgesamt 1,85 Billionen Euro angelegte Notfall-Programm PEPP ist eines der Hauptinstrumente der Europäischen Zentralbank (EZB), um den Kreditfluss an die Wirtschaft während der Corona-Krise zu stützen. Ziel ist es, günstige Finanzierungsbedingungen für Unternehmen, Staaten und Haushalte zu bewahren. Zuletzt wurden im Rahmen von PEPP Staatsanleihen und andere Wertpapiere im Volumen von monatlich rund 80 Milliarden Euro erworben. Die EZB beschloss auf ihrer Zinssitzung am Donnerstag, die Käufe gegenüber den vorangegangenen beiden Quartalen „moderat“ zu verringern.

Die Anleihenkäufe der EZB helfen Staaten wie Unternehmen: Diese müssen für ihre Wertpapiere nicht so hohe Zinsen bieten, wenn eine Zentralbank als großer Käufer am Markt auftritt. Das ist besonders für Staaten wichtig, die zur Abfederung der Folgen der Corona-Krise milliardenschwere Hilfsprogramme aufgelegt haben.

Ein Ende des Zinstiefs im Euroraum ist nicht in Sicht. Den Leitzins im Euroraum hält die EZB weiterhin auf dem Rekordtief von null Prozent. Geschäftsbanken müssen nach wie vor 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken.

Die Wirtschaft entwickele sich im laufenden Jahr besser als erwartet, hatte EZB-Vizepräsident Luis de Guindos in einem Anfang September veröffentlichten Interview gesagt: „Wenn sich die Inflation und die Wirtschaft erholen, wird es logischerweise zu einer schrittweisen Normalisierung der Geldpolitik und auch der Finanzpolitik kommen.“

Die Notenbankchefs von Österreich und den Niederlanden, Robert Holzmann und Klaas Knot hatten angesichts des wirtschaftlichen Aufschwungs und der anziehenden Inflation gefordert, über geringere Anleihenkäufe nachzudenken. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hatte gemahnt, auch „das Risiko einer zu hohen Inflation“ nicht auszublenden: „Angesichts der bestehenden Unsicherheit sollten wir den sehr lockeren Kurs der Geldpolitik nicht für zu lange festschreiben.“ Insbesondere das PEPP sei „eng an die Pandemie gebunden und muss beendet werden, sobald die Notsituation überwunden ist“, bekräftigte Weidmann frühere Aussagen. „Aus gutem Grund steht das erste P in PEPP für pandemisch und nicht für permanent.“

Kritiker werfen der EZB vor, mit dem vielen billigen Geld die Inflation anzuheizen, die sie eigentlich im Zaum halten will. Oberstes Ziel der Notenbank sind stabile Preise. Beim Umgang mit höheren Teuerungsraten hat sich die EZB inzwischen allerdings mehr Flexibilität verschafft: Die Notenbank strebt neuerdings für den Währungsraum eine jährliche Teuerungsrate von zwei Prozent an und ist zumindest zeitweise bereit, eine moderates Über- oder Unterschreiten dieser Marke zu akzeptieren.

Im August 2021 lagen die Verbraucherpreise im Euroraum um 3,0 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Damit kletterte die Inflation im Euroraum auf den höchsten Stand seit fast zehn Jahren. Die Zinsen will die EZB erst wieder anheben, wenn sie ihr Inflationsziel nachhaltig erreicht sieht.

Die Konjunktur im Euroraum wird sich nach Einschätzung der Europäischen Zentralbank (EZB) schneller vom Corona-Tief erholen als bisher gedacht. Die Notenbank erwartet für das laufende Jahr nun ein Wirtschaftswachstum von 5,0 Prozent, wie EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag in Frankfurt sagte. Im Juni hatten die Währungshüter noch einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 4,6 Prozent vorhergesagt.

Die Notenbank trägt zur Verarmung von Geringverdienern bei und hebt die Immobilienpreise.
von Christof Schürmann

Im kommenden Jahr wird die Wirtschaft im Währungsraum der 19 Länder nach der neuesten EZB-Vorhersage um 4,6 Prozent zulegen (Juni-Prognose: 4,7 Prozent). Für 2023 erwarten die Experten der Notenbank unverändert einen Anstieg der Wirtschaftsleistung um 2,1 Prozent. Im Corona-Krisenjahr 2020 war das BIP im Euroraum um 6,4 Prozent eingebrochen und damit so stark wie noch nie.

Die Teuerung im Euroraum dürfte nach Einschätzung der Zentralbank in diesem Jahr bei 2,2 Prozent liegen. Im Juni war die Notenbank noch von einem Anstieg von 1,9 Prozent ausgegangen. Für 2022 rechnen die Währungshüter nun mit einer jährlichen Preissteigerung von 1,7 Prozent (Juni-Prognose: 1,5 Prozent), für 2023 sagt die EZB eine Inflationsrate von 1,5 Prozent (Juni-Prognose: 1,4 Prozent) voraus.

Beim Umgang mit vergleichsweise hohen Inflationsraten hat sich die EZB, deren oberstes Ziel stabile Preise sind, mehr Flexibilität verschafft: Die Notenbank strebt inzwischen für den Währungsraum eine jährliche Teuerungsrate von zwei Prozent an und ist zumindest zeitweise bereit, ein moderates Über- oder Unterschreiten dieser Marke zu akzeptieren.

Aus Sicht der EZB ist der Anstieg der Verbraucherpreise vorübergehend und auf Sonderfaktoren infolge der Corona-Krise zurückzuführen. So waren zum Beispiel die Rohölpreise wegen geringer Nachfrage auf dem Weltmarkt nach Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 eingebrochen. Seither haben sie sich erholt. Auch die Rückkehr zu den üblichen Mehrwertsteuersätzen in Europas größter Volkswirtschaft Deutschland zum 1. Januar 2021 hat einen Effekt auf die Teuerung im Euroraum. In Deutschland galten von Juni bis Ende Dezember 2020 verringerte Mehrwertsteuersätze, um in der Krise den Konsum anzukurbeln.

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Greenpeace-Aktivisten forderten mit einer Aktion vor der EZB-Zentrale in Frankfurt mehr Einsatz der Notenbank im Kampf gegen den Klimawandel. In einer am Donnerstag veröffentlichten Studie von Greenpeace Deutschland, dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und der SOAS University of London fordern die Autoren die EZB zum Beispiel auf, bei ihren Anleihenkäufen mögliche Klimarisiken offenzulegen und möglichst umzusteuern.

Mehr zum Thema: In den USA bereiten führende Notenbanker die Märkte auf ein Ende der super-lockeren Geldpolitik vor. Das hat Folgen für das transatlantische Zins- und Währungsgefüge. Ein Kommentar.

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