Reaktionen auf den Brexit-Deal „Das Abkommen ist besser als kein Abkommen“

Der Brexit-Deal steht. Quelle: AP

Immer wieder hatten Wirtschaftsvertreter vor einem Scheitern der Brexit-Verhandlungen gewarnt. Nun herrscht vielerorts Erleichterung bei Politikern und Wirtschaftsvertretern. Aber alles andere als Jubel.

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Nach der historischen Einigung auf einen Brexit-Handelspakt läuft die Analyse des Vertragswerks auf Hochtouren. Vor allem die Wirtschaft wird ganz genau hingucken. Reaktionen aus Politik und Wirtschaft im Überblick:

Von einem „Seufzer der Erleichterung“ sprach die deutsch-britische Industrie- und Handelskammer (AHK) in London. Sorgen bereitet aber die sehr kurze Zeit, um sich durch das dicke Dokument zu wühlen. Kanzlerin Angela Merkel hatte das Abkommen bereits als historisch gewürdigt. AHK-Chef Ulrich Hoppe mahnte, die Wirtschaft müsse sich trotz des Deals auf „tiefgreifende Veränderungen“ einstellen. „Ab dem ersten Tag nach der Brexit-Übergangsphase wird der Handel mit Gütern und Dienstleistungen teurer werden und in einigen Fällen deswegen unter Umständen sogar zum Erliegen kommen“, sagte Hoppe.

Der Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands BDI, Joachim Lang, betonte: „Das Abkommen ist besser als kein Abkommen.“ Allerdings bedeute der Pakt für die meisten Unternehmen dennoch zusätzliche Bürokratie und unnötige Grenzformalitäten.

„Viele Unternehmen werden gegen Regularien verstoßen, weil sie mit der neuen Regelflut noch nicht vertraut sind“, sagte York-Alexander von Massenbach von der britischen Handelskammer in Deutschland der Deutschen Presse-Agentur. „Der Deal kommt für Unternehmen ausgesprochen spät. Sich in wenigen Tagen durch 2000 Seiten Text zu arbeiten und zu identifizieren, welche Konsequenzen drohen, ist schwer zu leisten“, sagte er.

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EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen nannte das Abkommen fair und ausgewogen. „Und es war ein Gebot der Vernunft für beide Seiten“, fügte von der Leyen hinzu. Die EU habe sich in einer sehr guten Verhandlungsposition befunden und ihre Interessen voll gewahrt. Nun könne die Gemeinschaft den Brexit endlich hinter sich lassen.

EU-Chefunterhändler Michel Barnier informierte am Freitag die Botschafter der 27 EU-Staaten über das Ergebnis der monatelangen und zähen Verhandlungen. Die EU-Mitgliedstaaten würden die 1246 Seiten nun prüfen und „diese gewaltige Aufgabe in den kommenden Tagen fortsetzen“, schrieb ein Sprecher der deutschen EU-Ratspräsidentschaft am Freitag auf Twitter. Weil Deutschland derzeit turnusgemäß den Vorsitz der EU-Staaten innehat, hatte es kurzfristig eine Botschaftersitzung angesetzt.

„Ich glaube, das ist ein guter Deal für ganz Europa“, sagte Großbritanniens Premierminister Boris Johnson. „Wir werden euer Freund sein, euer Partner, euer Unterstützer, und nicht zu vergessen, euer Nummer-Eins-Markt.“ Aus Sicht seiner Regierung ist mit dem Abkommen alles erreicht, was die britische Öffentlichkeit mit dem Brexit-Referendum von 2016 wollte. „Wir haben wieder Kontrolle über unser Geld, unsere Grenzen, unsere Gesetze, unseren Handel und unsere Fischgründe zurückgewonnen“, erklärte die Regierung.

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„Mit dem Abkommen schaffen wir die Grundlage für ein neues Kapitel in unseren Beziehungen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Bundesregierung werde den Abkommenstext „intensiv prüfen“, kündigte Merkel an. Am 28. Dezember werde das Kabinett dazu in einer Schaltkonferenz beraten. „Danach wird der Rat das Abkommen und seine vorläufige Anwendung beschließen. Abschließend in Kraft treten kann das Abkommen erst, wenn auch das Europäische Parlament zugestimmt hat.“ Die EU-Kommission habe die Mitgliedstaaten über den gesamten Verhandlungsprozess hinweg eng eingebunden. „Wir werden daher rasch beurteilen können, ob Deutschland das heutige Verhandlungsergebnis unterstützen kann. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir hier ein gutes Resultat vorliegen haben.“

„Die europäische Einheit und Standfestigkeit haben sich ausgezahlt“, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Die Vereinbarung mit Großbritannien sei der Schlüssel, um die französischen Bürger, Fischer und Produzenten zu schützen, schrieb er auf Twitter. „Frankreich wird sicherstellen, dass dies auch geschehen wird.“

Der irische Ministerpräsident Micheal Martin begrüßte die Einigung. Das Abkommen sei ein guter Kompromiss und stelle ein ausgewobenes Ergebnis dar. Die Vereinbarung sei die am wenigsten schlechte Version des Brexit, die möglich sei.

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Selbst der Chef der Brexit-Partei, Nigel Farage, der bislang mit Argusaugen auf den aus seiner Sicht korrekten Vollzug des EU-Austritts geachtet hatte, gab dem Abkommen seinen Segen: Es sei zwar nicht perfekt, „aber im Großen und Ganzen ist der Krieg vorbei“.

„Eingedenk der Tatsache, dass vier Fünftel der britischen Lebensmittelimporte aus der EU stammen, wird die heutige Ankündigung den Verbrauchern in ganz Großbritannien einen kollektiven Seufzer der Erleichterung entlocken“, sagte die Chefin des britischen Handelsverbandes BRC, Helen Dickinson.

Der britische Verband der Lebensmittel- und Getränkehersteller FDF warnte vor zu schnellem Jubel. „Wir werden mit den Feierlichkeiten warten, bis wir die Details geprüft haben“, sagte FDF-Chef Ian Wright. Er kritisierte, der Branche blieben nur noch vier Arbeitstage, um sich auf neue Regeln einzustellen.

Der deutsche EU-Abgeordnete und Brexit-Beauftragte des EU-Parlaments, David McAllister äußerte sich im Gespräch mit der „Welt“ (Online) optimistisch mit Blick auf die noch erwartete Ratifizierung des Deals im EU-Parlament. „Wir sind in der politischen Verantwortung, einen ungeregelten Übergang zu vermeiden und die negativen Folgen für die Bürger und Unternehmen so gering wie möglich zu halten“, sagte der CDU-Politiker. Nach seinen Worten kann das Abkommen zunächst auch ohne Zustimmung des Parlaments gelten. Dies dürfe aber „kein Präzendenzfall für künftige Handelsabkommen sein“.

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„Durch den Brexit-Deal kann man den Absturz abbremsen, aber nach einer kurzen Erholung nach Corona wird England mit einem weiteren schleichenden Abbau seiner Autoindustrie rechnen müssen“, sagte der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer.

„Ich bin sehr erleichtert über diese Einigung in letzter Minute“, kommentierte Gabriel Felbermayr, Präsident Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel), das Ergebnis.

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