
Wer Wolfgang Schäuble in diesen wilden Zeiten auf eben jene wilden Zeiten anspricht, der bekommt in aller Regel ein müdes Lächeln. Dann folgt eine Erklärung, dass er mit mehreren Jahrzehnten Politikerfahrung durchaus schon unruhigere Zeiten erlebt habe. Und so antwortet der deutsche Finanzminister und CDU-Politiker auch beim Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums in Davos auf die Frage, ob ihn US-Präsident Donald Trump oder der harte Brexit-Kurs der Briten nicht verunsicherten: „Es wird nichts so heiß gegessen wie gekocht.“ Nun mag Schäubles Erfahrung im internationalen Betrieb einmalig sein. Seine Einschätzung zur Lage in der Welt ist es zumindest in diesen Davos-Tagen auch. Eine diffuse Mischung aus Unsicherheit und Selbstzweifeln hat die Mehrheit jener beschlichen, die sich früher einmal als Elite aus Wirtschaft und Politik empfanden.
Die Wahlversprechen Donald Trumps
- Schaffung von 25 Millionen Jobs in der ersten Amtszeit
- Bau einer Mauer auf der kompletten Grenze zu Mexiko, für die Mexiko bezahlt
- Abschiebung von zwei Millionen illegalen Immigranten
- „Extreme Überprüfung“ aller Einreisenden
- Einstellung von Visa an Angehörige von Staaten, die „kriminelle illegale Einwanderer“ nicht „zurücknehmen“
- Verschärfung der Visa-Regeln
- Die Gesundheitsversicherung Obamacare soll abgeschafft und ersetzt werden
- Das Handelsabkommen Nafta soll neu verhandelt werden
- Rückzug aus dem transpazifischen Handelsabkommen TPP
- Auswahl eines Richters von einer Vorschlagsliste mit 20 Namen
- Für jede neue Regulierung sollen zwei alte abgeschafft werden
- Reduzierung der Steuerklassen von sieben auf drei
- Runterfahren der Unternehmenssteuern von 35 auf 15 Prozent
- Aufhebung der „Begrenzungen“ für Jobs in der Energiebranche
- Wiederbelebung gestoppter Energie-Infrastrukturprojekte wie der Keystone-Pipeline
- Einstellung der Zahlungen an UN-Klimaprogramme
- Strafzölle für Unternehmen, die Arbeitsplätze ins Ausland verlegen
- Ausweitung des Militäretats
- Die US-Wirtschaft soll um vier Prozent wachsen
Auf den Podien, in den öffentlichen Äußerungen, da klingt vieles noch nach Deeskalation. Aber sobald die Mikrofone aus sind und sich die Davos-Besucher in die ruhigeren Ecken zurückziehen, wechselt der Ton. Dann ist davon die Rede, dass selten mehr Unsicherheit in der Welt war. Dass man seine Strategien ja getrost entsorgen könne, schließlich komme eh alles anderes Ja, dass der Westen, wie wir ihn in den vergangenen zwei Jahrzehnten kannten, wohl vorbei sei – und mit ihm der uneingeschränkte Glaube der Mehrheit von Wirtschafts- und Politikführern an die segensreichen Kräfte der Märkte, die heilbringenden Folgen von Globalisierung, das segensreiche Wirken der Digitalisierung. Diese Weltwirtschaft, das wird dann klar, steht vor fünf großen Baustellen – und weder Bauherr noch Bauplan sind bekannt.
1. Regierungen bestimmen stärker das Geschehen
´Dass ausgerechnet eine britische Regierungschefin den Ober-Globalisierern in Davos einmal den Wert eines starken Staates erklären würde, galt lange als ausgeschlossen. Aber genau das macht Theresa May, als sie am Donnerstagmorgen den derzeit eher briten- weil brexitskeptischen Davosern ihre Austrittsstrategie aus Europa schmackhaft machen will. „Es braucht“, sagt May da „eine starke, aktive Regierung.“ Wer den internationalen Kräften freier Märkte alles überlasse, sorge nur dafür, dass ein Großteil der Menschen abgehängt werde. Großer Protest dagegen regte sich nicht. Zu verunsichert ist der durchschnittliche in Davos anwesende Manager oder Ökonom darüber, ob sein Tun der vergangenen Jahre nicht wohl doch zum einmaligen internationalen Aufstieg so genannter Populisten und den Zweifeln an der Globalisierung beigetragen hat.
Da kann Österreichs Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) vor Ort noch so lästern, schon Mays Antrittsrede habe eher das Niveau eines „Gewerkschaftschefs in Österreich“ gehabt als das einer Nachfolgerin Margaret Thatchers: May setzt damit einen Ton, den so oder so ähnlich auch der ein oder andere Ökonom anspielt. Nobelpreisträger Joseph Stiglitz etwa mahnt, die Staaten müssten das Heft des Handelns wieder in die Hand nehmen, sonst drohe sich der Populismus „wie eine Seuche“ in den Industrieländern auszubreiten. Zu groß seien die Verwerfungen, die zu wenig regulierte Märkte verursacht hätten. „Die wachsende Ungleichheit in allen westlichen Ländern zum Beispiel. Die verheerende Wirkung der Euro-Politik. Oder der fehlende politische Wille, die Digitalisierung zu gestalten. Da hat der Kapitalismus bisher versagt“, sagt Stiglitz.