Corona-Warn-App Woran scheitert die Corona-Warn-App, Herr Kelber?

Ulrich Kelber ist seit Januar 2019 Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Quelle: Pressestelle des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit

Warum der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber sein Bewegungsprofil per Handy aufzeichnet, schnellere Warnungen bei Corona-Infektionen fordert und die Cluster-Erkennung per App für machbar hält.

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WirtschaftsWoche: Herr Kelber, mit rund 23 Millionen Downloads hat die deutsche Corona-Warn-App so viele Nutzer wie sonst keine in Europa. Sind Sie zufrieden?
Ulrich Kelber: Das ist sicher ein Erfolg. Aber wir sind noch nicht da, wo wir sein könnten, damit das Programm seinen Nutzen voll entfalten kann.

Eine Umfrage für die WirtschaftsWoche ergab kürzlich, dass sich viele Menschen mehr Informationen wünschen. Sogar jeder fünfte Nichtnutzer würde demnach die App installieren, wenn er oder sie mehr über die Risikobegegnungen erfahren würde. Aber das Programm erfasst genau diese Daten nicht. Blockiert der Datenschutz die Eindämmung der Pandemie?
Nein. Es ist doch so, dass bisher nur etwa 60 Prozent der Nutzer bei einem positiven Test ihre Kontakte über die App warnen. Da ist es für die Pandemiebekämpfung schon einmal viel wichtiger, diese Quote und insgesamt die Nutzung zu erhöhen, als darüber zu diskutieren, ob die App bei einer Warnung zusätzliche Informationen zu den Risikobegegnungen anzeigt.

Tatsächlich wären die Befragten auch selbst bereit, Zeit, Ort oder Dauer von Begegnungen zu teilen, wenn sie umgekehrt diese Daten nach Risikokontakten angezeigt bekämen.
Das individuelle Interesse kann ich verstehen. Aber seien wir ehrlich: Wenn es darum geht, die Verbreitung des Covid-19-Virus zu bremsen, dann bringt mir die Info, wann ich wen wo getroffen habe, wenig, wenn man kein Epidemiologe ist. Und diese Information ist in der App nicht vorhanden, weil die App sie gar nicht aus dem Betriebssystem des Handys auslesen kann. 

Wieso nicht?
Die Schnittstellen von Apple und Google, mit denen die App Kontakte erfasst, unterbinden den Zugriff auf Standortdaten. Wenn man das unbedingt haben wollte, müsste die komplette App neu und anders entwickelt werden – so wie Frankreich das gemacht hat. Aber erstens würde uns das wieder Monate kosten, bis die neue App fertig wäre. Und zweitens ginge das mit einer ganzen Reihe anderer Probleme einher – vom Energieverbrauch der Handys bis zur Bedienbarkeit der App. Und die Akzeptanz in Frankreich ist mit 4,5 Millionen Downloads viel niedriger als bei uns.

Woran liegt es dann, dass die Downloadzahlen in Deutschland nur noch langsam steigen?
Ich fürchte, es liegt auch an der derzeit wieder besonders lautstarken Diskussion um den Datenschutz der App, die viele Menschen verunsichert.

Was meinen Sie?
Da fordert mancher mit Verweis auf angeblich bestehende Funktionslücken, die „Heilige Kuh Datenschutz“ zu schlachten. Dass das gerade skeptische Menschen eher noch abschreckt, die App zu installieren, liegt doch auf der Hand, müssen sie doch fürchten, dass am Ende eben doch mehr ihrer Daten gespeichert werden. Dabei gäbe es ja eine ganze Reihe sehr sinnvoller Funktionen, um die man die Warn-App erweitern könnte – ganz ohne irgendwelche Datenschutzprobleme.

Welche denn?
Etwa ein persönliches Kontakttagebuch, das jeder selbst pflegen kann und dessen Daten vertraulich auf dem Telefon gespeichert werden. Das ließe sich sofort umsetzen. Und es wird ja wohl in einer der nächsten Versionen der App auch kommen. Nicht einmal die freiwillige Herausgabe solcher Kontaktdaten ans Gesundheitsamt nach einer positiven Testung und deren Nutzung dort wäre ein Problem, denn das ist durch das Infektionsschutzgesetz gestattet. Die App könnte auch zusätzlich anzeigen, wie hoch die Infiziertenzahl oder der R-Wert in der Region ist, in der ich unterwegs bin, oder ob ich mich gerade auf einer Straße bewege, auf der Maskenpflicht herrscht.

Hatten Sie nicht gerade gesagt, dass die App Ortsinformationen gar nicht verarbeiten kann?
Sie kann den Empfang von Bluetooth-Signalen nicht mit Ortsangaben verbinden. Das wird durch die Corona-Schnittstelle von Apple und Google unterbunden. Aber das heißt nicht, dass sie nicht unabhängig davon abfragen könnte, wo ich unterwegs bin, wenn ich darin einwillige. Solch eine Funktion nutze ich derzeit beispielsweise auch selbst – neben der Warn-App. Da sehe ich kein rechtliches Problem, solange diese Daten nur auf meinem Handy gespeichert und nicht automatisch geteilt werden. Versäumnisse bei der Digitalisierung behindern den Erfolg der App viel mehr als der Datenschutz.

Wo zum Beispiel?
Also wenn ich mir anschaue, dass noch immer nicht alle Labore die Testergebnisse direkt in die App übermitteln, das ist doch widersinnig. Wichtigstes Ziel der App ist, Infektionswarnungen in möglichst kurzer Zeit weiterzugeben – und dann dauert es im Zweifel Tage bis die Info einer positiven Testung einen Menschen auf dem Postweg oder per Telefon erreicht? Das muss einfach viel schneller und durchgängig digital werden. Die Warn-App scheitert eher an fehlender Digitalisierung als an zu strengem Datenschutz.



Ein Problem sind größere Menschengruppen, etwa in der Bahn oder bei Familienfeiern. Bei diesen sogenannten Clustern wünschen sich Epidemiologen eine Erfassung der Anwesenden durch die App, um Infektionsketten besser nachvollziehen zu können. Ließe der Datenschutz das zu?
Das ist tatsächlich ein Punkt, den wir uns noch mal genauer ansehen müssen: Weil er epidemiologisch und datenschutzrechtlich relevant ist. Aber auch das sehe ich nicht als unüberwindliches Hindernis. Ich bin überzeugt: Cluster-Erfassung funktioniert auch ohne den Datenschutz zu schleifen. Es gibt schon eine ganze Reihe Vorschläge, die ich grundsätzlich für gangbar halte.

Nämlich?
Den technischen Weg gebe nicht ich vor. Ich prüfe nur, ob er mit dem Datenschutz vereinbar ist. Aber es gibt sowohl Vorschläge zu einer automatischen Clustererkennung, zum Beispiel von der Digital-Initiative D64 als auch manueller Clustererkennung und digitalem Einchecken per QR-Code oder mit einem Bluetooth-Sender.


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Wofür wäre das gut?
Sobald jemand sich an einem Ort aufhält, merkt sich das die App durch die aufgefangene Kennung. Falls der Besucher sich dann später als infiziert herausstellt und eine Warnung verschickt, geht die nicht bloß an alle einzeln erkannten Kontaktpersonen, sondern auch an die Leute, die im fraglichen Zeitraum an dem Ort waren und die gleiche Kennung aufgegangen haben. Auch damit ließe sich eine Warnung deutlich schneller verbreiten. 

Arbeitet schon irgendwer an solchen Lösungen und hat bei Ihnen vorgefühlt, wie sich das mit dem Datenschutz verträgt?
Bisher lese ich weitgehend von solchen Ideen. Mit dem Bundesgesundheitsministerium sind wir jetzt allerdings zu einem Gespräch eingeladen, wo wir das dann sicherlich mit dem Robert-Koch-Institut als Betreiber der Warn-App besprechen werden.

Mehr zum Thema: Aus Angst vor dem Virus laden sich immer mehr Menschen die Corona-Warn-App herunter – und sind genervt von den unzureichenden Informationen.

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