Lawrence Leuschner: Der Tier-Gründer rettet jetzt indigene Völker im Regenwald

Lawrence Leuschner hat mit neun Jahren das erste Mal auf dem Flohmarkt gebrauchte Elektronik gekauft, später wurde daraus das erfolgreiche Unternehmen Rebuy.
Lawrence Leuschner lebt seine Produkte. Für sein zweites Start-up Tier ist er nicht nur aus PR-Zwecken auf den E-Roller gestiegen, in Berlin hat man den großgewachsenen Seriengründer des Öfteren auch fernab von Publikum auf einem Tier-Scooter entdecken können. Gerade hat der Berliner seine dritte Firma gestartet, noch vor seinem 42. Geburtstag. Nach zwei Start-ups, die einen umweltfreundlichen Grundansatz hatten, folgt nun ein Projekt, das tatsächlich die Natur retten soll.
Sein erstes Unternehmen Rebuy, ein Onlinemarktplatz für gebrauchte Elektrogeräte, baute Leuschner 2004 auf. Während der Schulzeit und des Studiums verkaufte Leuschner bereits Produkte bei Ebay, aus seinem Zuverdienst machte er mit Freunden ein Geschäftsmodell. Mehr als 13 Jahre später verabschiedete sich Leuschner von seinem Unternehmen. Bis heute hält er aber einen minimalen Anteil an Rebuy.
Es folgte ein eineinhalbjähriges Sabbatical, in dem der Berliner Gründer eine Weltreise unternahm. Dabei seien ihm die unterschiedlichen Auswirkungen des Klimawandels bewusst geworden, vor allem in Bezug auf Transportmittel und Landwirtschaft, erzählte Leuschner gern in Interviews. Die Idee für Tier war geboren, dem ersten deutschen Anbieter für E-Scooter-Sharing. Das war 2018, die Geräte in Deutschland noch nicht einmal zugelassen.
Nach fünf Jahren war Schluss
Leuschner ist auf einen Trend gesprungen, der in den USA zu dem Zeitpunkt schon zwei Unicorns hervorgebracht hatte, also Start-ups mit einer Milliardenbewertung. 2019 bekamen E-Scooter eine Straßenzulassung in Deutschland, der Wettstreit zwischen lokalen und internationalen Anbietern entflammte. Investoren pumpten massig Geld in das Geschäftsmodell, E-Scooter waren der neue Hype.
Kritiker beschwerten sich indes über volle Gehwege und Straßen. Die Roller wurden häufig wahllos abgestellt und waren immer wieder Opfer von Vandalismus. Schließlich kam die Flaute, der Markt konsolidierte sich nach und nach. Einige Anbieter gingen insolvent, E-Scooter wurden entsorgt. Übrig blieben Elektroschrott und nur noch wenige Marken. Leuschners Start-up Tier, einst mit Milliarden bewertet, ging schließlich auch einen Kompromiss ein.
Das Unternehmen schloss sich Anfang 2024 mit dem niederländischen Rivalen Dott zusammen. Leuschner betont, Tier habe Dott gekauft. Er und Dott-CEO Henri Moissinac hätten sich geeinigt, dass Moissinac das Ruder übernehme. Leuschner stieg daraufhin aus, mittlerweile ist auch seine Marke von den Straßen verschwunden. Nach fünf Jahren war damit auch sein Kapitel Tier vorbei.
Gewinne bleiben in Stiftung
Sollte der Berliner Gründer jemals seine Tier-Anteile verkaufen, würden die Gewinne in einer Stiftung landen. Das versprach Leuschner 2020 mit seinem Fonds Blue Impact Ventures. Bislang ist das aber nur in geringem Umfang geschehen. Nach seinem Austritt behielt der Gründer Anteile an dem fusionierten Unternehmen. Leuschner habe in der Vergangenheit jedoch zweimal einen geringen Part seiner Aktien versilbern lassen und das Investmentvehikel damit gefüllt, erzählt er. Die erzielten Gewinne seiner Investments, etwa durch den Planetly-Exit, verbleiben aber im Topf, so die Regel. Privat darf Leuschner nichts von dem Fonds abrufen.
Nach seinem Ausstieg bei Tier zog es den Berliner Gründer wieder in die Ferne. Acht Monate verbrachte er mit seiner Familie in Costa Rica, lebte eigenen Aussagen zufolge für einige Wochen in einem Naturreservat. „Mir war nicht bewusst, was alles von der Biodiversität und der Natur abhängt“, sagt Leuschner rückblickend über seine Reise. „Wir bauen Produkte, die abhängig sind von der Natur, aber die Natur ist nicht unendlich.“ Auf diesem Gedanken baut sein nächstes Projekt auf, das er im September vorgestellt hat: Capacity.
Mit dem Projekt Capacity hat er sich erneut vorgenommen, den Klimawandel einzudämmen. Diesmal geht es aber nicht um elektrische Fortbewegungsmittel, Leuschner setzt zunächst auf ein Kommunikationssystem, das indigene Völker im Amazonas vor Eindringlingen warnen soll. Capacity ist eine Non-Profit-Organisation, die sich für die Artenvielfalt einsetzt. Erstes Vorhaben: der Regenwald.

Raoni Metuktire, 92, ist Häuptling des Amazonas-Volkes Kayapo. Er setzt sich für den Erhalt des Regenwalds und indigener Stämme ein.
„Ich wollte kein kapitalgetriebenes Start-up gründen“, erklärt Leuschner. Mit Capacity verdiene er kein Geld, seine Arbeit leiste er pro bono. In der Vergangenheit habe er genügend verdient, um davon leben zu können. Capacity sei daher nun seine „absolute Hauptaufgabe“, sagt der Berliner. „Ich möchte das die nächsten zehn Jahre machen.“ Die Angestellten und Technologien werden künftig über Spenden bezahlt – so der Plan. Fürs Erste will er befreundete Unternehmer und Investoren um Zuwendungen bitten.
Wie Capacity funktioniert
Capacity lebt vom Netzwerk. Der Gründer möchte Start-ups, NGOs, Politiker, Wissenschaftler und Wagniskapitalgeber zusammenbringen, die in dem Bereich tätig sind. Szenepersönlichkeiten wie die Outfittery-Gründerin Anna Alex sind Teil dieser Bewegung, aber auch der 92-jährige Raoni Metuktire, Häuptling eines Amazonas-Volkes. „Wir helfen uns alle gegenseitig“, erklärt er die Intention dahinter. Investoren finden Geschäftsmodelle, Start-ups finden Kunden, Organisationen finden Gehör.
Der Hauptgedanke von Capacity ist es aber, die Natur mit diversen Projekten zu retten – „Moonshot Missions“ nennt Leuschner diese. Ein Begriff, den Google in der Tech-Szene eingeführt hat: Die hauseigene Forschungsabteilung X arbeitet stets an neuen „Moonshots“, also bahnbrechenden Innovationen. Für Capacity bedeutet das zunächst das Kommunikationssystem.
Erster Kunde ist wohl das Xingu-Reservat in Brasilien, in etwa so groß wie England, aber nur von wenigen Tausend Leuten bewohnt. Gibt es Buschfeuer oder Kriminelle, die beispielsweise Wälder roden, bekommen die Völker aufgrund der geringen Bevölkerungsdichte selten etwas davon mit. Capacity will daher Satelliten einsetzen, die die Gegend bewachen und Signale an ein Zentralsystem senden, sollte es verdächtige Bewegungen geben. Eingesetzte Drohnen lokalisieren dann den Krisenfall, darauf aufbauend entscheiden die Völker, ob sie selbst Personen hinschicken oder die zuständigen Regionalbehörden informiert werden sollen.
„Wir bauen die Lösung selbst“, erklärt Leuschner. Daher sei der Beginn noch nicht absehbar. In einem halben Jahr soll ein Pilottest starten. Mehr als 4000 indigene Völker leben im Amazonas-Regenwald, sie sollen künftig ebenfalls von der Technologie profitieren. Langfristig will Capacity dann eine zweite „Moonshot Mission“ starten. Wie die aussehen könnte, ist bislang noch vage.
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