Famotidin Wie ein Mittel gegen Sodbrennen wegen Corona zum Bestseller wird

Medikamente gegen Sodbrennen erfreuen sich ungeahnter Beliebtheit. Foto: Susann Prautsch/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ Quelle: dpa

Das Sodbrennen-Mittel Famotidin könnte die Symptome von Covid-19 minimieren. In den USA ist es vergriffen seit Präsident Trump es bekam. Jetzt verzeichnet auch der deutsche Hersteller Stada erhöhte Nachfrage.

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„Wir verzeichnen durchaus eine erhöhte Nachfrage“, heißt es vom deutschen Arzneimittel-Hersteller Stada knapp. „Famotidin Stada 40 mg wird spätestens Ende kommender Woche wieder lieferbar sein.“ Man arbeite mit Hochdruck an der Lieferfähigkeit. Das weniger konzentrierte Präparat mit 20 Milligramm des Wirkstoffs sei aber weiterhin zu haben. 

Dabei ist in Deutschland die Diagnose „Pandemie-Magen“ weitgehend unbekannt. Hausärzte berichten weder von vermehrten Klagen über Sodbrennen noch von Patienten, die gezielt nach Rezepten für Famotidin verlangen. In den USA jedoch ist das ganz anders. Medikamente gegen Sodbrennen, dort weitgehend rezeptfrei erhältlich, sind im gesamten Land vergriffen. Denn hier hat sich herumgesprochen, dass Famotidin die Heftigkeit der Covid-Symptome lindern könnte. Amerikaner horten die Präparate jetzt für alle Fälle.

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von Karin Finkenzeller

Die Supermarktkette Wegmans Food Markets limitiert die Abgabe auf zwei Pakete Famotidin pro Einkauf. Preise für die Präparate beim Online-Händler Amazon schnellen um das Dreifache in die Höhe. Die New York Times zitiert die Magenspezialistin Lauren Bleich aus der Nähe von Boston, dass 25 Prozent mehr Patienten über Sodbrennen klagen: „Ich denke, dass gehört zum Stress über alles, was in der Welt vor sich geht.“ Dazu komme Gewichtszunahme als Auslöser von Sodbrennen, weil Menschen sich während der Pandemie mit Alkohol und Comfort Food weniger zurückhielten.

Die Klage über Sodbrennen kann aber auch nur vorgeschoben sein. Die rasant gestiegene Nachfrage nach Famotidin kann nämlich auch viel direkter mit dem wohl berühmtesten Corona-Patienten zusammenhängen: Donald Trump erhalte Famotidin, Zink und Vitamin D, hieß es im Oktober aus dem Weißen Haus, als der US-Präsident am Coronavirus erkrankte. 

Überlebende litten an Sodbrennen

Die Idee, dass der H2-Blocker gegen das Coronavirus helfen könnte, geht auf den amerikanischen Arzt Michael Callahan zurück, der Anfang des Jahres in Wuhan 6000 Patientenakten auswertete. Ihm fiel auf, dass viele sehr alte Corona-Überlebende an chronischem Sodbrennen litten und Famotidin eingenommen hatten. Bei dieser Patientengruppe war die Sterberate nur halb so hoch wie bei Patienten, die kein Famotidin eingenommen hatten. Allerdings hatte diese Beobachtung keinerlei statistische Relevanz.  

Eine spätere Studie von Timothy Wang, dem Leiter der Gastroenterologie am Columbia Medical Center, identifizierte zehn Patienten, die sich in Eigenregie hohe Dosen von Famotidin verabreicht hatten und eine deutliche spürbare Verbesserung der Symptome verzeichneten – sie nahmen dreimal täglich 80 Milligramm. Eine Studie des Hartford Hospitals in Connecticut kam im Herbst zu einem ähnlichen Ergebnis. 

Die gängige Theorie lautete, dass der H2-Blocker virale Proteasen bindet und das Virus so unschädlich macht. Doch eine vor wenigen Wochen von der Uniklinik Ulm  veröffentlichte Studie machte dieser Erklärung einen Strich durch die Rechnung. Die Doktorandin Jana Krüger untersuchte an einer mit SARS-CoV-2 infizierten Zellkultur aus Magen-Darm-Zellen, wie diese auf Famotidin reagiert. „Es zeigte keinerlei inhibitorische Wirkung“, sagt Krüger. Diskontieren möchte sie den Wirkstoff gegen Corona dennoch nicht komplett: „Dass unser Modell keinen antiviralen Effekt zeigte, bedeutet nicht, dass Famotidin nicht auf eine andere Weise wirkt. Ich zumindest kann verstehen, dass Leute es prophylaktisch einnehmen wollen – gerade, weil es so ein bekanntes, erprobtes Medikament ist.“

Keine Evidenz für eine Empfehlung

Auch Heiner Wedemeyer, Professor der Uniklinik Hannover, hält es „für nachvollziehbar, dass die Substanz einen Effekt haben könnte“. Der Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologen hält es für möglich, dass Famotidin ähnlich wie Hydrocortison dabei hilft, die Beschwerden bei einer Covid19-Erkrankung zu dämpfen. Das sind zum einen eine übertrieben starke Immunantwort und zum anderen die Bildung Blutgerinnseln und Mini-Trombosen. Dennoch empfiehlt Wedemeyer Famoditin nicht zur Prophylaxe: „Es gibt keine Evidenz für eine Empfehlung.“ Ein ganz kategorisches Nein spricht er allerdings auch nicht aus: „Einem Allergiker, der das Präparat ohnehin schon einnimmt, würde ich allerdings auch nicht davon abraten, es gegen Covid-19 zu verwenden.“

In seiner Praxis sind Wedemeyer keine vermehrt auftretenden Fälle von Sodbrennen aufgefallen, die auf Hamsterkäufe des Präparats hindeuten lassen. Auch eine Umfrage unter Mitgliedern des Hausärzteverbands, wenn auch nicht repräsentativ, brachte keinerlei Auffälligkeiten zutage. Das könnte auch daran liegen, dass wirtschaftliche Konsequenzen der Pandemie dank des sozialen Sicherheitsnetzes und der umfangreichen Staatshilfen in Deutschland besser abgefedert sind.


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Die momentane Knappheit in Deutschland kann auch damit zusammenhängen, dass ein alternatives Medikament gegen Sodbrennen, Ranitidin, wegen Verunreinigung mit krebserregenden Stoffen vom Markt genommen wurde. Entsprechend sattelten viele Sodbrennen-Patienten gezwungenermaßen auf Famotidin um – völlig ohne Zusammenhang mit der Pandemie. Die mögliche Wirksamkeit gegen Covid hat sich in Deutschland wohl noch nicht breit herumgesprochen.

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