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Nachgerechnet: Wann Elektroautos sauberer sind als Verbrenner

Wie klimafreundlich sind eigentlich Elektroautos? „Schlechter als ein moderner Diesel“, meinen viele Kritiker. Wir gehen der Sache auf den Grund.

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Neu ist der Streit nicht. Doch seit die Bundesregierung im November ihre Pläne zur Förderung der Elektromobilität publik gemacht hat, geht es richtig rund: Die staatliche Kaufprämie für Elektroautos unter 40.000 Euro soll um 50 Prozent auf 6000 Euro steigen, und bis 2030 sollen eine Million neue Ladepunkte stehen. Eine Milliarde Euro will die GroKo sich das alles kosten lassen. Während Corona wurde diese Förderung noch einmal erhöht: auf nun 9000 Euro.

Der Stammtisch schäumt – und nicht nur der: Fast täglich erscheinen Artikel, fast wöchentlich neue Studien. Sie rechnen vor, dass das Elektroauto gar nicht dem Klima nutzt, ihm sogar schadet, es Ausbeutung und Umweltschäden in der dritten Welt fördert ­ und noch einige Unbill mehr. Bis hin zum Blackout im Stromnetz und dem Verlust hunderttausender Arbeitsplätze.

Die Diskussion ist ein besonders prägnantes Beispiel für all die widersprüchlichen Fakten und Mythen rund ums Thema Elektroauto, die überall kursieren und dieser Kolumne genaue Betrachtung finden sollen.

Die vielleicht wichtigste Frage zuerst: sind Elektroautos überhaupt klimafreundlicher als Diesel und Benziner? Die Kritiker haben ganz recht: Diese Grundsatzfrage muss geklärt werden, ehe der der Staat Steuergelder investiert, ehe sich Konzerne wie VW und große Zulieferer komplett neu aufstellen. Und nicht zuletzt AutokäuferInnen und -fahrer möchten wissen, ob sie „nur“ lokal emissionsfrei unterwegs sind, wenn sie sich ein teures Elektroauto kaufen, und womöglich dem Klima gar nichts Gutes tun.

„Tun sie nicht!“, behaupten zahlreiche Autoren und eine ganze Riege prominenter, meinungsfroher Talkshow-Dauergäste: Der Philosoph Richard Precht etwa hat bei Markus Lanz bereits zwei Mal zu einem veritablen Rant gegen das E-Auto angesetzt. Auch Hans-Werner Sinn, bekannter Ökonom, und Harald Lesch, TV-Astronom, lassen kaum ein gutes Haar am E-Mobil. Die TV-Clowns Mario Barth, Monika Gruber und Dieter Nuhr haben Polemik gegen E-Autofahrer als Garant für Schenkelklopfer entdeckt. Wer sich noch ab und zu abends ins lineare TV verirrt, muss sich fragen, ob die Politiker in Berlin und die Topmanager fast aller Autokonzerne kollektiv irre geworden sind. „Wieso wollen die Elektro? Das ist doch das Dümmste, was man machen kann“, bringt der Pächter meiner Tankstelle Volkes Meinung auf den Punkt.

Aus seiner Sicht schon. Doch die Fachwelt ist anderer Meinung. Spricht man nicht mit Ökonomen, Philosophen oder TV-Blödelbarden, sondern mit den tatsächlichen Experten, etwa mit den Umweltphysikern, Kfz-Entwicklern, oder Expertinnen für komplexe CO2-Bilanzen industriell hergestellter Güter, die nach den gängigen wissenschaftlichen Qualitätskriterien zum Thema publizieren, ist das Lager der Befürworter deutlich größer als das der Gegner. Wer also hat recht?

Skeptische Deutsche

Sie könnten es erraten: Gehen Sie mit chronischen Zahnschmerzen zum Friseur, oder zum Zahnarzt? Einen seiner prominentesten Befürworter hat das E-Auto 2018 leider verloren: der kürzlich verstorbene Stephen Hawking schrieb noch in seinem Abschiedsbuch, er habe zwei Wünsche für die Menschheit: einen großen – dass die Kernfusion endlich gelinge und damit unbegrenzt saubere, CO2-neutrale Energie zur Verfügung stehe – und dass sich das Elektroauto durchsetze. In Deutschland hat es dafür noch einen weiten Weg, denn die Kritik der Gegner wirkt: Mit 43 Prozent kann sich nur noch eine Minderheit vorstellen, ein Elektroauto zu fahren – in den 19 anderen großen Industrieländern sind es im Schnitt 61 Prozent; noch 2017 war es auch in Deutschland eine knappe Mehrheit.

Will man die Klimabilanz eines E-Autos umfassend errechnen und mit der eines herkömmlichen Autos vergleichen, muss man den Betrieb, die Herstellung des Autos inklusive aller Zulieferteile, Produktion und Transport des Kraftstoffes berücksichtigen. Kein Wunder, dass entsprechende, seriöse Studien oft hunderte von Seiten zählen und sich eher schlecht für knackige Aussagen in Talkshows oder Zeitungskommentaren eignen.

Das E-Auto ist nicht perfekt – aber klimaschonender als der Diesel

Fangen wir mit dem Einfachsten an: Der (indirekte) CO2-Ausstoß eines Elektroautos beim Betrieb lässt sich mit den einfachen Grundrechenarten bestimmen und mit dem eines Diesels oder Benziners vergleichen. Alles, was man dazu braucht, sind realistische Verbrauchsdaten und die Zahlen zur CO2-Emission von Diesel, Benzin und der Produktion des deutschen Durchschnittstroms, auch Strommix oder „Graustrom“ genannt. Beides ist öffentlich zugänglich. [1, 2, 3, 4]

Ein Elektroauto kann zwischen 10 und über 35 Kilowattstunden (kWh) Strom je 100 Kilometer verbrauchen. Wie viel genau, hängt von vielen Faktoren ab: Von der Leistung des Motors, dem Cw-Wert der Karosserie (Luftwiderstand), dem Gewicht, den gefahrenen Geschwindigkeiten (die den Luftwiderstand noch stärker beeinflusst als der cw-Wert), von der Effizienz des Antriebsstranges, der Temperatur, dem Wetter, dem Straßenzustand und vom persönlichen Fahrstil. Das wohl beste Gesamtbild erhalten wir, wenn wir alle E-Autos mit allen Dieseln und Benzinern vergleichen.

Ab wann genau hilft das E-Auto dem Klima?

Im Durchschnitt aller E-Autos liegt der Energieverbrauch bei (am Zähler gemessenen) 16,3 Kilowattstunden (KWh) pro 100 Kilometer. Erfasst haben die Datensammler von Spritmonitor bisher 1039 E-Autos. Der empirisch ermittelte, reale Durchschnittsverbrauch aller Diesel liegt bei 6,36 Litern je 100 Kilometer, der aller Benziner bei 7,88 [3]. 

Wie viel ist das in CO2? Beim Verbrennen eines Liters Diesel entstehen 2,6 Kilo CO2; bei Benzin sind es 2,37 Kilo [4]. Beim deutschen Durchschnittsstrom sind es aktuell etwa 0,465 Kilogramm pro KWh. Noch vor 30 Jahren war dieser Wert übrigens fast doppelt so hoch. Das liegt am Ausbau der Erneuerbaren. Zwar wird in Deutschland immer zum Teil noch Strom aus Braun- und Steinkohle gewonnen, doch der Anteil der Erneuerbaren, wie Wind, Biogas und Solar, lag im ersten Halbjahr 2019 bereits bei 47,5 Prozent [1]. Der Durchschnittsstrom ist also „grüner“ geworden. Somit ergeben sich an CO2-Emissionen beim Fahren von jeweils100 Kilometern:

Diesel: 6,36 * 2,65 = 16,9 Kilogramm
Benziner: 7,88 * 2,37 = 18,7 Kilogramm
E-Auto: 16,31 * 0,47 = 7,6 Kilogramm.

Elf Tonnen weniger CO2 in fünf Jahren

Wer also seinen Benziner gegen ein E-Auto austauscht und damit 20.000 Kilometer pro Jahr zurücklegt, spart in fünf Jahren 11,1 Tonnen CO2 ein - auch, wenn es nur mit dem deutschen Durchschnittsstrom und nicht etwa mit Ökostrom geladen wird.  Das ist eine Menge: pro Jahr verursachen wir insgesamt rund 9,5 Tonnen pro Kopf – das beinhaltet Essen, Kleidung, Heizen, Haushaltsgeräte, Licht, Mobilität und Konsum. Ein Flug München – Los Angeles schlägt hin und zurück mit 3,2 Tonnen zu Buche [5].

Dabei sind die Gesamtemissionen bei Benziner und Diesel hier noch geschönt.

Denn für Ölförderung, Raffinade und Transport auf Tankern, in Pipelines und Lkws wurden 44 kWh Energie für unsere 6,4 Liter Diesel verbraucht [6]. In anderen Worten: Mit dieser Energie wäre ein E-Auto bereits 250 Kilometer gefahren, ehe der Diesel-Kraftstoff auch nur den Tank erreicht.

Übrigens: Auch Befürworter der Elektromobilität, wie Greenpeace oder Scientists for Future behaupten gerne, nur kleine E-Autos seien ein Beitrag zum Klimaschutz, große weniger. [7, 8] Auch das ist so pauschal nicht ganz korrekt. Die Effizienz des Antriebsstrangs (grob bestehend aus: Batterie, Leistungselektronik, Software zum Leistungs- und Lademanagement, Getriebe und Motor) ist viel relevanter für den Verbrauch als schiere Größe und Gewicht des Autos. Dabei gibt es enorme Effizienzunterschiede: Manche großen E-Autos, wie der Jaguar iPace, verbrauchen tatsächlich viel Strom. Andere, wie der genau so große Tesla Model S, bis zu 45 Prozent weniger. Und kleine Autos sind nicht per se sparsamer, wie die Kleinwagen E.Go Life oder der VW eUp beweisen [3, 9]. Beide verbrauchen mehr Strom als ein Tesla Model 3, das gut doppelt so groß und schwer ist.

Die Herstellung des Autos: Wie groß ist der Rucksack?

Unbestritten ist auch: Beim Bau von Elektroautos wird mehr CO2 freigesetzt als bei der Herstellung eines etwa gleich großen Verbrenners. Bei der Produktion eines Benziners oder Diesels in der Massenfertigung fallen (inklusive Vorprodukte und Zulieferteile) 7 bis 9 Tonnen CO2 an [10, 11], vor allem für Stahl, Alu, Gummi, Glas und Kunststoff. Beim Elektroauto ist es mehr, obwohl es einige große Bauteile nicht benötigt, etwa Kühler, Katalysator, Auspuff, Getriebe.  Das liegt am Akku, dessen Herstellung einige energieintensive Prozesse enthält: das Mischen, Pressen, und Trocknen der Kathoden (des Pluspols der Batterie) etwa.

Man spricht dabei vom CO2-Rucksack des E-Autos, den es aus der Produktion im Vergleich zum Diesel oder Benziner mitbringt. Da das E-Auto beim Betrieb nur etwa halb so viel klimaschädliches CO2 freisetzt wie ein Benziner oder Diesel, ist klar: je länger das E-Auto fährt, desto besser wird seine Klimabilanz relativ zum Diesel. Und je geringer der CO2-Abdruck aus der Herstellung, desto besser. Aber ab wann genau hilft das E-Auto dem Klima?

Manche Autoren rechnen mit bis zu 17 Tonnen CO2 aus der Herstellung eines E-Autos [12, 14]. Ein großes E-Auto müsste dann bis zu 170.000 Kilometer fahren, um seinen Nachteil aus der Herstellung wett zu machen. So viel ist es aber sicher nicht.

Nach drei Jahren klimafreundlicher als Diesel oder Benziner

Die Zahl geht auf die so genannte Schweden-Studie von 2017 zurück, eigentlich eine Metastudie, die zehn andere, ältere Studien auswertete. Die Zahl 17 Tonnen taucht dort aber gar nicht auf. Ein schwedischer Journalist hat sie selbst hergeleitet, indem er auf Basis der umweltschädlichsten Zellen, die er in der Vergleichsstudie finden konnte, auf das Auto mit der größten Batterie hochrechnete, einen Tesla. Nur: Tesla stellt seine Zellen in Nevada ganz anders her, mit viel weniger CO2 [15]. Und die chinesischen Zellen mit dem höchsten CO2-Ausstoß in der Herstellung befinden sich nicht in Elektroautos – schon gar nicht in neuen.

Außerdem waren viele Primärquellen aus der Metastudie schon 2017 veraltet, heute sind sie wohl auch falsch. Kurz: moderne E-Autos mit so schlechten Werten wie aus dem Worst Case der Schwedenstudie gibt es gar nicht. Trotzdem wurde die Zahl immer wieder begierig aufgegriffen. Auch Jahre später noch, etwa von Hans-Werner Sinn und Christoph Buchal [16], als die falsche Ableitung längst öffentlich richtiggestellt war.

Was ist nun realistisch? Die Werte in der wissenschaftlichen Literatur zum CO2 Abdruck der Batterieproduktion variieren erheblich. Als Faustregel gilt aber: In den USA und Westeuropa hergestellte Akkus setzen bei der Produktion 65 bis 70 Prozent weniger CO2 frei als chinesische [17, 18]. Zellehersteller LG Chem legte 2018 einige Daten offen: Für die Herstellung des Akkus für den Ford Focus E wurden in Südkorea demnach 3,2 Tonnen CO2 freigesetzt. Ein relativ hoher Wert von fast 130 Kilo CO2 je Kilowattstunde (kWh) Akkukapazität, was unter anderem an der relativ kleinen Batterie und am koreanischen Strommix liegt, der noch viel Gas- und Kohlestrom enthält.

Trotzdem: Diese 3,2 Tonnen stößt ein (sehr sparsamer) Benziner in nur einem Jahr oder bei 19.000 Kilometern Fahren aus. Schon nach etwa drei Jahren wäre der Elektro-Ford also inklusive seiner Herstellung klimafreundlicher unterwegs als sein Benzin-Pendant.

Und: weltweit – auch in Korea, Japan, China – steigt der Anteil der erneuerbaren Energiequellen am Strommix [18]. Tesla produziert in seiner Gigafactory in Nevada bereits zum Teil mit Ökostrom. Volvo will dasselbe tun. Und VW hat angekündigt, seinen Zulieferer LG Chem in Polen ab sofort vertraglich zur Grünstromnutzung beim Batteriebau zu verpflichten. Allein das wird den CO2-Rucksack der VW-Elektromodelle gegenüber heute halbieren.

Nach etwa drei Jahren fährt das E-Auto im Grünen Bereich

Die meisten verwenden inaktuelle Daten oder werden von jemandem finanziert, der ein Interesse an einem bestimmten Ergebnis hat. Studien, die zugleich unabhängig und methodisch sauber sind sowie halbwegs aktuelle Daten verwenden, sind die Minderheit.

Aber es gibt sie [17, 18, 19, 20]. Rechnet man nun mit den Mittelwerten dieser Studien, ergibt sich ein klares Bild: bereits nach etwa drei Jahren oder 45.000 Kilometern fahren E-Autos insgesamt klimafreundlicher als Diesel oder Benziner. Danach ist jeder gefahrene Kilometer mehr ein Dienst am Klima – es sei denn, die Alternative hieße nicht Diesel oder Benzin, sondern Fahrrad oder per pedes.


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Wer trotz der eindeutigen Ergebnisse immer noch unsicher ist, ob ein E-Auto dem Klima nutzt, sollte zwei Ratschläge berücksichtigen: 1. Ökostrom laden (einige Öko-Autostromtarife sind nicht einmal teurer als konventioneller Strom) und 2. ein Auto mit einem Akku aus europäischer oder US-Produktion kaufen.

Mehr zum Thema:
In Deutschland gibt es immer mehr Elektroautos. Um ihren Absatz weiter zu steigern, profitieren Käufer derzeit von einer üppigen Prämie. Doch selbst Autohändler sehen die Subvention kritisch. Warum, lesen Sie hier.

Das ifeu Institut hat einen interaktiven Rechner auf seiner Seite: http://www.emobil-umwelt.de/

Für die vertiefende Lektüre habe ich eine Liste seriöser Studien zusammengestellt:

https://www.agora-verkehrswende.de/veroeffentlichungen/klimabilanz-von-elektroautos/

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