Bolt-Gründer Markus Villig „Ohne Erfahrung, ohne Netzwerk, ohne Geld – ich hatte nichts“

Bolt-Gründer Markus Villig Quelle: PR

Seit einem Jahr ist das estnische Mobilitäts-Start-up Bolt in Deutschland aktiv. Gründer Markus Villig über seinen Umgang mit Regulierungen gegen E-Scooter und warum er mit seinem Lebensmittellieferdienst noch zögert.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Markus Villig gründete 2013, im Alter von 19 Jahren, in der estnischen Hauptstadt Tallinn sein Unternehmen Taxify, was er später in Bolt umbenannte. Sein Informatikstudium brach er ab. Das Jungunternehmen ist eine Mobilitätsplattform, auf der sowohl Elektroroller und -Fahrräder geliehen, als auch Fahrten mit Taxi- und Mietwagenunternehmen gebucht werden können. Seit einer Investmentrunde im Mai 2018 über 175 Millionen Euro (als unter anderem Daimler und der chinesische Anbieter Didi Chuxing investierten) ist Bolt ein sogenanntes Einhorn, also ein Unternehmen mit einer Bewertung von einer Milliarde Euro. Die letzte Investitionsrunde im Januar brachte 628 Millionen Euro ein und steigerte die Bewertung auf 7,4 Milliarden Euro. Bolt operiert heute in 45 Ländern.

WirtschaftsWoche: Herr Villig, wegen des Kriegs in der Ukraine und der Inflation befinden sich viele Tech-Start-ups derzeit in einer Krise. Einigen geht das Geld aus, viele müssen Mitarbeiter entlassen. Wie geht es Bolt?
Markus Villig: Uns geht es wirklich gut. Als ich 2013 angefangen habe, mit Taxify, war ich fast noch ein Kind. Ohne Erfahrung, ohne Netzwerk, ohne Geld – ich hatte nichts. Und wir mussten mit Uber mithalten, die haben zu jener Zeit mit ihren Milliarden-Investitionsrunden alle in den Schatten gestellt. Wir mussten also das kleine Unternehmen aus Tallin von Anfang an auf eine ganz besonders sparsame und effiziente Art und Weise führen. Diese kostenbewusste Denkweise war Bolt also schon immer zu eigen. Das hilft uns jetzt.

Sie mussten also niemanden entlassen?
Nein. Wir haben sogar während der Covid-Lockdowns niemanden entlassen, und damals ging unser Umsatz zeitweise um bis zu 80 Prozent zurück.

In Oslo dürfen nachts bald keine E-Scooter mehr fahren. Auch deutsche Städte prüfen Restriktionen. Köln legte die Pläne zwar wieder auf Eis. Trotzdem sorgen die Vorstöße für erstaunlich kreative Lösungen der Verleiher.
von Dominik Reintjes

Wie funktioniert das?
Wir haben von Anfang an großen Wert auf operative Effizienz gelegt, so dass wir einen Vorteil gegenüber anderen Unternehmen hatten. So konnten wir unsere Produkt-Roadmap schnell anpassen und Mitarbeiter für die Arbeit an unseren Lieferdiensten abstellen, die zu Beginn der Lockdowns sehr gefragt waren. Im Jahr 2020 haben wir zum Beispiel Bolt Food von vier auf 16 Länder erweitert und konnten so neue Einnahmequellen erschließen. Wir verzeichneten auch ein starkes Wachstum bei der Nutzung von Mikromobilitätsdiensten, auf die viele Menschen umstiegen, um unnötige Kontakte zu vermeiden. Auch die Solidarität im Team hat uns geholfen. Die meisten Mitarbeiter haben freiwillig kleine Gehaltskürzungen vorgenommen, so dass niemand gehen musste. Das hat mich wirklich beeindruckt.

Sie sind seit rund einem Jahr in Deutschland aktiv, vor allem mit dem Verleih von E-Scootern. Wie lautet Ihr Fazit nach zwölf Monaten?
Wir sind sehr zufrieden mit dem Geschäft in Deutschland. Es hat unsere Erwartungen übererfüllt.

Was heißt das konkret?
Mittlerweile arbeiten rund 400 Menschen für Bolt in Deutschland und wir wachsen weiter. So suchen wir derzeit etwa 50 Software-Ingenieure zur Verstärkung unseres Teams im neuen Growth Hub, welches wir gerade in Berlin eröffnet haben. Innerhalb von rund einem Jahr haben wir unsere E-Scooter in 58 Städten auf den Markt gebracht - so schnell war vor uns noch kein anderer Anbieter. Aufgrund der hohen Nachfrage konnten wir unser Angebot auch auf Stadtebene stetig ausbauen, während die Nutzung pro E-Scooter ebenfalls zunimmt. Unsere E-Bikes sind seit diesem Jahr in Deutschland verfügbar und werden bereits in sieben Städten angeboten.

Sind Sie profitabel in Deutschland?
Wie in den anderen Märkten auch, ist unser Geschäft in Deutschland eine langfristige Investition. Wir müssen über mehrere Jahre hinweg investieren. Aber wir sind in einer sehr guten Ausgangsposition.

Derzeit bieten Sie Ihren E-Scooter-Verleih in 58 deutschen Städten an, ihre Fahrdienstvermittlung bisher bloß in Berlin, München und Frankfurt. Was sind Ihre Pläne für Deutschland?
Grundsätzlich möchte ich deutlich weniger Privat-PKW in den Städten fahren sehen. Ich möchte sie ersetzen durch intelligentere Mobilitätsdienstleistungen. Das ist das langfristige Ziel von Bolt. Es wäre besser für die Umwelt und das Klima, besser für die Sicherheit der Menschen, und es würde Lärm vermeiden. So, wie der Verkehr derzeit in den meisten Städten geregelt ist, ergibt es nicht viel Sinn. Die On-Demand-Mobilitätsdienste wachsen in den Städten, es ist also klar, dass die Verbraucher das wollen, sie bevorzugen diese Art der Mobilität. Wir möchten auch in Deutschland mit möglichst all unseren Diensten in möglichst vielen Städten Alternativen zum Auto schaffen.

Beschwerden über E-Scooter gibt es vor allem in deutschen Innenstädten. Das Start-up Vianova hilft, den Wildwuchs zu stoppen. Gründer Thibault Castagne sagt: An vielen Problemen ist die Verwaltung selbst schuld.
von Steffen Ermisch

Seit vergangenem Herbst aber spüren Sie Gegenwind in Deutschland. In Köln etwa hat die Oberbürgermeisterin Henriette Reker die Zahl der E-Roller in der Stadt von rund 7000 auf nur noch 4500 begrenzen lassen. Die Regulierungen nehmen auch in anderen deutschen Städten zu.
Zunächst einmal: Wir sind grundsätzlich für Regulierungen. Die Schlüsselfrage muss jedoch lauten: Wohin soll die Regulierung führen? Zu einer nachhaltigeren Art, sich fortzubewegen? Ich hoffe es. Es ist ja so: In den Städten gibt es eine unbegrenzte Anzahl von Autos, aber aus irgendeinem Grund wird die zulässige Anzahl von E-Rollern künstlich begrenzt. Das ergibt keinen Sinn.

In der Regel lautet die Begründung: Die Roller stehen im Weg herum, verursachen Unfälle.
Richtig. Eine entscheidende Frage ist: Wo sollen E-Roller fahren? Natürlich auf dem Fahrradweg. Bloß: Wenn Städte schlecht ausgebaute Fahrradwege haben, ist das ehrlich gesagt nicht die Schuld von Bolt. Vielleicht sind wir ein Grund mehr für manche Städte, hier zu investieren. Aber wir sollten eigentlich nicht der Anlass sein, jetzt mal darüber nachzudenken. In dieser Hinsicht gibt es teilweise große Unterschiede zwischen einzelnen Städten. Und was das Abstellen der Roller angeht: Wir könnten einen Parkplatz für ein Auto umwandeln in einen Parkplatz für zehn E-Roller. Das könnte ein Weg sein, um Platz zu schaffen.

Aber Parkplätze sind gerade in Innenstädten ohnehin sehr rar und wertvoll. Und die Autolobby ist in Deutschland mächtig.
Die Regulierungsbehörden müssen in die Zukunft denken. Wie wollen wir leben in zehn Jahren? Die meisten Leute stimmen dem Konzept ganz klar zu, den Autos auf Dauer weniger Platz zu überlassen. Es wäre einfach gut für die Städte. Mercedes-Benz ist einer unserer größten Investoren. Auch die wissen, dass das in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren die Zukunft sein wird. Bolt ist ja in mehr als 40 Ländern aktiv. Wir wissen aus unseren Gesprächen und Verhandlungen: Die meisten Städte in Europa wollen mehr Platz für gemeinsam genutzte Autos schaffen. In den nächsten zehn bis zwanzig Jahren wird es diesbezüglich eine große Nachfrageverschiebung geben.

Bereits im Frühjahr 2021 hatten Sie angekündigt, auch mit Ihrem Essenslieferdienst Bolt Food in Deutschland starten zu wollen. Dazu ist es bis jetzt nicht gekommen. Wieso?
Wir bieten Bolt Food in etwa 20 Ländern in Europa und Afrika an, und nahezu überall hat sich die Entwicklung des Geschäftsmodells verlangsamt nach Aufhebung der meisten Corona-Beschränkungen. Der Zeitpunkt ist also denkbar schlecht. Es ist nicht klar, wie sich das Geschäft in den nächsten Jahren entwickeln wird. Und der deutsche Markt ist darüber hinaus bereits sehr wettbewerbsintensiv.

Sie bieten in anderen Ländern sowohl eine Essensbestellplattform an, in Kooperation mit Restaurants, als auch die Schnelllieferung von Supermarktartikeln. In Deutschland wären dann sowohl Lieferando und Uber Eats, als auch Gorillas, Flink, Wolt, Picnic und Knuspr ihre Wettbewerber. Delivery Hero hatte sich vergangenes Jahr nach weniger als sechs Monaten wieder aus dem deutschen Markt zurückgezogen. Eine einschüchternde Vorstellung?
Aus unseren beiden Geschäftsbereichen Fahrdienstvermittlung und E-Scooter-Verleih können wir Synergien herstellen mit Bolt Food. Wenn wir in Deutschland mit den beiden erstgenannten Diensten erst einmal Erfahrungen gesammelt und die Marke etabliert haben, möchte ich den Start von Bolt Food in Deutschland nicht ausschließen. Für den Moment aber wäre ein Einstieg für uns wenig erfolgversprechend.

Zu Beginn vor rund einem Jahr in Berlin hatten Sie eine Auseinandersetzung mit Uber. Ihr Konkurrent soll Mietwagenfahrer angerufen und gefordert haben, nur für Uber und nicht auch für Bolt Fahrten anzubieten. Damals wollten Sie rechtliche Schritte prüfen. Wie ist der Streit ausgegangen?
Uber hat diese Aktionen gestoppt. Ich denke, sie haben verstanden, dass man keine Wettbewerber blockieren kann.

Werkzeughersteller Russland enteignet Maschinenbauer DMG Mori

Weil die Bundesregierung eine Investitionsgarantie gab, fordert der Konzern jetzt Schadensersatz. Der Vorfall in Russland ist aber nicht das einzige Thema, das am Standort in Bielefeld derzeit für Wirbel sorgt.

Gehalt „Wer pfiffige Ideen hat und hart arbeitet, sollte dafür auch belohnt werden“

In Unternehmen herrscht ein verqueres Leistungsdenken, sagt Interimsmanager Ulvi Aydin. Er fordert, High Performern mehr zu zahlen als den Chefs: „Es gibt Leute, die mehr leisten als andere – das sollte man anerkennen.“

Aktien Fünf gefallene Börsenstars mit der Hoffnung auf ein Comeback

Mehrere frühere Börsenlieblinge sind jetzt günstig zu haben. Ihre Kursschwäche hat Gründe – aber es gibt gute Argumente für eine Erholung. Fünf Turnaround-Ideen für Mutige.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Mussten Sie eigentlich viele E-Scooter aus dem Rhein holen lassen?
Oh, nach unserer Erfahrung sind Nutzer in Deutschland sehr diszipliniert, wenn wir sie zum Beispiel mit denen in Frankreich vergleichen. In der Seine lagen deutlich mehr Scooter als im Rhein.

Lesen Sie auch: Trend zur Mikromobilität – Kommen jetzt Tankstellen für Tretroller?

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%