Krisenkommunikation Es wird Jahre dauern, bis VW zur Ruhe kommt

Skandal – Entschuldigung – Rücktritt. Was Volkswagen seit gut einer Woche erlebt, hätte auch jedes anderes Unternehmen treffen können. Was VW bei der Kommunikation richtig macht und was andere daraus lernen können.

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"Das ist besser für VW"
Martin Winterkorn Quelle: AP
Wolfgang Porsche, Berthold Huber, Stephan Weil Quelle: dpa
Der Konzern stellte darüber hinaus Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig. Damit will der Konzern das durch die Abgasmanipulationen verlorene Vertrauen zurückgewinnen. Wörtlich heißt es in einer Erklärung des Gremiums: „Es steht nach Ansicht des Präsidiums fest, dass es zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist, die auch strafrechtlich relevant sein können.“ Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft würden vom Konzern in aller Form unterstützt. Quelle: REUTERS
Stephan Weil (SPD), Niedersachsens Ministerpräsident und Aufsichtsratsmitglied bei Volkswagen Quelle: dpa
Anton Hofreiter (Die Grünen) Quelle: REUTERS
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) Quelle: dpa
Oliver Krischer Quelle: dpa

Tage im Feuer: Erst musste der VW-Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn Manipulationen bei Abgaswerten zugeben. Zunächst bat er um Entschuldigung und Vertrauen. Einen Tag später trat er zurück. Mit Matthias Müller steht nun offenbar bereits sein Nachfolger fest. Dafür müssen weitere Spitzen-Manager ihren Platz bei VW räumen.

Der Konzern verlor Milliarden an Börsenwert und das Vertrauen der Kunden. Die drohenden Strafen sind gigantisch, die langfristigen Imageschäden nicht abzusehen.

VWs Abgas-Affäre, griffig Dieselgate getauft, ist Diskussionsthema Nummer eins in Medien, Büros und Bahnen. Experten erklären, was VW bei der Kommunikation mit der Öffentlichkeit richtig gemacht haben – und was falsch. 

Die Krisen-Experten

WirtschaftsWoche: Herr Winterkorn ist zurückgetreten. Heißt das, bei VW kehrt in der kommenden Woche Ruhe ein? Alles vergeben und vergessen?

Frank Roselieb: Nein. Krisen sind immer dreigeteilt: Sie haben die akute Krisenphase, die dauert im Durschnitt 15,3 Tage. Also rund zwei Wochen lang tagen die ganz regulären Krisenstäbe mehrmals am Tag. Nach diesem Zeitraum wird die Krisenbewältigung an die normalen Fachabteilungen zurück delegiert. Dann beginnt dort die Abarbeitung. Dann überlegt man sich: Was können wir in Richtung Kommunikation machen, was ist rechtlich noch notwendig und so weiter. Diese Phase der Nachbereitung dauert meistens zwei bis drei Jahre. Und dann kommt die ganze Marktnachbetreuung, die zehn bis 15 Jahre dauern kann.

Volkswagen erreicht erst 2025 oder 2030 wieder ruhiges Fahrwasser?

Wir haben bei uns in den Datenbanken etwa 140, 150 Fälle – auch aus der Automobilwirtschaft – die alle mit Volkswagen vergleichbar sind. Teilweise waren es sogar Volkswagen-Fälle, das Audi 5000-Problem aus den USA beispielsweise.  Und da hat es teilweise bis zu zehn oder 15 Jahre gedauert. 



War denn Winterkorns Rücktritt vor laufenden Kameras auf dem Höhepunkt der Krise der richtige Schritt?

Normalerweise gilt der Grundsatz: In der Krise wird der Kapitän nicht ausgetauscht. Man lässt ihn zunächst das havarierte Schiff wieder in sicheres Fahrwasser bringen. Dann entscheidet man, ob "menschliches Versagen" oder "technisches Versagen" vorliegt - und ein neuer Kapitän eventuell besser navigieren und das Vertrauen der Passagiere zurückgewinnen kann. Das Vorgehen von Volkswagen ist also eher ungewöhnlich - zumal es im vorliegenden Fall nicht um persönliche Vorteilsnahme geht, wie seinerzeit beim Fall Zumwinkel gewesen ist. Dort war damals der zeitnahe Rücktritt unausweichlich, obwohl es "nur" private Gelder und keine Post-Gelder waren, die hinterzogen wurden.

Herr Kepplinger, glauben Sie, dass andere Unternehmen etwas aus dem VW-Skandal lernen können?

Hans Mathias Kepplinger: Es gibt bei vielen großen Skandalen eine lange Vorlaufzeit, in der die betroffenen Unternehmen um Probleme wissen, aber nichts tun. Sie bereiten sich auf das drohende Drama nicht vor. Ein Beispiel ist der Lipobay-Skandal: Die Firma Bayer wusste seit Langem, dass Lipobay unter bestimmten Bedingungen tödliche Nebenwirkungen haben kann.  Deshalb musste das Unternehmen den Beipackzettel ändern. Trotzdem haben die Verantwortlichen den Dingen ihren Lauf gelassen, weil sie nicht erkannt haben, in welcher Gefahr sie waren.  

Auch die Vorwürfe gegen die CDU wegen schwarzer Kassen gab es ein Jahr bevor der Spendenskandal losbrach, schon im Spiegel. Trotzdem hat sich die CDU auf diesen Casus Belli, diesen Kriegsfall, nicht wirklich eingestellt. Solche Versäumnisse kommen immer wieder vor und es ist unbegreiflich, warum sich die Betroffenen nicht rechtzeitig vorbereiten.

Winterkorn will von den Manipulationen nichts gewusst haben

Sehen die Unternehmen denn bewusst weg oder sind sie tatsächlich blind? Winterkorn will von den Manipulationen ja nichts gewusst haben...

Hans Mathias Kepplinger: Meine Erklärung ist: zum Teil sehen sie es nicht; zum Teil will niemand der Beelzebub sein,  der an einer Sache rührt, die alle lieber vergessen würden.  Der jüngste Fall ist der Skandal um die Steuerhinterziehung von Hoeneß. Er wusste ja – oder konnte ahnen – dass das Steuerabkommen mit der Schweiz scheitern würde. Deshalb hätte er seine Selbstanzeige in großer Ruhe vorbereiten können. Auch er hat aber erst im letzten Moment unter größtem Zeitdruck gehandelt und folglich schwerwiegende Fehler gemacht.


Stimmen zum Abgas-Skandal bei VW

Sollte denn jedes Unternehmen den Ernstfall vorbereiten, auch wenn es keine offensichtlichen Leichen im Keller hat?

Man kann es im Detail nicht planen, aber wenn ich Unternehmen berate, dann lautet einer meiner Ratschläge:  man sollte im kleinen Kreis immer wieder ein Gedankenspiel spielen – das kann auch anonym geschehen – und prüfen, wo im Unternehmen ein skandalfähiges Versagen vorliegt. In einem großen Unternehmen muss man davon ausgehen, dass es skandalfähige Dinge gibt. Die Idee, dass das Leben immer regelgerecht verläuft, ist naiv. Und deshalb muss in einem geeigneten Umfeld in regelmäßigen Abständen geprüft werden, was eine solche skandalfähige Regelabweichung sein könnte.  

Der VW-Abgas-Skandal im Überblick

Wenn es zum Skandal kommt, was muss ein Unternehmen dann tun?

Erster Punkt: Der Vorstandsvorsitzende muss so schnell wie möglich an die Öffentlichkeit gehen. In Fällen, in denen das nicht geschehen ist, eskalierten Skandale. Ein Beispiel ist der Ortho-Nitroanisol-Unfall der bei der Hoechst AG 1993. Er hat sich auch deshalb zum Skandal entwickelt, weil der Vorstandsvorsitzende  medial nicht präsent war.

Zweiter Punkt: Der Vorstandsvorsitzende darf nichts sagen, was man gegen ihn oder das Unternehmen verwenden kann, wie etwa der Satz aus Winterkorns Videobotschaft, dass „Manipulation“ bei Volkswagen nie wieder vorkommen darf.

Drittens: Der Sprecher, also in dem Fall der Vorstandsvorsitzende, muss sich auf den Kern des Problems beziehen und darf keine allgemeinen Erklärungen über das Unternehmen abgeben. Das Problem muss schließlich  eingehegt und  nicht ausgeweitet werden.

Winterkorns Entschuldigung

Entsprechend hat VW mit seiner ersten Reaktion – Winterkorns Entschuldigung – alles richtig gemacht?

Hans Mathias Kepplinger: Es ist richtig, dass er schnell an die Öffentlichkeit gegangen ist – auch unter diesen Umständen und mit diesem erkennbar betroffenen Verhalten. In der Videobotschaft machte er persönlich einen schwer angeschlagenen Eindruck. Das muss einen nicht wundern angesichts der ungeheuren Vorwürfe, die auf ihn einprasseln. Die Art und Weise, wie er gesprochen hat, sind ein Beispiel für die extrem starke Wirkung, die solche Angriffe auf die Angegriffenen selbst ausüben. Ich bezeichne das als „reziproke Effekte“ – Effekte auf diejenigen, die skandalisiert werden. Das konnte man bei zu Guttenberg, bei Wulff und bei anderen beobachten und jetzt  auch bei Winterkorn. Er ist schwer getroffen, was man an seinem ganzen nonverbalen Verhalten erkennt.

Herr Roselieb, Winterkorn hatte in besagter Botschaft um Vertrauen gebeten. Unabhängig von seiner Person und seinem späteren Rücktritt, war das clever?

Frank Roselieb: Nein, das war recht unprofessionell. Man kann diesen aktuellen Fall ein bisschen vergleichen mit dem Toyota-Fall 2009/2010 in den USA. Bis dahin war es auch so, dass Toyota eine extrem vertrauenswürdige Marke war, es waren immer die unfallfreiesten Autos und auf einmal gab es mehrere große Probleme in Serie. Damals hat man sich mit so einem Videostatement erst relativ spät an die Öffentlichkeit gewagt, nämlich dann, als man wirklich das Gefühl hatte: Jetzt haben wir das Problem gelöst.

Herr Kepplinger, halten Sie es auch für unklug, zu Beginn einer Krise um Vertrauen zu werben?

Hans Mathias Kepplinger:  Das einzig Unkluge war der Satz, dass „Manipulationen“ bei Volkswagen nie wieder vorkommen dürfen. Dieser Satz wird Volkswagen noch lange verfolgen. Wenn der Vorstandsvorsitzende selbst sagt, dass es eine „Manipulation“ ist, ist das dauerhaft zitierfähig.

„We totally screwed it up“.


Ist Winterkorns Rücktritt jetzt eine klare Botschaft für die Verbraucher in den USA oder in Deutschland?

Frank Roselieb: Amerikaner sind in der Art, wie sie kommunizieren – auch gegen ausländische Firmen – wesentlich aggressiver. Da helfen klare Botschaften oder ein Mea culpa auf die Dauer nicht so viel.  Eine solche Krise auf dem US-Markt muss man einfach durchstehen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass der Dieselmarkt in den USA für Volkswagen nicht wirklich wichtig ist. Auf dem US-Automarkt gibt es, glaube ich, rund drei Prozent Dieselanteil. Bei uns in Europa sind es gut 50 Prozent.

Die Erklärungen zu Winterkorns-Rücktritt


Was muss VW also stattdessen in den USA machen?

Sie müssen dort eher Lobbyarbeit betreiben, sich außergerichtlich mit den ganzen Klägern einigen. Da herrscht eher das Prinzip „Augen zu und durch“, wogegen in Deutschland schon einiges zu erklären ist. Hier haben ja auch nahezu alle europäischen Länder gesagt, dass sie nochmal genau nachmessen wollen.  Wichtig ist also eine zweigeteilte Kommunikation: In den USA Ruhe bewahren und Geld zahlen und in Deutschland relativ intensiv kommunizieren und Messverfahren ändern.


Was halten Sie beide von der Krisenkommunikation von Michael Horn, Chef von Volkswagen USA, der bei der Vorstellung des neuen Passats in New York sagte, dass das Unternehmen Mist gebaut hat? Ist diese humorige Art ein guter Weg?

Frank Roselieb: Das war ein recht spontanes Statement. Er hat im Englischen ja gesagt: „We totally screwed it up“. Eigentlich eine relativ flapsige Bemerkung nach dem Motto „Wir haben es total verbockt“ und das war eigentlich genau die richtige Botschaft. Es war souverän, aber mit einem gewissen Augenzwinkern, was in der Situation auch durchaus erlaubt ist.

Hans Mathias Kepplinger:  Das ist indiskutabel. Entweder ist es ein ernster Fall, dann kann er keine Sprüche darüber machen, oder es ist kein ernster Fall, dann muss er die Vorwürfe zurückweisen oder relativieren.  Dass er auch noch die Konzernzentrale unterlaufen hat, indem er vorprescht ist, ist ebenfalls völlig indiskutabel.

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