
Knapp zwei Jahre nach dem Abgasskandal haben sich die EU-Staaten auf schärfere Regeln für Automobilhersteller geeinigt. Die Mehrheit der EU-Staaten stimmte am Montag für strengere Regeln bei Abgastests und Typgenehmigungen, stärkere Kontrollmöglichkeiten und harte Strafen bei Manipulationen. Ein neues Dieselgate wird damit wohl nicht vermieden. Schlimmer noch: In Brüssel besteht die Befürchtung, dass Deutschland den Deal nachträglich aufschnüren könnte – wie schon im Jahr 2013.
"Der einzige Weg, um das Vertrauen in die europäische Automobilindustrie wiederherzustellen und zu vertiefen, ist die Entwicklung von sauberen und sicherheitstechnischen Technologien", sagte Chris Cardona, Vorsitzender des Rates und Maltas Wirtschaftsminister nach der Abstimmung in Brüssel. "Zuverlässige Kontrollversuche für Autos werden so eingerichtet, dass Unregelmäßigkeiten bei den Emissionen, wie in der Vergangenheit geschehen, in Zukunft nicht wieder auftreten."
Die EU-Mitgliedsstaaten ziehen damit Konsequenzen aus dem Abgasskandal: Die Tests sollen strenger werden, bevor neue Pkw-Modelle auf den Markt kommen und sämtliche Kontrollen verstärkt werden. Zum einen sollen sich die Mitgliedsstaaten stärker untereinander kontrollieren. Zum anderen will die EU die nationalen Aufsichtsbehörden, wie das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), stärker überwachen. Andere Mitgliedsländer sollen die Entscheidungen von Zulassungsbehörden wie etwa des KBA künftig prüfen können. Mitgliedsstaaten müssen außerdem Autos, die bereits im Verkehr sind, auf ihre Abgaswerte testen.
Zentrale Punkte der Reform der Zulassung von Automodellen
Der neue Kompromissvorschlag des EU-Ratsvorsitzes sieht die Einführung einer Mindestzahl von kontrollierten Fahrzeugen pro Jahr in jedem EU-Land vor. Mindestens eins von je 50.000 neu registrierten Fahrzeugen soll jedes Jahr kontrolliert werden. Kleinere Länder sollen die Möglichkeit bekommen, ihre Aufgaben zur Marktüberwachung an andere EU-Überwachungsbehörden zu übertragen.
Die Kommission soll die Möglichkeit erhalten, die Durchführung von Tests und Inspektionen von Fahrzeugen überprüfen zu können. So könnte sie im Zweifelsfall sofort auf Unregelmäßigkeiten reagieren. Dadurch soll die Unabhängigkeit und Qualität des EU-Typgenehmigungssystems verbessert werden.
Im Zuge der Reform soll ein Forum eingerichtet werden, dass den Informationsaustausch über die Kontrollen und mögliche Vollstreckung von Strafen ermöglicht. Ziel ist es, verschiedene Interpretationen und Praktiken der EU-Mitgliedsstaaten zu harmonisieren. Die nationalen Behörden sind dazu angehalten jährliche Berichte über ihre Marktüberwachung im Forum zur Verfügung zu stellen.
Damit die Hersteller nicht direkt ihre eigenen Prüfer für die Typgenehmigungsmaßnahmen bezahlen, soll in Zukunft in jedem EU-Mitgliedsstaat eine nationale Gebührenstruktur für Typgenehmigungen und Marktüberwachung geschaffen werden. Diese Gebühren sollen von den angewandten Herstellern gezahlt werden und in einen großen Topf fließen, aus dem dann die nationalen Typgenehmigungsverfahren der Prüfer bezahlt werden.
Ist ein Automodell genehmigt, soll diese Typgenehmigung ohne Einschränkungen ihre Gültigkeit behalten - diese Regelung soll nun wie schon bislang bestehen bleiben. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, die Gültigkeit auf fünf Jahre zu begrenzen. Dieser Ansatz findet sich in dem zu verabschiedenden Vorschlag nun nicht mehr wieder.
Nach dem neuen Genehmigungsverfahren, soll jede Typgenehmigungsbehörde zuvor geprüft und aufgrund ihrer technischen Dienstleistungen bewertet werden. Nur in Fällen, in denen die Einrichtung alle technischen Dienstleistungen auf der Grundlage von international anerkannter Standards durchführt, bekommt sie die Genehmigung als Prüfungsbehörde. Die nationalen Akkreditierungsstellen sollen hier bei der Beurteilung der technischen Dienste unterstützend tätig werden.
Im Anschluss an den Vorschlag der Kommission sieht der aktuelle Vorschlag Geldbußen vor, die die EU-Kommission unter bestimmten Umständen verhängen kann. Entsprechen die Automodelle nicht den Richtlinien - sowohl die Fahrzeuge selbst als auch ihre Systeme, Komponenten und technischen Einheiten - müssen die Hersteller oder Importeure mit Strafen durch die EU-Kommission in Höhe von bis zu 30.000 Euro rechnen.
Darüber hinaus soll die Überprüfung von Fahrzeugen verstärkt werden, die schon auf dem Markt sind. Eine europäische Typenzulassung, wie es die EU-Kommission in ihrem ursprünglichen Vorschlag gefordert hatte, wird es dagegen nicht geben. Ein System von Peer-Reviews soll eingeführt werden. Damit bleiben die Mitgliedsstaaten hinter der großen Reform zurück, die die EU-Kommission gefordert hatte. Das ist zumindest ein Teilerfolg für die Regierung um Kanzlerin Angela Merkel.
Einer, der nicht überall gut ankommt. „Deutlich unter dem Druck von Deutschland haben die Mitgliedsstaaten einem Paket von halbgaren Maßnahmen zugestimmt, die das Risiko bergen, dass die gesamte Reform zu einem Papiertiger wird“, kritisiert Europas oberste Verbraucherschützerin Monique Goyens, Direktorin von BEUC, dem europäischen Verbraucherschutzverband. Sie befürchtet sogar, dass es die Bundesregierung nicht dabei belässt und versuchen könnte, das Beschlossene aufzuweichen.
Vor dem Treffen am Montag hatten die Deutschen Hoffnung, mit der Unterstützung weiterer EU-Staaten, die Verabschiedung der neuen Regeln in Brüssel stoppen zu können. Neben Berlin lehnten im April unter anderem Spanien, Tschechien und Italien, die mit Seat, Skoda und Fiat und Werken weiterer Hersteller selbst über eine nennenswerte Autoindustrie verfügen, die Reform in zentralen Punkten ab. Doch letztendlich fehlte es an Zustimmung - und Durchsetzungskraft.
Kurz vor der Abstimmung noch hatte Berlin versucht, Verbündete für industriefreundlichere Regeln zu finden. In Brüssel ist die Rede davon, dass das Bundesverkehrsministerium im Vorfeld versucht hat, osteuropäische Staaten auf seine Seite zu ziehen. Die Telefonate haben aber offenbar nicht gefruchtet.
Selbst Deutschland sperrte sich nun nicht mehr offen gegen den Kompromissvorschlag der maltesischen EU-Ratspräsidentschaft - man enthielt sich. Auch in der Bundesregierung hatte es über das Thema EU-Abgastests Streit zwischen dem SPD-geführten Umweltministerium und dem Verkehrsressort unter CSU-Minister Alexander Dobrindt gegeben.
Bei der Abstimmung in Brüssel gab die Bundesregierung letztlich lediglich zu Protokoll gegeben, dass sie mit dem Text nicht einverstanden sei. Doch: Die Mitgliedsstaaten müssen noch mit dem Europäischen Parlament verhandeln, ehe die Reform endgültig beschlossen ist. Die Gespräche dürften im Juni nach den britischen Wahlen beginnen.