Quartalszahlen Warum Lufthansa das Krisenprogramm so schwerfällt

Corona trifft die Lufthansa härter als die meisten Konkurrenten. Quelle: dpa

Corona trifft die Lufthansa härter als die meisten Konkurrenten. Doch obwohl die Linie nun erneut Milliardenverluste vermelden muss, ist das Sanierungskonzept noch längst nicht stimmig. Wo bleiben die rettenden Ideen?

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Mit der Reaktion auf Branchenkrisen hat sich die Lufthansa bisher nicht besonders schwergetan. Ob der Einbruch nach den Terroranschlägen im Jahr 2001 oder in Folge der Finanzkrise ab 2008: Immer hatte die Lufthansa rasch ein Bündel an Maßnahmen parat. Sie nutzte den anschließenden Umbau, um im Aufschwung nach dem Einbruch besser dazustehen. „Manchmal fragten uns die Kollegen anderer Airlines schon, ob wir die Krisen mit auslösen, um uns dann auf ihre Kosten zu stärken“, so ein führender Lufthanseat. „Und das war nicht komplett scherzhaft gemeint.“

In der Coronakrise ist alles anders. Zwar reagierte die Lufthansa in den frühen Tagen der Pandemie ab Ende Januar rasch: Sie strich früh kaum gebuchte Flüge zusammen und ließ Maschinen am Boden. Doch nachdem die Krise im März die ganze Branche erfasste, war vergleichsweise wenig von konkreten Maßnahmen zu hören. Zwar hat der Vorstand am 7. Juli ein Restrukturierungsprogramm mit dem schmissigen Titel „ReNew“ verabschiedet. Das ist bis Dezember 2023 angelegt und sieht den Abbau von 22.000 Vollzeitstellen und eine Verkleinerung der Flotte um 100 Maschinen vor.

Doch auch wenn Spohr am Donnerstagmorgen bei der Bilanzvorstellung noch ein paar Details vorgelegt hat, etwa wie er künftig Flughafenkosten drücken und seine Jets sparsamer finanzieren will: Ein komplettes Bild mit klaren Details und vor allem festen Zeitplänen ist wenn überhaupt nur schwer erkennbar. Im Gegenteil konnte die Fluglinie nicht einmal ihre bisherigen Vorgaben einhalten. Bereits zur Hauptversammlung vor acht Wochen wollte die Lufthansa vor allem mit den Gewerkschaften zu konkreten Abschlüssen kommen und damit betriebsbedingte Kündigungen vermeiden. Und nun das: Vor dem Hintergrund der Marktentwicklungen im globalen Luftverkehr und wegen der extrem schleppenden Verhandlungen mit den Tarifpartnern „ist dieses Ziel auch für Deutschland nicht mehr realistisch“, heißt es in einer Mitteilung des Konzerns vom Donnerstag. Konzernchef Carsten Spohr begründet die Einschnitte mit einer „Zäsur des globalen Luftverkehrs“. „Vor 2024 rechnen wir nicht mehr mit einer anhaltenden Rückkehr der Nachfrage auf das Vorkrisenniveau“, sagte er bei Bekanntgabe der Quartalszahlen am Donnerstag.

Wie die Zukunft der Lufthansa nun allerdings konkret aussehen soll, bleibt indes bis heute unklar. „Der Plan ist etwas leicht bei den Details“, sagt Daniel Roeska, Analyst des New Yorker Brokerhauses Bernstein und zuvor viele Jahre Lufthanseat. Das sehen andere Kenner des Konzerns ähnlich: „Es gibt zwar reichlich Ideen und viele Verhandlungen, doch keine Ergebnisse“. Im Gegenteil: Einige der wenigen bereits erreichten Fortschritte wurden sogar zurück gedreht. So hatte die Flugbegleiter-Gewerkschaft Ufo zwar Eckpunkte einer Vereinbarung unterschrieben. Doch Inzwischen verlangt die Interessenvertretung Nachverhandlungen. Ein Arbeitnehmervertreter ergänzt: „Es ist eine sehr auffällige Ruhe, die hoffentlich eine Ruhe vor dem Sturm ist, der die nötigen Veränderungen bringt.“

Dabei drängt die Zeit. Die Lufthansa hat an diesem Donnerstag wie zuvor ihre Erzrivalen Air France-KLM und die British Airways-Mutter IAG erneut ein Quartal mit Verlusten in Milliardenhöhe abgeschlossen: Von April bis Juni 2020 – also dem ersten Quartal, das durchgängig von Corona geprägt war – machte die Lufthansa einen operativen Verlust (bereinigtes Ebit) von knapp 1,7 Milliarden Euro. Im Vorjahr hatte Konzernchef Spohr im gleichen Zeitraum noch einen Gewinn von 754 Millionen Euro verkünden können. In der ersten Jahreshälfte muss die Lufthansa nun insgesamt einen operativen Verlust von 2,9 Milliarden Euro verzeichnen.

Nun dürfte selbst vielen der ärgsten Veränderungsgegner und Widersacher von Konzernchef Carsten Spohr langsam mulmig werden. „Wenn selbst Air France und IAG mit den Reformen loslegen, hätte nach all den Ruck-Reden von Spohr doch längst was kommen müssen“, sagt ein Arbeitnehmervertreter. Das ist Spohr offenbar bewusst: „Es ist ein frustrierender Verlauf und ärgerlich“. Darum lies der Manager am Donnerstagmorgen einen offenen Brief an die Belegschaft verschicken, in dem es heißt: „Zu unserem Bedauern konnte jedoch in der Lufthansa Group mit diesen beiden Gewerkschaften bislang keine Krisenvereinbarung geschlossen werden.“ Am Ende des Briefs folgt der Versuch der Linie, ihre Mitarbeiter dazu zu motivieren, doch endlich mitzuziehen: „Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, diese Krise nicht nur erfolgreicher, sondern auch sozialverträglicher als unsere Wettbewerber auf der ganzen Welt zu bewältigen.“

Wie die Lufthansa die Krise bewältigen will? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. „Es war zwar noch nie so eilig, aber auch noch nie so schwer, einen Rettungsplan zu erstellen“, erklärt ein Insider. Die heftigste Krise des Konzerns erfordert nicht nur den tiefsten Umbau der Geschichte. Sie verlangt auch einen Plan, der eigentlich unvereinbare Dinge verbindet: Sparen und neu ausrichten – ohne das Alte zu gefährden, weil der Konzern es vielleicht noch braucht.

Da ist zum einen der Umfang der nötigen Einsparungen. „Es ist schwer, sich ein Programm vorzustellen, das groß genug, sowie realistisch umsetzbar ist. Denn es muss so viele dauerhafte Erträge erwirtschaften, dass Lufthansa bald seine Schulden zurückzahlen kann und zumindest einigermaßen gestärkt aus der Krise kommt“, sagt Daniel Roeska, Analyst des New Yorker Brokerhauses Bernstein und zuvor viele Jahre Lufthanseat. Allein um Zinsen und die rasche Tilgung der je nach Rechnung sieben bis elf Milliarden Euro aus den Staatskrediten zu stemmen, braucht die Linie wahrscheinlich rund zwei Milliarden zusätzliche Erträge pro Jahr. Für nötige Investitionen in neue Flugzeuge, Digitalisierung und andere Effizienzmaßnahmen könnte der gleiche Betrag anfallen. Wenn der Umsatz aber wie erwartet auf zwei Drittel der gut 30 Milliarden Euro im Jahr 2019 sinkt, wären für diese vier Milliarden zusätzlich Einsparungen von mindestens 20 Prozent über alle Bereiche nötig. „Das hat noch keine Airline geschafft und schon gar keine, die vor der Krise in vielen Bereichen bereits so ausoptimiert war wie die Lufthansa“, sagt ein mit dem Unternehmen bestens vertrauter Berater. Zum Vergleich: Im zweiten Quartal 2020 sanken die Umsatzerlöse um 80 Prozent zum Vorjahr – von 9,6 auf 1,9 Milliarden Euro.

Woher soll zusätzliches Geld kommen?

Dafür wird die Linie wohl oder übel bislang Undenkbares tun müssen. Die bisherigen Stützen der Bilanz müssen geschwächt werden. Dazu gehört der Verkauf der bislang fast komplett im Eigenbesitz befindlichen Flotte, die Spohr zurückleasen müsste, selbst wenn das mittelfristig teurer wird. Denn jetzt bekäme er für seine Jets nur wenig Geld. Doch steigt mit dem Fluggeschäft die Nachfrage nach Mietmaschinen, klettern auch die Leasingraten.

Zusätzliches Geld könnte auch der Verkauf eines mehr oder weniger großen Teils der Wartungstochter Lufthansa Technik bringen. Doch mit jedem Prozent weniger Anteil sinkt im Aufschwung auch der Anteil an den Überschüssen. „Aber es rechnet sich, wenn mit den Erlösen die Schulden und damit der Kapitaldienst deutlich sinkt“, meint ein Insider.

So kompliziert bereits dieser Teil wirkt, richtig hart wird es erst noch. Denn die Coronakrise hat vor allem eines gezeigt: Lufthansa braucht nicht nur niedrigere Kosten, sondern vor allem flexiblere. Die – wie auch bei Air France-KLM und mit Abstrichen IAG – im Vergleich zu Billigfliegern wie Ryanair und Wizz hohen Quartalsverluste rühren vor allem aus mangelnder Anpassungsfähigkeit der Ausgaben. So brach der Flugumsatz im vergangenen Quartal bei allen Airlines um 95 Prozent und mehr ein. Doch bei Ryanair lag der Fehlbetrag gemessen am Umsatz bei nicht mal einem Viertel dessen, was Lufthansa & Co. verloren haben.

Der Hintergrund: Ryanair gelang es, die Ausgaben in der Krise um etwa 85 Prozent zu drücken. Lufthansa schaffte nur rund 60 Prozent. Das rührt nicht nur daher, dass Ryanair schnell und rigoros die Gehälter kürzte. Wichtiger ist, dass Lufthansa vergleichsweise viele Dinge wie die Wartung und die Abfertigung am Flughafen selbst macht. Ryanair hingegen hat schon vor der Krise viele Dinge an Fremdfirmen vergeben. Somit entfielen mit der Arbeit auch ein großer Teil der Ausgaben – und die Probleme hatten dann eben die Geschäftspartner.

Diese Flexibilität wird künftig noch wichtiger. Zwar setzen weite Teile der Flugbranche bereits wieder auf ein langes Wachstum. Doch das Geschäft wird künftig schwerer planbar. Selbst wenn es eine Corona-Schutzimpfung gibt, dürfte die Nachfrage stärker schwanken als bisher. Das trifft vor allem Netzwerklinien wie Lufthansa. „Ihr Kern ist anders als bei Billigfliegern nicht der Urlaubsverkehr in Europa, sondern das Geschäft auf der Langstrecke und mit Geschäftsreisen“, sagt Andrew Lobbenberg, Analyst der Investmentbank HSBC in London.

In beiden Bereichen ist nicht nur völlig offen, wann sie wieder hochfahren. Sie funktionieren auch anders als die Ferienshuttles zum Mittelmeer. Letztere werden meist ein paar Wochen im Voraus gebucht und lassen sich leichter wieder einstellen. Urlaubsflüge nach Übersee hingegen werden Monate im Voraus gebucht, Geschäftsreisen oft nur Tage. Darum sind beide schwer abzusagen. Trotzdem muss Lufthansa Flüge anbieten und dafür mit Jets und Personal planen. „Sonst verlieren wir Fernurlauber und reisende Manager endgültig an die Golflinien“, so ein Lufthanseat. Aber wenn niemand bucht oder sich gar in einer Region die Coronapandemie verstärkt, muss die Lufthansa auch schnell und ohne große Ausgaben streichen können.

Es wird jedoch nicht möglich sein, das ohne einen Tabubruch hinzubekommen. „Flexiblere Kosten gibt es nur, wenn Lufthansa wie Ryanair das wirtschaftliche Risiko stärker als bisher auf Lieferanten und vor allem die Belegschaft verlagert. Die müssen dann mit ihren Einkommen Rückgänge ausgleichen ohne Aussichten in guten Zeiten einen Zuschlag zu bekommen“, so ein Berater. „Darauf können sich vor allem Gewerkschaften aber nur schwer einlassen.“

Auch wenn bislang nur wenig von Spohrs Rettungsrezept nach außen drang: Wer in den Konzern hineinhorcht, erfährt die Gründe für die Verschlossenheit. „Es dauert einfach länger. Das Programm bindet schließlich nicht nur die knapp 140.000 Lufthanseaten, die bis zu 500 Flughäfen und mehr als 1000 weiteren Lieferanten ein“, sagt ein Kenner des Konzerns. „Es muss auch beim ersten Aufschlag sitzen.“

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