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Werbung: Die Revolution der Branche gefährdet Agenturen Quelle: imago images

Die Revolution im Werbemarkt bringt Agenturen in Gefahr

Es bahnt sich in der Werbebranche eine Revolution an. Immer mehr neue Markt-Player strömen in das profitable Geschäft und die Geschäftsmodelle der Agenturen erweisen sich als obsoleter denn je.

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Vor Jahren waren es noch vereinzelte Nachrichten, die den Agenturen wenig Anlass zur Sorge bereiteten. Doch mit der Zeit nahmen die Meldungen zu. Inzwischen kann man von Gewissheit sprechen: Die Werbekunden holen sich das Zepter, die Hoheit über ihre Werbekampagnen und über die Ströme ihrer Mediagelder zurück. Sie wenden sich ab von ihren Agenturen, besorgen sich neue Berater und beginnen ihre Mediainvestitionen selbst zu steuern.

Zu lange fühlten sich die Agenturen sicher. Zu lange glaubten sie, niemand könne in ihre Hoheitsgebiete – die Marketingberatung, das Erschaffen kreativer Kampagnen und die Verteilung der Mediagelder – einbrechen. Es entwickelten sich mit der Zeit wenige, dafür riesige, börsennotierte Agentur-Holdings wie WPP. Sie beherrschten die Agenturmärkte, allen voran den der Mediaagenturen, fast vollständig.

Branchenkrösus WPP beispielsweise besteht aus unzähligen Kreativagenturen (u.a. Grey, JWT, Ogilvy, Y&R) und führenden Mediaagenturen wie Mediacom, Mindshare und Wavemaker. Auf den Plätzen folgen Omnicom, Publicis, Dentsu und Interpublic. Sie deckten bislang das gesamte Spektrum der Kommunikationsdienstleistung ab: Beratung, Werbung, Media, Digital, PR, Verkaufsförderung, Marktforschung. Allein im Mediabereich verantworten heute eine Handvoll globaler Agenturen fast drei Viertel des weltweiten Mediavolumens von 600 Milliarden Dollar.

Während die Werbe-Holdings lange noch glaubten, ihre Märkte abschotten und unter sich aufzuteilen zu können, begannen sich nach und nach immer mehr und immer neue Wettbewerber zu formieren. Zu ihnen gehören internationale Beratungsunternehmen wie Accenture, Boston Consulting, McKinsey, Deloitte und PwC, ebenso aber auch IT-Dienstleistungsriesen wie SAP, IBM und Adobe. Schon das reine Investitionsvolumen spricht für sich: Laut einer Studie von R3 gab es seitens der Beratungsunternehmen 2016 mehr Beteiligungen im Bereich Werbung, Marketing und Ad Tech von Beratungsunternehmen als je zuvor. Berater wie Accenture, Deloitte, IBM, KPMG und McKinsey investierten 1,2 Milliarden Dollar. Das entspricht einem 134-pozentigen Anstieg. Im Vergleich dazu sanken jedoch die Investitionen der Agenturen wie WPP & Co um 46 Prozent auf 1,8 Milliarden Dollar. Es scheint, als ginge den Agenturen vorzeitig die Luft aus.

Als Accenture 2013 zunächst den Londoner Design- und Strategiedienstleister Fjord und dann 2017 die Hamburger Digitalagentur Sinner Schrader kaufte, begann die Branche langsam zu erahnen, dass sich die Berater neu aufstellen. Längst wurde in französischen Börsenkreisen spekuliert, Accenture würde bald, einem „Hurrikan“ gleich, gar eine der fünf globalen Agenturgruppen übernehmen. In seinem Beitrag „Kapituliert die Agenturbranche vor der Übermacht der Berater?“ schreibt Chefredakteur Volker Schütz im Branchenblatt Horizont: „Die großen Networks agieren panisch, die Agenturszene insgesamt ist hilflos.“

Das Geschäft mit Marketingberatung und Kreation werden die Agenturen wohl oder übel künftig mit den Beratungsunternehmen teilen müssen. In Fragen der digitalen Transformation sieht eine Studie von Lünendonk & Hossenfelder die IT-Berater sogar deutlich besser aufgestellt als die Agenturen.

Gewaltig verhoben

Accentures jüngster Coup, der Einstieg ins profitable Geschäft des digitalen Mediaeinkaufs, dürfte den Agenturbossen in New York, Chicago, London, Paris und Tokio den Angstschweiß noch weiter auf die Stirn treiben. Insbesondere beim automatisierten Einkauf digitaler Werbeplätze („Programmatic“) dürften sich die Agenturen gewaltig verhoben haben. Sie selbst waren es, die die neue Technologie mit aller Kraft vorantrieben – offensichtlich nicht ahnend, wie austauschbar sie sich dadurch machen würden. Nicht nur kann jedes Technologieunternehmen mit Leichtigkeit in diesem Markt Fuß fassen, die neuen Wettbewerber sind auf diesem Feld jeder Agentur sogar gewaltig überlegen.

Mit XM baute SAP, Deutschlands Technologieriese Nummer eins, eine Infrastruktur, mit deren Hilfe Unternehmen den programmatischen Mediaeinkauf in die eigene Hand nehmen können. Zwar stellte SAP den XM-Betrieb inzwischen ein, doch das bedeutet für die Agenturen keine Entwarnung: SAP verlagerte das Geschäft lediglich intern um.

Media ist keine Geheimwissenschaft

Auch wenn Unternehmen wie Ferrero ihre schützende Hand noch über die Agenturen legen, regt sich auch bei den treuesten Seelen Kritik. So meint Ferrero Mediachef Uwe Storch: „Die Integrationsleistung fällt den klassischen Mediaagenturen aus unterschiedlichen Gründen immer schwerer. Den Unternehmensberatungen öffnet sich hier Tür und Tor. Sie qualifizieren sich durch ihre eher neutrale Lotsenfunktion im komplexen digitalen Umfeld, internationales Knowhow und skalierbare Ressourcen. Die Mediaplanung ist keine Geheimwissenschaft, mit Insiderwissen, das allein die bisherigen Mediaagenturen können sollen.“ Es ist demnach auch die mangelnde Neutralität, die den Agenturen angelastet wird.

In den USA ist die Entwicklung bereits vorausgeeilt. Procter & Gamble zählt zu den vielen Unternehmen, die derzeit ihre Agenturbeziehungen überprüfen. Dabei kommt laut Marketingchef Marc Pritchard auf den Prüfstand, welche Aufgaben intern übernommen werden können und welche weiterhin an Agenturen ausgelagert werden. Dabei können die Agenturen nur verlieren.

Den Agenturen entgleitet das Geschäft

Nach einer Umfrage des Interactive Advertising Bureau (IAB) unter US-Marketing-Führungskräften gaben 65 Prozent an, mit der hausinternen Abwicklung des programmatischen Einkaufs begonnen zu haben oder diesen bereits nicht mehr extern zu vergeben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch den deutschen Agenturen dieses Geschäft völlig entgleitet.
Für Bob Liodice, CEO der amerikanischen Association of National Advertisers, ist es „offensichtlich, dass eine wachsende Zahl von Marketers zunehmend die Kontrolle über ihre Mediainvestitionen übernehmen.“ Die Einschläge kommen von allen Seiten: Google und Facebook („Goobook“) gehören schon lange zu den größten Medienvermarktern der Welt. Sie teilen inzwischen 90 Prozent des digitalen Werbewachstums unter sich auf. Das Problem für Agenturen: Google und Facebook machen das Geschäft am liebsten direkt mit den Werbekunden. Auch immer mehr Kunden finden Gefallen daran, das Mediageschäft direkt mit den Medienvermarktern abzuwickeln: Die Transparenz steigt und alle Rabatte landen direkt beim Unternehmen.

Wenn dann in den nächsten Jahren noch die Blockchain-Technologie Einzug ins Marketing hält und damit alle Prozesse und Geldflüsse transparent werden, dürfte es um das bislang profitable Geschäftsmodell der herkömmlichen Agenturen endgültig geschehen sein.

Die Agenturen haben die Kontrolle über das Werbegeschäft offenbar schon längst verloren. Einen Angriff von gleich fünf Seiten (Berater, IT, eigene Kunden, Goobook und Blockchain) hat das Kommunikationsgewerbe noch nie erlebt. Um zu überleben, müssten sie sich auf ihre ehemaligen Stärken konzentrieren: Markenführung, Kreation und unabhängige Mediaberatung. Nicht aber auf IT und automatisierte Einkaufsprozesse. Doch davon ist nichts zu sehen. Weder ist Einsicht zu erkennen – noch eine Umkehr. Sie laufen blind ins Messer.

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