Lebensmittel-Kennzeichnung Was der Nutri-Score wirklich bringt

Nutri Score Quelle: imago images

Nach Frankreich soll eine Farbskala nun auch in Deutschland zu gesunder Ernährung anstiften. Verbraucherschützer applaudieren dem Nutri-Score - ein wenig voreilig.

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Lecker, diese Pizza. Schön knusprig und reichhaltig belegt. Und schon nach sieben Minuten Backzeit fertig zum Genuss. Leider scheint sie nicht wirklich gesund zu sein. Auf dem Pappkarton jedenfalls ist auf einer Farbskala von einem grünen A bis zu einem roten E ein orangefarbenes D hervor gehoben. Dabei verbürgt sich die Herstellerfirma Sodebo - der französische Dr. Oetker unter den Fertiggerichten - auf der Schachtel dafür, dass sie seit 40 Jahren höchste Ansprüche an die Qualität ihrer Produkte stellt. Man kaufe bei lokalen Erzeugern ein.

Der Haken sind die vier Käsesorten auf dem Belag. Die bestehen käsetypisch aus einer Menge Fett. Auf der besagten Skala namens Nutri-Score, die den Verbrauchern in Frankreich seit gut einem Jahr mit nur einem Blick Orientierung geben soll, bekommen gesättigte Fettsäuren genauso wie Zucker, Salz und Kalorien allgemein eine schlechte Note.

Gegengerechnet werden als gut bewertete Zutaten wie Ballaststoffe, Obst, Gemüse und Proteine. Daraus ergibt sich die Gesamtbeurteilung. Die paar Oliven und die Tomatensauce auf der Pizza können den Käse nicht wettmachen. Nun kommt Nutri-Score auch nach Deutschland. Freiwillig. Kein Hersteller ist dazu verpflichtet, die Skala zu verwenden. Ob das den Verbrauchern wirklich dient, ist umstritten.

Erstaunlich ist, dass dennoch deutsche Verbraucherzentralen Nutri-Score in diesen Tagen uneingeschränkt applaudieren. „Verbraucher wollen einfach und schnell informiert werden,“ sagte Klaus Müller, Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), der Deutschen Presse-Agentur. Die Bundesregierung solle daher zügig ein Modell nach französischem Vorbild auf den Weg bringen. „Die Zeit drängt,“ so Müller. Der vom ehemaligen Greenpeace-Geschäftsführer Thilo Bode gegründete Verein Foodwatch behauptet zudem, „selbst bei Personen, die sich im Alltag nicht für Ernährungsempfehlungen interessieren und bei Haushalten mit geringem Einkommen wirkte sich Nutri-Score positiv auf die Nährwertqualität der eingekauften Lebensmittel aus“. Dabei stützt sich Foodwatch auf Studien und Evaluierungen, die vor der Einführung der Skala im französischen Lebensmitteleinzelhandel erstellt wurden.

Tatsächlich muss man Produkte mit dem Nutri-Score auch Anfang März 2019 noch in den französischen Regalen suchen. Die Regierung in Paris hatte seine Anwendung im Oktober 2017 nach einer Reihe von Lebensmittelskandalen empfohlen. Die bisherigen Nährwertangaben würden oft als kompliziert und unverständlich erachtet, argumentierte sie. Eine europaweit verpflichtende einfachere Kennzeichnung war an der Uneinigkeit der EU-Mitgliedstaaten gescheitert. Derzeit machen rund 80 Unternehmen und Marken mit - von mehreren tausend, die sich in einem gut sortierten Supermarkt finden lassen. Allerdings sind selbst bei ihnen nur einzelne ihrer Produkte gekennzeichnet.

von Thomas Stölzel, Simon Book

„Das braucht seine Zeit,“ sagt Laurence Peyraut, Marketing-Expertin beim führenden französischen Milchproduktehersteller Danone. Die Waren mit den neuen Verpackungen gelangten nach und nach in den Handel. Schließlich wolle man keine Lebensmittel vernichten, nur weil sie noch nicht entsprechend gekennzeichnet seien. Nach demselben Prinzip will das Unternehmen im Laufe dieses Jahres auch auf dem deutschen Markt vorgehen. Danone gehört hier neben Iglo und Bonduelle zu den Pionieren der Farbskalierung.

In einem x-beliebigen Supermarkt von Paris tragen aktuell vor allem unverdächtige Danone-Produkte den Nutri-Score: etwa ein Naturjoghurt, dem kein Zucker zugefügt wurde, oder ein Dessert mit Pfirsichen und Passionsfrucht der Marke Light & Free. Pudding und Schokocreme dagegen bewegen sich noch unter dem Radar. „Unser Ziel ist es, bis Ende des Jahres für 70 Prozent unserer Produkte die Kategorien A oder B zu erreichen,“ so Peyrat. „Wir haben Nutri-Score nicht nur eingeführt, weil die Verbraucher Transparenz verlangen. Es ist Ausdruck unserer eigenen Überzeugung, zur Gesundheit der Verbraucher beizutragen.“

Iglo liegt besonders daran, von den Kunden nicht als Oberlehrer wahrgenommen zu werden. „Uns ist wichtig, nichts zu verbieten und ohne erhobenen Zeigefinder zu informieren,“ lassen die Verantwortlichen des führenden europäischen Spezialisten für Tiefkühlkost auf ihrer Website wissen. Sie folgten dem französischen Vorbild nur aus einem Grund: „Laut der Information der Verbraucherzentrale wünschen sich über 80 Prozent der deutschen Konsumenten, dass sie einfacher ausgewogene Lebensmittel finden.“

Allerdings ist der Marketing-Effekt von Nutri-Score nicht zu vernachlässigen - gerade wenn noch wenige Marken mit der Skala auf dem Markt sind. „Wenn ein Produkt das Logo nicht trägt, macht sich der Hersteller verdächtig,“ sagt der Ernährungswissenschaftler Serge Hercberg. Seine Arbeiten an der Universität Paris-Nord waren maßgeblich an der Einführung von Nutri-Score in Frankreich beteiligt.

„Nutri-Score ist sicher nicht perfekt“

Nicht zufällig beeilte sich Danone, als erstes Produkt in Deutschland seine „Fruchtzwerge“ mit der Skala auszustatten. Sie tragen ein „B“, genauso wie ihre französischen Brüder, die „Danoninos“. Vorbei die Zeiten, in denen die Zwerge als überzuckerte fette Pampe verschrien waren, die man Kindern besser vorenthielt? „Sie werden damit als Lebensmittel mit einer guten Nährwertqualität eingestuft,“ betont der Hersteller. „Diese positive Bewertung resultiert aus der kontinuierlichen Rezeptverbesserung.“ Seit der Markteinführung vor mehr als 35 Jahren sei der Zuckergehalt um 37 Prozent und der Fettanteil um 68 Prozent reduziert worden. Danone veröffentlicht auf seiner Website die Rezepturen zahlreicher Produkte.

Am Kühlregal in Frankreich fällt auch die große Menge der Fertiggerichte auf, die bereits den Nutri-Score tragen. Die Kategorie „D“ für die Fertigpizza von Sodebo ist dabei die Ausnahme. Folgt man dem NutriScore, gibt es kaum eine ausgewogenere Ernährung als die mit Vorgekochtem. Das panierte Putenschnitzel hat sogar ein dunkelgrünes „A“ bekommen, wie die Pasta in Tomatensauce. Die Nudeln mit Schinken und Käse tragen immerhin ein hellgrünes „B“.

„Nutri-Score ist sicher nicht perfekt“, sagt David Garbous, Direktor für Marketing und Strategie bei Fleury Michon. Der Konkurrent des deutschen Wurst- und Fleischwarenherstellers Herta setzt trotzdem darauf. „Mit der Verwendung dieses Zeichens sagen wir den Verbrauchern auch: „Schaut her, wir haben nichts zu verbergen.“

Der Ansatz ist allerdings auch in Frankreich umstritten. Im vergangenen September kehrte Fleury Michon dem französischen Branchenverband im Streit den Rücken. Der Verband hatte sich nach heftigen Diskussionen gegen die Kennzeichnung ausgesprochen. Grund: Nutri-Score stigmatisiere die Produkte der Fleisch- und Wurstwarenindustrie. Zu viele gesättigte Fettsäuren.

Auch die französische Behörde für Lebensmittelsicherheit, Umwelt- und Arbeitsschutz (Anses) war nie Feuer und Flamme für Nutri-Score. Die Relevanz der Informationen sei nicht bewiesen, argumentierte sie. Die Skala berücksichtigt zum Beispiel weder den Zusatz von Farbstoffen oder Aromen noch unterscheidet sie gute und schlechte Kalorien wie die von Lachs im Gegensatz zu Schokolade. Die Herkunft ist genauso Nebensache wie der mögliche Austausch von Zucker und Fetten durch künstlich hergestellte Stoffe.

Genau mit diesen Mankos wettert jetzt der deutsche Marktführer bei Tiefkühlgerichten, Frosta, gegen Nutri-Score. Stellvertretend für die Lebensmittelindustrie in Deutschland macht der Spitzenverband BLL Front. Eine farbliche Kennzeichnung sei für den Verbraucher eher „verwirrend und irreführend,“ kritisiert seine wissenschaftliche Leiterin Angela Kohl. Lebensmittel wie Lachs, der wertvolle Omega-3-Fettsäuren enthalte, würden nicht mehr verzehrt, meint sie.

Ein Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel sei jedoch aus ernährungswissenschaftlicher Sicht grundsätzlich nicht sinnvoll. „Es kommt nicht auf ein einzelnes Produkt an, sondern was ich pro Tag, pro Woche und über einen längeren Zeitraum verzehre.“

Die Bundesregierung in Berlin ringt noch mit sich und der Farbskala. In Frankreich gibt es derweil nach wie vor mehr Käsesorten als Tage im Jahr. Unzensiert. Denn für frische Produkte auf dem Markt oder beim Händler um die Ecke gilt Nutri-Score nicht.

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