Terrorfolgen Luftfahrt nach 9/11: Nichts ist mehr wie zuvor

Ground Zero nach dem Anschlag vom 11. September. Quelle: AP

Die Coronakrise wird die Luftfahrtbranche gründlich verändern, doch am wahrscheinlich weniger prägen als die Reaktion auf die Terroranschläge im September 2001. Vor allem fünf Dinge stellten die Branche seit damals auf den Kopf und machten Fliegen von zu einer schnellen Selbstverständlichkeit zu einer ebenso unbequemen wie unkalkulierbaren Belastung.

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Wenn ein Thema die Luftfahrtbranche nach gut 18 Monaten Coronakrise umtreibt, dann die Frage, wie das neue Normal aussieht und wann es endlich kommt. Doch so groß die Veränderungen auch scheinen etwa durch eine geringere Zahl von Geschäftsreisen, hochverschuldete Airlines oder dem Druck zu mehr Nachhaltigkeit: Der Wandel könnte am Ende weniger gravierend sein, als die durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 ausgelösten Veränderungen, glauben Branchenkenner wie der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt: „Seit damals wurde Fliegen von einer Art schneller Selbstverständlichkeit zu einer ebenso unbequemen wie fast unkalkulierbaren Belastung. Und auch für die Airlines war fast nichts mehr wie zuvor“.

Dafür sorgen vor allem fünf Neuerungen, die alle Passagiere und die beteiligten Unternehmen betrafen.

Die Sicherheitskontrollen – vom einfach durchlaufen zu weltweitem Warten

So sehr die Fluglinien und Airports auch darauf achteten, dass Flugzeuge sicher funktionierten: die Kontrollen von Personal und Passagieren bleiben bis Ende 2001 lax. Zwar wurden die Passgiere und ihr Gepäck nach Schusswaffen und größeren Messern durchsucht. Doch auch wenn im Jahr 1988 eine Boeing 747 der US-Linie Pan-Am nach einem angekündigten Bombenanschlag abstürzte, suchten die Kontrolleure am Flughafen eher oberflächlich. „Wir alle konnten uns einen fliegenden Selbstmordattentäter nicht vorstellen“, erinnert sich ein früherer Airlinechef. Also kam es vor allem in den US-Airports darauf an, das schnell kontrolliert wurde, auch damit die Kundschaft entweder schneller in ihrer Maschine saß oder mehr Zeit um Essen oder Einkaufen am Airport hatte.

Quasi über Nacht wurde aus der Kontrolle im Vorbeigehen eine kaum kalkulierbare Sache. „Konnte ich vor 9-11 nur 30 Minuten vor Abflug aus meinem Büro am Hamburger Flughafen, musste ich danach selbst mit der Fast Lane genannten Spur für Vielflieger sicherheitshalber bis zu zwei Stunden und mehr einkalkulieren“, so Großbongardt.



Als erstes wurden die Kontrollen von Passagieren und Handgepäck verschärft. Zuerst waren alle spitzen Gegenstände bis hin zu Nagelscheren verbosten. Nach Versuchen Sprengstoffe in Schuhen oder der Unterwäsche ins Flugzeug zu bringen, folgten neue Geräte wie die als „Nacktscanner“ verspotteten Durchleuchtungsgeräte, die auch unter der Kleidung versteckte Waffen finden sollten.

Die größte Veränderung brachte der Sommer 2006. Als in London eine Terrorgruppe Flugzeuge mit Flüssigsprengstoff in die Luft jagen wollte, untersagten die Behörden zuerst jegliches Handgepäck. Später ließen sie immerhin Handkoffer wieder zu, wenn Cremes und Pasten in Mengen bis zu 100 Milliliter in einem durchsichtigen, wiederverschließbaren Beutel steckten. Das Verbot sollte spätestens 2011 enden, doch es gilt bis heute.

Dafür sorgt nicht etwa, dass die Flughäfen dank des Verbots mehr Getränke verkaufen können, sagt Michael Garvens, ehemals Chef des Flughafens Köln und heute selbstständiger Berater. „Gäbe es die Geräte, wären die Kontrollen schneller und die Passagiere hätten mehr Zeit, um am Flughafen statt Erfrischungsgetränken andere Dinge zukaufen, an den die Airports deutlich mehr verdienen.“ Grund für das andauernde Flaschenverbot war vielmehr, dass die Technik zum Aufspüren gefährlicher Substanzen später und anders kam als erwartet.

Zuerst waren die Geräte nicht sehr zuverlässig und so groß, dass sie praktisch nicht in die bestehenden Kontrollspuren der Flughäfen passten. Dazu waren sie so teuer, dass die Airports ihre Gebühren hätten erhöhen müssen, was die vom Preiskampf gebeutelten Fluglinien nicht zahlen wollen. Und jetzt wo diese Probleme gelöst sind, nutzen zwar einige Staaten die Geräte im Inlandsverkehr. „Doch für internationale Flügen dauert die Zulassung, weil sich die Behörden nicht auf einen globalen Standard einigen können“, stöhnt ein Manager eines Herstellers.

Später folgten weitere Kontrollen für das aufgegebene Gepäck. Prüften die Airports vor dem 11. September nun einen von 20 Koffern auf gefährliche Güter, so durchleuchten Sie jetzt jeden Koffer.

Der Flugbetrieb – Panzertüren und fliegende Marshalls

Weniger sichtbar, aber ebenso deutlich veränderten sich die Abläufe im Flugbetrieb. Weil sich die Attentäter des 11. September Zugang zum Cockpit erpresst hatten, gab es an Bord gleich zwei Anpassungen. Die eine war ein neuer Zugang zur Pilotenkanzel. Bis dahin waren die Türen relativ leicht durch Gewalt oder einen versteckten Hebel zu öffnen - wenn sie während des Flugs überhaupt je geschlossen waren. Nun wurden sie deutlich verstärkt und fest in die ebenfalls verstärkte Wand zwischen Cockpit und Kabine eingepasst. Dazu blieb der Zugang zum Cockpit im Flug geschlossen und war nicht ohne eine Freischaltung durch die Piloten zu öffnen.

Möglichst unauffällig war die zweite Veränderung. Um Flugzeugentführer zu bekämpfen, flogen nun auf einigen Verbindungen bewaffnete Polizisten mit. Diese Sky Marshal genannten Ordnungshüter haben angeblich eine besondere Munition. Die stoppt anders als normale Patronen zwar Angreifer. Aber bei einem Fehlschuss durchschlägt sie nicht die Außenwand des Flugzeugs, was in der dünnen Luft auf der Reiseflughöhe für einen gefährlichen Druckverlust sorgen kann.

Aber auch für die Belegschaft am Boden änderte sich einiges. Konnten Sie bis zu 9-11 ohne große Tests in den Sicherheitsbereich der Flughäfen, mussten sie nun durch eine Kontrolle, die im Wesentlichen identisch war mit der, die Passagiere über sich ergehen lassen mussten.

Mehr Kundendaten, weniger Passagiere und Airlines

Datenübermittlung – der gläserne Passagier

Um potenzielle Gefährder erst gar nicht an Bord zu lassen, wollten vor allem die USA möglichst alles über angehende Amerikareisende wissen. Also müssen die Fluglinien seit rund 15 Jahren in zunehmendem Umfang Daten übermitteln. Zuerst nur die US-Behörden, aber später prüfen auch andere Staaten Buchungen. Sie suchen Anzeichen, die seit den Reisen der 9-11-Attentäter als verdächtig gelten, etwa Buchung nur eines Hinflug aber keiner Rückreise, Barzahlung und bestimmte Namen wie sie auch auf den No-Fly-Listen genannten Datenbanken für potentielle Terroristen stehen. Dabei gab es dem Vernehmen nach vor allem Anfangs immer wieder Verwechslungen und unberechtigte Flugverbote.  

Später wuchsen die Ansprüche. Spätestens bei der Einreise erfassen die US-Behörden seit gut zehn Jahren auch biometrische Daten wie alle Fingerabdrücke oder das Gesicht – ohne Brille. Wer kein Visum hat, muss sich vorher mit einem eigenen Formular anmelden, das die Airlines prüfen.

Reiseverhalten – seltener und vor allem billig

Die wachsenden Anforderungen veränderten allmählich das Reiseverhalten der Kunden, vor allem in den USA und in Europa. Als erstes sackte die Zahl der Geschäftsreisenden. Es begann vor allem in den westlichen Volkwirtschaften mit dem Ende der Dotcom-Boom genannten ersten Welle der Internetwirtschaft, in der die Konjunktur zuerst schwächelte und dann durch die Terroranschläge endgültig in die Rezession gerissen wurde. Doch auch als die Krise abklang, waren weniger Manager unterwegs, weil ihnen Flugreisen wegen der schwer einzuschätzenden Abläufe am Boden zu lange dauerten – und ihre Controller mehr auf die Kosten achteten. Zu den wenigen Ausnahmen zählte der Verkehr nach China und Indien. Dort war wegen der von den dortigen Behörden begrenzten Flugrechte die Nachfrage meist höher als das Angebot. Darum wurde etwa bis zur Finanzkrise ab 2008 die Lufthansa pro Flug bis zu 100 Sitze zum vollen Tarif los und verdiente dort dem Vernehmen nach mehr als die Hälfte ihres Gewinns. Doch seit 2010 wurde auch das anders.

Bei den Privatreisen war der Wandel nur vorübergehend. Zwar flogen alle Kunden aus Angst vor Anschlägen seltener und sowie preisbewusster. Dazu nutzten sie vermehrt die anders als heute noch deutlich günstigeren Billigflieger. Doch das änderte sich rasch, außer bei den Reiseveranstaltern. Weil deren Kundschaft ihren Urlaub zunehmend online und an Reiseriesen wie Tui vorbei buchten, übertrafen die deutschen Urlaubskonzerne erst 2008 ihre Umsätze aus 2001.

Umbau der Flugbranche – wachsen oder sterben

Zu dem neuen Kundenverhalten kam der Druck durch neue Konkurrenten. Billigflieger attackierten die etablierten Linien mit niedrigeren Preisen, die sie sich dank ihrer besseren Kosten gut leisten konnte. Dazu warben asiatische Fluglinien wie Emirates aus Dubai, Singapore Airlines oder Cathay Pacific aus Hongkong mit mehr Komfort an Bord um die Premiumkundschaft von Lufthansa oder British Airways. Dabei ging zunächst überschuldeten Linien wie Swissair oder Sabena aus Belgien die Luft aus.

Um sich dieses Schicksal zu ersparen, wollten die etablierte Linien sparen. Doch weil die unmittelbare Kostensenkung schwer war, versuchten sie sich in neuen Wegen. In den USA gingen die sechs Marktführer durch vergleichsweise milde Insolvenzverfahren, wo sie sich von teuren Verträgen mit Gewerkschaften, Flughäfen und Flugzeuganbietern lösten. Danach gab es eine Fusionswelle, bei der nur American Airlines, Delta Airlines und United Airlines übrigbleiben – und der Billigflieger Southwest.

Weil den Europäern kein solches Insolvenzverfahren offenstand, versuchten die großen Drei Zusammenschlüsse mit effizienteren Linien wie Lufthansa mit Swiss oder Air France mit KLM – in der Hoffnung, durch das Wachstum auf niedrigere Durchschnittskosten zu kommen. Gleichzeitig versuchten sich alle im Aufbau eigener Billiglinien. Das ging bei den meisten zunächst schief. Doch inzwischen funktionieren die Konzerndiscounter Eurowings (Lufthansa), Transavia (Air France-KLM) oder Vueling aus dem British-Airways-Konzern IAG.

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Diese Veränderungen prägen die Branche bis heute. „Und ob die Coronakrise wirklich mehr bewegt, bleib abzuwarten“, sagt Großbongardt.

Mehr zum Thema: Was die Corona-Krise sehr wohl bewegt hat, ist die Wirtschaft der ganzen Welt. In den USA lahmt sie zum Beispiel, denn in ihrem Konjunkturbericht spricht die Fed von nur noch moderatem Wachstum. Trotzdem ist ein Ausstieg aus dem geldpolitischen Krisenmodus geplant.

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