Dual-Use Das schwierige Verhältnis zwischen Start-up-Szene und Aufrüstung

Das Team des Bremer Start-ups Polaris arbeitet an einem Hyperschallflugzeug, das vor allem im militärischen Bereich eingesetzt werden soll. Quelle: PR

Europa rüstet auf, kommt aber nur schleppend voran. Innovationen könnten von Start-ups kommen. Doch die brauchen viel Geld – und den Investoren sind die Hände gebunden.

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Das Münchner Start-up Helsing setzte im vorigen Herbst ein Zeichen: Investoren hatten das junge Rüstungsunternehmen mit mehr als eine Milliarde Dollar bewertet. Ein Novum in der deutschen Gründerszene. Helsing war da gerade einmal zwei Jahre alt und das erste Start-up aus der Verteidigungsindustrie mit Unicorn-Status. Das Unternehmen hat eine Künstliche Intelligenz für Kampfflugzeuge, U-Boote und Panzer entwickelt. Die Software dient zur Aufklärung und wird zum Beispiel in der Ukraine an der Front eingesetzt.

Finanzstarke Player wie Spotify-Erfinder Daniel Ek und der schwedische Automobilbauer Saab sahen Potenzial in Helsing, mehr als 300 Millionen Euro Wagniskapital hat das Software-Unternehmen in Summe erhalten. Eine Seltenheit.

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat das Thema Dual-Use zwar an Relevanz gewonnen, es fließen aber nur geringe Summen an Investorengelder in diesen Markt. Dual-Use umfasst Technologien, die sowohl für zivile als auch militärische Zwecke eingesetzt werden – etwa Drohnen, Satelliten oder Programme, die Informationen in Echtzeit liefern. Europa rüstet massiv auf, Deutschland hat sein Verteidigungsetat aufgestockt und die Europäische Union 2021 ihre Dual-Use-Verordnung überarbeitet. Dutzende Gründerteams haben sich dem Thema angenommen. Neuen Geschäftsmodellen steht also nichts im Wege. Zumindest in der Theorie.

Das Geld, das Wagniskapitalgeber in Start-ups stecken, erhalten sie von Konzernen, Stiftungen oder vermögenden Privatpersonen. Die stellen aber häufig gewisse Bedingungen. KfW Capital etwa, eine Tochterfirma der staatlichen KfW, finanziert einen Großteil der deutschen Fonds. Auf der Ausschlussliste für Start-up-Geschäftsmodelle stehen beispielsweise Glücksspiel, Atomkraftwerke und Waffen. Gemeint ist, dass das Geld von KfW Capital nicht in „Produktion oder Handel von Waffen, Munition oder wichtigen Komponenten hiervon“ fließen darf.

Nato-Fond guckt nach München

Zwar zielt dieser Kritikpunkt nicht automatisch auf jedes Dual-Use- beziehungsweise Rüstungsunternehmen ab. Diverse Gründer berichten allerdings, dass Venture-Capital-Geber mit Blick auf die Interessen ihrer Finanziers von vornherein eine Absage erteilen. Das wirft jedoch nicht nur Probleme für die betroffenen Start-ups auf, sondern auch für die Rüstungsprogramme der Nationen, in denen es jahrelang kaum Innovationen gab.

München gilt als der deutsche Standort für Deeptech-Unternehmen. Aus dem Ökosystem der Technischen Universität München entstehen regelmäßig Hidden Champions. Bei TUM Venture Labs, einem Start-up-Programm der Hochschule, nimmt Dual-Use seit etwa einem Jahr mehr Relevanz an. „Gemeinsam mit Partnern und Gründern diskutieren wir gerade zunehmend, welche Technologien unserer teilnehmenden Start-ups auch Anwendungen in Sicherheit und Verteidigung haben können“, sagt Chef Philipp Gerbert. Geldgeber wie der Nato Innovation Fund würden Interesse an einigen, bislang rein zivilen Technologien zeigen. Nur sei dieser Geldtopf auch nicht unendlich groß.

Dual-Use als Totschlagargument

„Ich sehe eine Verantwortung bei Start-ups in dieser geopolitischen Lage“, sagt Annika Wollermann, Chief Commercial Officer der Raumfahrtfirma Polaris. Denn: Start-ups arbeiten agiler als Konzerne, haben viel schnellere Entscheidungsprozesse und sind daher auch flexibler. Auch, wenn es darum geht, dass Gründerteams ihre Technologien kurzerhand im ukrainischen Kriegsgebiet austesten. Von der Idee bis zur Umsetzung dauert es eher Monate als Jahre. Und das brauchen die Verteidigungsministerien jetzt. Das war auch in Gesprächen am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz Thema.

Wollermanns Start-up Polaris entwickelt Drohnensysteme mit Hyperschall, die künftig als Raumflugzeuge eingesetzt werden sollen. Der Kopf der Firma ist Raumfahrtexperte Alexander Kopp. Polaris arbeitet seit vier Jahren an der Technologie und benötigt eigenen Angaben zufolge noch mindestens drei weitere. Die Hyperschall-Drohnen sind in erster Linie für den militärischen Zweck konstruiert, also zur Aufklärung, können aber auch zu Forschungszwecken genutzt werden. Die bislang größte Kundin ist die Bundeswehr. Bei der Suche nach Geldgebern hilft eine solch namhafte Partnerin aber auch nicht, wie Wollermann berichtet.

von Max Biederbeck, Luisa Bomke, Rüdiger Kiani-Kreß

„Wir merken, dass viele Investoren Dual-Use kategorisch ausschließen, obwohl der Bereich ja breit gefächert ist,“ so die frühere Strategieberaterin. Die Ausschlusskriterien der Fonds seien nicht mehr zeitgemäß. „Ich habe die Vermutung, dass das Argument Dual-Use von VCs auch manchmal vorgeschoben wird, um die Absage nicht noch weiter erklären zu müssen. Damit wird allerdings ein falsches Signal gesendet.“

EU mit „großer Sorge“

Die Europäische Union hat mit dem EDF einen Milliardenfonds aufgesetzt, der allein auf die Verteidigungsindustrie abzielt. Laut einer Sprecherin ist die Zahl der förderbedürftigen Unternehmen seit dem Start 2021 immens gestiegen. „Wir beobachten mit großer Sorge, welche Hürden es beim Kapitalzugang gibt – vor allem bei kleinen und mittelständischen Unternehmen“, so Flore Boutier. Die EU-Kommission und der europäische Innovationsfonds haben daher im Januar ein neues Programm auf den Weg gebracht. In den nächsten vier Jahren stehen 175 Millionen Euro bereit, die in Private-Equity- und Venture-Capital-Fonds fließen sollen, wenn diese in Rüstungstechnologien investieren.

Einige Wagniskapitalgeber haben den Trend erkannt und unterstützen – aller Kritik und Herausforderungen zum Trotz – bereits Unternehmen mit Dual-Use-Technologien. Ein solcher VC ist Project A aus Berlin. Das Start-up Quantum Systems entwickelt Drohnen zur Überwachung, die zweite Portfoliofirma Arx Landsysteme baut Roboter in Form von kleinen Panzern, die Kriegsgegner verwirren sollen.

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„Wir haben uns die Mühe gemacht, mit all unseren Fondsinvestoren zu diskutieren. Denn Dual-Use-Güter sind keine Waffen und keine Munition“, sagt Uwe Horstmann, einer der General Partner von Project A, mit Verweis auf die Ausschlusslisten seiner Geldgeber. Der Reservesoldat glaubt, dass viele seiner VC-Kollegen diese Diskussionen gar nicht erst führen wollen und daher ein Investment direkt ablehnen. Und: Wenn die Venture-Capital-Geber für ihre nächsten Fonds auf die Suche nach finanzkräftigen Konzernen, Stiftungen und Privatpersonen gehen, werde die Waffen-Klausel eine große Rolle spielen.

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