Thyssenkrupp Die Fragen der Zukunft: Lohnt sich das noch? Oder: Müssen wir uns das nicht leisten?

Das Stahlwerk von Thyssenkrupp Steel Europe am Rhein. Die Fragen der Zukunft lauten: Lohnt sich das noch? Oder: Müssen wir uns das nicht leisten? Quelle: imago images

Was passiert jetzt, nach der NRW-Wahl, mit der Stahlindustrie? Bei Thyssenkrupp in Duisburg bedauert der Betriebsratschef die Klatsche für die SPD, fordert einen Gipfel von Hendrik Wüst – und setzt große Hoffnung auf Sigmar Gabriel.

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Ein wenig Bitterkeit schwingt an diesem Montag schon mit. Das kann Tekin Nasikkol nicht verhehlen. Vor allem, wenn der Betriebsratschef der Thyssenkrupp Steel Europe AG Richtung Düsseldorf blickt.

Drei, vier Mal sei Thomas Kutschaty, der SPD-Kandidat, im Wahlkampf hier im Stahlwerk in Duisburg gewesen. Er habe sich interessiert, persönlich engagiert. Hendrik Wüst, der CDU-Mann, dagegen sei zwar sofort nach Amtsantritt als Regierungschef im Oktober hier gewesen, bei seinem allerersten Termin, als die IG Metall drüben auf der Wiese vor der Hauptverwaltung demonstrierte, als die Kameras alle da waren, das überregionale Fernsehen. Aber seitdem? Nichts.

Zu ihm, sagt Nasikkol, immerhin der Vertreter von 27.000 Thyssenkrupp-Mitarbeitenden, habe Wüst seither keinen Kontakt mehr aufgenommen. Das hat Nasikkol überrascht – und ein Stück weit misstrauisch gemacht. Jetzt sei jedenfalls Schluss mit „Sonntagsreden“. Wüst müsse jetzt zeigen, dass er wirklich etwas für den Stahl tun will. Schnell. Und konkrete Vorschläge, wie das aussehen kann, hat Nasikkol auch.

Stahlbetriebsratschef von Thyssenkrupp Tekin Nasikkol. Quelle: dpa

Das erste leibhaftige Treffen nach zweieinhalb Jahren

Es ist ein besonderer Tag für Thyssenkrupp Steel Europe. Nicht nur, weil es der Tag nach der Wahl ist, sondern vor allem, weil am Morgen um neun Uhr erstmals seit zweieinhalb Jahren wieder leibhaftige Menschen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, drüben in der Mercatorhalle in Duisburg zu einer Betriebsversammlung zusammengekommen sind. Rund 3000. Mit Maske zwar, aber was soll’s? Ein Treffen, so richtig echt. Man merkt Nasikkol, dem frisch wiedergewählten Chef des Betriebsrats Hamborn und Beekerwerth an, dass für ihn allein das ein Zeichen der Befreiung ist, des Aufbruchs, ein Zeichen der Normalität in einem Stahlkonzern, in dem der Ausnahmezustand die Regel geworden ist. Wie geht es weiter mit der geplanten Abspaltung vom Mutterkonzern? Wie soll die Transformation hin zu Wasserstoff und grünem Stahl gelingen? Und was für eine Rolle soll der neue Aufsichtsratschef Sigmar Gabriel nur einnehmen? Bei einem Pressetermin am frühen Nachmittag, in der Gewerkschaftsbaracke gleich neben Werkstor 1, will Nasikkol seine Position erläutern.

Dabei hat Nasikkol tatsächlich vor allem Forderungen an die Politik. „Ich hab‘ es langsam leid“, sagte er. „Es ist kein Erkenntnisthema mehr, sondern ein Umsetzungsthema.“ Von Hendrik Wüst, dem Wahlsieger, der mutmaßlich auch der nächste Ministerpräsident an Rhein und Ruhr sein wird, erwartet Nasikkol, dass er möglichst schnell einen „Stahlgipfel“ einberuft, ein Treffen aller „relevanten politischen und wirtschaftlichen Akteure“, aller, die mit der Branche in Nordrhein-Westfalen zu tun haben, um die großen Fragen möglichst schnell und klar zu beantworten: Wie schnell kann die Bundesregierung jene halbe Milliarde Euro freigeben, die notwendig sind, um die Investitionsentscheidung für den ersten Direktionsreduktionsofen hier im Werk in Duisburg zu treffen? Das Geld ist zugesagt, aber noch steht die Zustimmung der EU-Kommission aus, die diese Unterstützung beihilferechtlich genehmigen muss. Bevor das nicht alles unter Dach und Fach ist, kann die Konzernspitze nicht loslegen. Dabei soll die Anlage doch schon 2025 stehen. Die anderen, die Konkurrenz in Schweden und in anderen Ländern, die würde sich nicht aufhalten lassen, die würde nicht warten, sagt Nassikol. Noch dieses Jahr müsse eine Entscheidung fallen. 

Aber es geht nicht nur um Investitionen in Anlagen, sondern auch um Hilfen für die Betriebskosten, die der Staat gewähren müsse. Darüber werde schon lange diskutiert. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will die Konzeption der so genannten Klimaschutzverträge, der Carbon Contracs for Difference (CCfD) möglichst schnell umsetzen. Auch hier drängt die Zeit. In der Industrie, auch auf Gewerkschaftsseite, sprechen sie immer von „Rahmenbedingungen“, die klar definiert sein müssten, bevor sich etwas bewegen könne. Auf Deutsch heißt das: Es muss klar sein, wie viel Geld fließt.

„Verpuffungen? Sind wir gewohnt“

Ab und zu rummst es während des Gesprächs mit Betriebsratschef Nasikkol. Die Fenster beginnen leicht zu vibrieren, ein wenig wackelt alles. Nasikkol grinst. „Verpuffungen“, sagt er. Aus dem Werk nebenan. „Wir sind das gewohnt.“ Dennoch war die Nervosität in Duisburg zuletzt groß. Erst hatte die Corona-Pandemie die Nachfrage nach Stahl einbrechen lassen, zuletzt dann hatte wiederum die steigende Nachfrage für höhere Preise und satte Gewinne gesorgt – bis mit dem Ausbruch der Ukraine-Kriegs die Nachfrage aus der Autoindustrie kurzfristig einbrach. Thyssenkrupp Steel Europe musste Kurzarbeit anmelden, zuletzt für bis zu 1300 Mitarbeiter. Außerdem hat der Krieg dazu geführt, dass das lange geplante Projekt „Freedom“, die Abspaltung der Stahlsparte vom Mutterkonzern, vom Vorstand der Thyssenkrupp AG vorerst auf Eis gelegt wurde. Wer weiß, was kommt? 

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